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Als Mann zum ersten Mal im Waxing-Studio

Illustration: Federico Delfrati

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Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich stark sein würde. Aber seit ich das rosafarbene Schild sehe, wächst mit jedem Schritt in mir der Widerstand. Ich schaue auf meinem Handy nach: In sieben Minuten fährt die nächste Straßenbahn nach Hause. Vielleicht sollte ich die einfach nehmen? Noch 50 Meter. Warum heißt der Laden Beautiful Sisters? Schon der Name schreit mir entgegen, dass ich als Mann hier nicht hingehöre. Ich zwinge mich, weiterzugehen. Es ist von allen Dingen der Trotz, der nicht zulässt, dass ich jetzt einen Rückzieher mache. Ich will mir nicht eingestehen, dass ich Wachsen tatsächlich für unmännlich halte, dass es mir nicht egal ist, was meine Freunde über mich sagen werden. Ich schaue mich um, niemand beobachtet mich, einen Mann, der vor einem Waxing-Studio steht. In mir ist dieselbe Scham wie damals, als ich als Teenager zum ersten Mal Kondome kaufte. Damals war es ein Schritt zum Erwachsenwerden. Jetzt ist es das Eingeständnis, dass ich jemand bin, der auf sich selbst achtet, der manchmal Cremes benutzt und sich fragt, welche Bartlänge ihm am besten steht.

Einfach schnell rein und hinter mich bringen - wie beim Pflaster abreißen, oder eben beim Waxing, denke ich. Als ich den Laden betrete, kichert eine Mitarbeiterin – wahrscheinlich, weil ich ein Mann bin. Kein guter Start, mein Ego schrumpft weiter. Zum Glück sind keine anderen Kunden da. „Ich, äh, habe einen Termin...“, sage ich. Obwohl wir beide genau wissen, warum ich da bin, traue ich mich nicht, es auszusprechen. „Der Rücken, oder? Komplett mit Schultern?“, fragt die Mitarbeiterin. Ich nicke.

Fast jeder Mann hat Körperbehaarung. Bei manchen sprießen auf der Brust ein paar einzelne Härchen, andere haben kaum eine Stelle, die nicht von schwarzem Pelz bedeckt ist. Ich bin eher ein behaarter Mann. Trotzdem habe ich nie eine Haltung zu meinen Haaren entwickelt - vor allen Dingen, weil mich niemand dazu zwingt. Brusthaare stutze ich, Achseln rasiere ich, aber oft genug vergesse ich das und kann trotzdem am Strand mein Shirt ausziehen, ohne kritisch angeschaut zu werden. Anders als bei Frauen, bei denen die Gesellschaft und Werbung eine klare Haltung dazu vermittelt, wie sie mit ihrem Körper umzugehen haben. Da führen selbst ein paar Stoppeln an den Beinen zu verächtlichen Blicken. Bei Männern ist alles irgendwie erlaubt und geduldet. Auch wenn ich weiß, dass das eines meiner vielen Privilegien als Mann ist und dass Frauen seit Jahrzehnten dafür kämpfen, dass auch ihre Körperbehaarung als natürlich gilt, muss ich zugeben: Manchmal beneide ich Frauen für die genauen Richtlinien. Ein unfassbar dummer Gedanke, aber manchmal wünsche ich mir eine Anleitung, die mir sagt, was ich mit meiner Behaarung zu tun habe.

Es gibt keine Möglichkeit auch nur einen kleinen Teil der Haare zu erreichen, ohne sich dabei tiefe Fleischwunden zuzufügen

Es gibt nur eine einzige Ausnahme, wo selbst bei Männerkörpern die Toleranz aufhört: Rückenhaare. Es war nach einem Fußballspiel, als ich erfahren habe, dass auch ich welche habe. Ich war 19, hatte mich gerade geduscht, als ein Mannschaftskollege durch die Kabine schrie: „Baaaah! Du hast ja Haare auf dem Rücken!“ Sekunden später stand die ganze Mannschaft, inklusive Trainern, um mich herum. Richtig demütigend. Es war nicht die letzte derartige Reaktion. Der Kreis der Menschen, die einen Pelz auf dem Rücken schön finden, dürfte kleiner sein als die Zahl der Killerpilze-Fans im Jahr 2019. Und das ist mehr als verständlich. Sie sind hässlich und halten im Winter nicht mal warm. Rückenhaare nerven, selbst wenn es - wie bei mir - nicht viele sind. Da ist sie: Die klare Linie, nach der ich mich aus meiner Privilegiertheit heraus gesehnt habe. Und doch habe ich fast zehn Jahre nach der Entdeckung dieser Haare noch immer nichts gegen sie getan.

Ein Grund: Es ist unmöglich, sie alleine wegzubekommen. Egal, wie sehr man sich mit einem Rasierer in der Hand verrenkt, es gibt keine Möglichkeit auch nur einen kleinen Teil der Haare zu erreichen, ohne sich dabei tiefe Fleischwunden zuzufügen. Und fast genauso unmöglich ist es, jemanden zu finden, der einem als Freundschaftsdienst dabei hilft. Mit Rückenhaaren möchte niemand etwas zu tun haben. Einmal hatte mich ein Freund gefragt, ob er sie mir abrasieren soll - im Scherz natürlich. Er konnte nicht mal den Satz zu Ende sprechen, ohne zu lachen und sich dann angewidert zu schütteln. Ich brauche also professionelle Hilfe  – ein Waxing Studio.

Während ich in einer Kabine mit einer plastikbeschichteten Liege mein Shirt ausziehe, erinnere ich mich an meine Freundinnen, die mir alle gesagt haben, wie schmerzhaft die Behandlung werden würde. „Das waren die krassesten Schmerzen meines Lebens“, hatte mir eine gesagt. Ich habe schon Knochenbrüche, Kreuzbandrisse und eine Knochenmarkpunktion überlebt, so schlimm wird das sicher nicht. Außerdem hat sie das im Intimbereich gemacht, das ist noch einmal was komplett anderes. Während ich mich nervös umschaue, sehe ich, wie eine Mitarbeiterin in einem Topf rührt. Als sie den Spachtel herauszieht, tropft heißes, geschmolzenes Wachs herunter. Jetzt ist die letzte Chance, das Ganze hier abzubrechen.

Die Witze in Umkleidekabinen, die gesellschaftliche Ächtung, nichts davon hatte mich auf diese Liege getrieben. Meine Mannschaftskollegen haben zwar wegen der Haare Witze über mich gemacht – aber die Häme wäre sehr viel größer, wenn sie mich auf dieser Liege sehen könnten. Nagelsalons gibt es bereits in männlich, Studios mit Motorrädern und Autoteilen als Dekoration, im Hintergrund läuft Classic Rock. Waxing Studios sind noch nicht so weit. Sie versuchen gar nicht erst, ihr unmännliches Image überzukompensieren, indem sie Rollrasen und Fußballtore aufstellen, man sich für die Behandlung auf Biertische legt und Mickie Krause durch die Lautsprecher ballert.

Aber was wirklich dazu geführt hat, dass ich jetzt hier bei Beautiful Sisters liege und eine Frauenhand im Plastikhandschuh ein letztes Mal meine Rückenhaare glatt streicht, bevor es losgeht, war ein Satz meiner Freundin: „Wirklich schlimm finde ich sie jetzt nicht, aber schön ist was anderes“, sagte sie. Die erste wirklich ehrliche Antwort, die ich von einer Frau auf meine Frage „Findest du die Haare eigentlich schlimm?“ je bekommen hatte. In meinen früheren Beziehungen hatte weder ich noch meine Ex-Freundinnen den Mut darüber zu sprechen, oder sie haben mir ausweichend geantwortet. Es ist an der Zeit, mich von meinen haarigen Ketten zu befreien und Verantwortung zu übernehmen.

Meine Haut brennt, als das Wachs sie zum ersten Mal berührt. Ich fange an zu schwitzen, aus Angst. Während ich denke, dass ich das keine 20 Minuten aushalten werde, streicht die Waxerin ein Papier über das Wachs. Ich kneife die Augen zusammen. Das Abziehen tut weh, aber ich hätte es deutlich schlimmer erwartet. Nach fünf Papieren habe ich mich an das Reißen gewöhnt. Nach zehn Papieren ist mir sogar ein bisschen langweilig. Nach 15 ist alles vorbei. Als ich mein T-Shirt anziehe und der Stoff zum ersten Mal die kahle Haut berührt, fühlt es sich an, als hätte ich Gänsehaut - nur ohne Haare. Beim Rausgehen drückt mir die Kassiererin eine Bonuskarte in die Hand: Die zehnte Behandlung ist gratis. Zuhause angekommen ziehe ich sofort mein T-Shirt aus. Mein ganzer Rücken ist rot.

Am Abend treffe ich mich mit ein paar Freunden zum Essen und erzähle, dass ich im Waxing Studio war. Die Reaktionen sind entspannt: Ein, zwei Lacher - mehr nicht. Wir sind halt auch keine 19-Jährigen im Fußballverein mehr. Ich bin froh, dass ich es gemacht habe und mich nicht mehr von irgendwelchen irrationalen Ängsten als unmännlich zu gelten davon abhalten lasse, etwas an mir zu ändern, das mich stört. Außerdem: Gibt es eigentlich etwas männlicheres, als sich freiwillig mit heißem Wachs übergießen zu lassen um das, was einen stört, mit brachialer Gewalt aus seinem Körper zu reißen?

Die Bonuskarte werde ich wahrscheinlich trotzdem nicht voll kriegen - denn weder den Schmerz, noch das unangenehme Gänsehautgefühl brauche ich als Konstante in meinem Leben. Die Nebenwirkungen der Haarentfernung halten ungefähr zwei Tage. Zwei Tage, an denen ich bei jeder Bewegung über meinen Rücken nachdenken muss - ein hoher Preis. Außerdem ist die Behandlung tatsächlich nicht billig. Trotzdem werde ich spätestens vor dem nächsten Strandurlaub bei Beautiful Sisters anrufen. Es sei denn, im Salon liegt plötzlich Rollrasen und aus den Boxen kommt Mickie Krause.

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