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Faire Drogen gibt es nicht

FemmeCurieuse / photocase.com

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T. will mit dem Rauchen aufhören. Nicht, weil sie so geschockt von den neuen Bildchen auf den Zigarettenschachteln ist oder weil sie mal eine dieser verkrusteten Raucherlungen gesehen hat. Schwanger ist sie auch nicht. „Es ist einfach inkonsequent, wenn man so lebt wie wir“, findet sie. Mit so meint sie: Bio essen, Kleider tauschen, statt kaufen und generell Ausbeutung doof finden. Hedonismus in Form von Drogen und Tabak passt nicht mehr zu ihrer politischen Haltung. Rauchen befördert Ausbeutung und Kinderarbeit, Koks und andere Drogen stärken Kartelle, Prostitution und lebensgefährliche Schmuggelaktionen. Das wissen wir nicht erst seit Netflix und „Narcos“.

Irgendwie hat sie ja Recht. Aber mit wir meint sie auch ein bisschen mich. Und erzeugt damit einen seltsamen Rechtfertigungszwang. Denn eigentlich teile ich T.s Ansichten. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal etwas bei H&M gekauft habe, wenn möglich sitze ich lieber zehn Stunden im Zug als im Billigflieger und manchmal denke ich sogar daran, zum Einkaufen den Stoffbeutel mitzunehmen. Klar wäre es da konsequent, auch aufs Rauchen zu verzichten. Und auf all die anderen schmutzigen Dinge.

Kinder pflücken, was ich auf Demos für mehr Klimagerechtigkeit rauche

Denn wahrscheinlich ist die Tabakindustrie der ausbeuterischste Auswuchs der Globalisierung. Kinder pflücken, was ich dann auf Demos für mehr Klimagerechtigkeit rauche. Großkonzerne verdienen sich an meinem Hedonismus dumm und dämlich und machen ganze Länder abhängig vom Tabakexport. Dem Drogenkrieg in Mexiko sind Tausende Menschen zum Opfer gefallen. Ich weiß das alles. Und trotzdem ändert es nichts an meinem Konsumverhalten. Aus irgendeinem Grund reagiere ich bei diesen Maßregelungen dann sogar eher trotzig als einsichtig. Aber warum macht es mich so wütend, wenn T. doch eigentlich Recht hat?

Manchmal fühle ich mich in meinem Freundeskreis, als gäbe es am Ende des Jahres einen Preis für den fairsten Lebensstil zu gewinnen. Und fest steht schon im Januar: Für mich gibt’s da nicht viel zu holen. Vielleicht, weil ich aus Angst vorm Verlieren von Anfang an nicht mitspiele. Aber hauptsächlich, weil dieses Spiel keinen Spaß macht. Weil es sich anfühlt, als würden da eh nur die Gewinner mitspielen. Weil die meisten Menschen eben ganz andere Startbedingungen haben.

Bewusst leben ist ein Privileg. Es bedeutet, dass man Geld hat, sich bestimmte Produkte leisten zu können und Zeit, nach Alternativen zu suchen. Wer für wenig Geld viel arbeiten muss, kann bei diesem Wetteifern nicht mitmachen. Daran ändert auch der faire Kochabend nichts und auch nicht der Verzicht auf Alkohol oder Tabak bei der nächsten Soli-Party. Dass sich das nach Selbstgeißelung anfühlt, bestätigt einen fiesen Verdacht. Nämlich, dass es bei der ganzen Debatte nur um eins geht: um mich selbst. Ich fühle mich nicht schlecht, weil ich in meinen Träumen von tabakpflückenden Kindern heimgesucht werde, sondern, weil es mir unangenehm ist, mich in meinem sozialen Umfeld ständig rechtfertigen zu müssen. Das Gleiche würde ich auch T. unterstellen.

Bio-Tabak scheint legitimen Hedonismus zu ermöglichen

In unseren Gesprächen geht es nicht wirklich um Konsumkritik, sondern um einen Lifestyle. Wir diskutieren nicht über Produktionsbedingungen, sondern über die Qualität der Produkte. Und damit sind wir die perfekte Zielgruppe für eine Industrie, die genau auf diese gewissensgeplagten Öko-Studis abzielt: Jeder Discounter hat mittlerweile eine ganze Produktpalette unter dem eigenen Biosiegel und sogar American Spirit brachte 2008 einen biologischen Tabak auf den Markt. Denn kein Konsumgut ließ bis dahin unsere politische Inkonsequenz so schnell auffliegen wie Tabak. Endlich! Legitimer Hedonismus.

Wir überspielen die leise Vermutung, da könnte noch ein Rest Unfairness dran sein damit, allen von dieser tollen Alternative zu erzählen. Leider ein kurzer Spaß: Seit ein paar Jahren ist es für Tabakkonzerne in der EU verboten, in Werbungen so zu tun, als wären ihre Produkte fair oder gesund. Und daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen.     

Freuen wir uns drüber, dass wir die Möglichkeit haben, über unseren Konsum nachzudenken. Aber hören wir damit auf, individuellen Konsum zu einem Politikum zu stilisieren. Hören wir auf, uns damit zu profilieren, was oder wie wir konsumieren. Vielmehr müsste es darum gehen, eine politische Haltung zu entwickeln, die das Gesamtproblem angreift. Die laut wird gegen Produktionsbedingungen, Kinderarbeit oder eine Illegalisierungspolitik, die den Handel mit Partydrogen zu so einem ausbeuterischen Geschäft macht. So eine Haltung entwickelt man nicht alleine. Statt weniger zu rauchen oder beim Feiern auf Drogen zu verzichten, könnten sich alle diese motivierten Weltverbesserer einfach zusammenschließen. Es gibt genug Stellen, wo viele Menschen gemeinsam Druck ausüben: In Menschenrechtsorganisationen, in politischen Initiativen für Legalisierung von Drogen oder allgemein in der Bekämpfung von Armut, die Menschen in Kartelle, Prostitution und Drogenhandel drängt. Vielleicht wäre der faire Hedonismus damit noch zu retten. Auf jeden Fall könnten wir dann aufhören, uns gegenseitig in Sachen Fairness fertig zu machen. 

Anm. der Redaktion: Dieser Text wurde zuerst am 21.03.2017 veröffentlicht und am 25.08.2020 noch einmal aktualisiert.

 

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