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„I am Greta“ zeigt mehr als eine Klimaaktivistin

Foto: picture alliance / dpa

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Greta hockt am Boden des Segelschiffes, das sie nach New York bringt. Draußen klatschen Wellen gegen die Bootswände. Die graue Mütze sitzt tief in Gretas Gesicht, Nase und Wangen sind gerötet. Über ihr Gesicht kullern Tränen und sie schnieft, während sie in ihr Handy spricht. „Es ist so eine Verantwortung. Ich möchte das nicht alles tun müssen. Das ist zu viel für mich.“ Worte, die man von Greta Thunberg bisher nicht kannte. In Medienberichten ist sie meist entweder die willensstarke Kämpferin oder die naive Schulschwänzerin, eine zweifelnde Greta ist jedoch neu.

Die Szene stammt aus der Dokumentation „I am Greta“, die ab dem 16. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen sein wird und im November auch in der ARD ausgestrahlt werden soll. Der junge Filmemacher Nathan Grossman begleitet Greta Thunberg schon seit 2018. „Ein Freund von mir hat die Familie Thunberg getroffen und sie hatten ihm erzählt, dass Greta einen Sitzstreik planen würde, um für das Klima zu protestieren“, erzählte Grossman der Deutschen Welle.

Ursprünglich waren nur ein oder zwei Drehtage geplant. Es entsteht jedoch schnell eine Freundschaft zwischen Greta und Nathan und als sich plötzlich immer mehr Schüler Gretas Schulstreik anschließen, beschließt der Regisseur, weiterzudrehen. Ein Jahr lang begleitet er die junge Aktivistin, ein weiteres Jahr später ist aus dem Material eine ganze Dokumentation entstanden.

Sie ist eben auch eine Teenagerin

„I am Greta“ beginnt im August 2018 – hier protestiert Greta zum ersten Mal für mehr Klimaschutz vor dem schwedischen Parlament in Stockholm. Ein Mädchen mit zwei Zöpfen und festem Blick, in den Händen ein Schild mit der Aufschrift „Skolstrejk för Klimatet“ – dieses Bild ging um die Welt und ist eine der ersten Szenen der Dokumentation.

Zu Beginn steht Greta noch alleine vor dem Gebäude, doch einige Freitage später schließen sich ihr weitere Schüler*innen an und auch in anderen Ländern tun es ihr immer mehr junge Menschen gleich. Bald berichten Reporterteams von ihrem Streik und Greta wird zur Ikone der Klimaproteste. Die Dokumentation zeigt Gretas schnellen Aufstieg, denn bereits wenige Monate später, im Dezember 2018, spricht die damals 15-Jährige auf der UN-Klimakonferenz in Katowice, Polen. Es folgen weitere Einladungen von Politiker*innen und zu Konferenzen – Bilder, die man bereits aus Medienberichten kennt.

Die Dokumentation gibt jedoch auch Einblicke, was vor und nach den öffentlichen Auftritten passiert und hier wird deutlich, dass Greta Thunberg nicht nur die Klimaaktivistin ist. Sie ist eben auch eine Teenagerin, die Mutter, Schwester und Hunde vermisst, während sie allein mit ihrem Vater durch die Welt reist. Sie lacht oft laut, zum Beispiel als bei einem Video-Call das Bild bei einem lustigen Gesichtsausdruck ihrer Mutter einfriert. Sie tanzt bei einer nächtlichen Zugfahrt ausgelassen vor der Schlafkabine. Und sie spielt häufig unsicher an ihren Fingern herum.

Neben der persönlichen Darstellung von Greta Thunberg hat die Doku aber auch immer ein Auge auf die Klimakrise. Szenen von Überschwemmungen, Stürmen und Waldbränden zeigen gleich zu Beginn, dass die folgenden 97 Minuten kein klassisches Personenporträt sind. Die Dokumentation ist auch ein Appell an die Weltbevölkerung, drastisch zu handeln, um den Klimawandel zu stoppen.

Trotz der vielen privaten Einblicke wird auch Gretas zentrale Rolle bei den Klimaprotesten deutlich. Sie spricht bei Demonstrationen und Kongressen, sie schüttelt den wichtigsten Politiker*innen die Hände und wird, wo sie auch hingeht, von einer Horde Menschen begrüßt.

Ein geregelter Alltag ist für Greta nicht mehr möglich – Alltag, den sie vermisst, wie es in der Doku immer wieder thematisiert wird. Dabei geht die Dokumentation auch auf ihr Asperger-Syndrom ein. Sowohl Greta als auch ihre Eltern erzählen, dass sie wegen der Erkrankung klare Strukturen und Abläufe besonders braucht. Diese sind in den vergangenen Jahren jedoch kaum noch vorhanden gewesen.

Mit der belgischen Klimaaktivistin Anuna De Wever sitzt Greta in einer Aufnahme im Gras und unterhält sich. Es ist ruhig, nur ein paar Vögel zwitschern im Hintergrund, trotzdem wirken die beiden Mädchen besorgt. Greta erzählt, dass sie nichts mehr planen könne, da immer etwas dazwischenkäme. „Wir wollen uns nicht kaputt machen“, sagt sie. „Ich denke, besonders du solltest sehr aufpassen”, antwortet Anuna.

„Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“

Die Dokumentation läuft auf Gretas Rede beim UN-Klimagipfel in New York zu. Nathan Grossman begleitete Greta, ihren Vater Svante Thunberg und Profi-Segler Boris Herrmann bei ihrer Atlantiküberquerung. Bilder von hohen Wellen, starkem Wind und der seekranken Greta zeigen die Anstrengung, die mit einer zweiwöchigen Segelreise verbunden sind. Etwa einen Monat später hielt sie dann ihre Rede beim UN-Klimagipfel.

 

Für ihre dramatischen Worte wurde Greta damals häufig kritisiert. „Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“, sagte sie unter Tränen. Nach den anstrengenden Reisen und Meetings, auf die man Greta in der Doku begleitet, spürt man ihre Wut darüber, dass sich trotzdem nichts ändert.

 

Durch Grossmans Dokumentation wird klar, dass das nicht nur eine dramatische Wortwahl ist – denn eine Kindheit hat Greta durch ihre Vorreiterrolle in den Klimaprotesten tatsächlich nicht mehr gehabt. Das zeigt „I am Greta“ sehr deutlich und verleiht damit ihrer Frage „Wie konntet ihr es wagen?“ noch eine weitere, persönlichere Dimension.

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