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Man ist selten verletzlicher als beim Posieren für ein Foto

Für Fotos posieren wir oft ganz cool – aber fühlen wir uns dabei wirklich so souverän?
Foto: unsplash/Danny-g Bearbeitung: jetzt

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Vor einiger Zeit ging ein Bild um die Welt, das Millionen Menschen amüsierte: Da posierten unabhängig voneinander, aber doch hübsch aufgereiht, drei junge Frauen an einem Strand vor drei jungen Männern. Die sollten offenbar alle das perfekte Foto von ihrer jeweiligen Freundin machen. Und sogar der Typ, der das virale Bild gemacht hatte, war angeblich selbst gerade dabei, seine Freundin zu shooten.

Zugegeben: Das sieht ziemlich witzig aus. Denn es zeigt sehr deutlich, wie verrückt unser Umgang mit Fotos von uns selbst seit dem Erfolg sozialer Netzwerke geworden ist. Inzwischen will fast jede*r ein tolles Profilbild auf Facebook, Youtube oder Instagram, das alle anderen vor Neid erblassen lässt: am Strand, im Sonnenuntergang, mit strahlendem Lächeln und einem tollen Teint. Es soll sagen: „Ich und mein Leben, wir haben’s gut.“ Auch wenn das in der Realität vielleicht ganz anders aussieht.

Gerade deshalb ist das Bild der drei Insta-Pärchen aber nicht nur witzig, sondern auch tröstlich und ein bisschen schön. Denn solche Fotos – und einige Influencer*innen werden hier heftiger zustimmen, als es sein müsste – erfordern mittlerweile oft mehr als einen schnellen Zufallsknipser und Sepiafilter. Nämlich: viele, viele Versuche, bis das perfekte Bild dabei ist. Und selten sind wir verletzlicher als beim Posieren für diese Bilder.

„Sieht meine Nase jetzt wirklich nicht zu groß aus? Mein Arsch nicht zu fett?“

Wer sich „so richtig“ shooten lässt, zeigt seine oder ihre größte Schwäche: die eigene Gefallsucht. „Sieht meine Nase jetzt zu groß aus? Mein Arsch zu fett? Auch nicht beim Sitzen? Mit oder ohne Zähne lächeln?“ Sätze wie diese gehören inzwischen zum Standardrepertoire des durchschnittlichen Hobby-Insta-Models. Wer jemanden einmal eine halbe Stunde lang dutzendfach und jedem erdenklichen Winkel fotografiert hat, hat also mindestens eine Ahnung davon, wie wichtig es dem anderen ist, eine tolle Fassade zeigen zu können.

Und der oder die Fotografierende sieht natürlich auch, was hinter dieser Fassade steckt: nämlich ein Mensch, der voller Selbstzweifel ist. Sonst bräuchte es die verschiedenen Winkel, das besondere Licht und den atemberaubenden Hintergrund ja gar nicht. Das ist natürlich auch den Fotografierten klar. Daher die logische Konsequenz, sich grundsätzlich nur von Leuten „shooten“ zu lassen, die er oder sie liebt. Solchen Menschen also, die anderen nicht von den beim Shooting offenbarten Schwächen erzählen. Hoffentlich zumindest. Denn wer will schon, dass andere wissen, wie viel Mühe hinter diesem so unbeschwert wirkenden Profilbild steckt?

Vielleicht sind deshalb Selfies beliebt geworden. Wem mutet man mehr zu als sich selbst?

Der persönliche Insta-Fotograf muss aber auch deshalb ein*e Vertraute*r sein, weil nicht jede*r bereit ist, den Shooting-Stress über sich ergehen zu lassen. Einen Menschen immer und immer wieder zu fotografieren, sich für ihn im Dreck zu wälzen, um den besten Winkel auszuloten, selbst dann noch weiter zu machen, wenn doch schon längst gute Bilder dabei waren – das erfordert Geduld und jede Menge Verständnis. Und das geben einem nur richtig gute Freund*innen umsonst.

Vielleicht sind auch deshalb Selfies so beliebt geworden. Weil alles andere inzwischen kompliziert ist und erfordert, sich verletzlich zu machen. Denn wem vertraut man mehr als sich selbst? Wem mutet man mehr zu? Manchmal gibt es da einfach keine bessere Option, als die Sache in die eigene Hand zu nehmen.

Im Insta-Pärchen-Bild gibt es sie aber, die bessere Option. Darin kann man einen doppelten Liebesbeweis sehen: Die Frauen im Bild haben offenbar Freunde oder Partner gefunden, denen sie vertrauen – und die sich andererseits auch für sie in den Social-Media-Dienst begeben. Klar ist ein bisschen tragisch, dass die meisten jungen Menschen die Inszenierung für die sozialen Medien überhaupt für nötig halten. Aber es ist doch zumindest schön, wenn es Menschen gibt, vor denen sie ihre Verunsicherung darüber zugeben können.

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