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Meine Theorie: Der Klimaprotest kann von Religionen lernen
Man kann den großen Weltreligionen einiges vorwerfen: massive Spaßverderberei, Fanatismus, Ausgrenzung, Ausbeutung, Unterdrückung, Mord, Folter, Genozid. Aber in einer Sache waren und sind sie, zum Teil bis heute, unschlagbar: Sie können Menschen dazu bringen, etwas zu tun, worauf diese eigentlich keine Lust haben. Über Standes- und Ländergrenzen hinweg. Und das mittels völlig unbeweisbarer Behauptungen! Tip top Marketing.
Wie wäre es deshalb, diese jahrtausendealte Erfolgsstrategie einfach mal statt auf so schwammige Dinge wie Sünde, Vergebung, Verdammnis und Auferstehung auf etwas zu übertragen, das gründlich belegt ist? Den Klimawandel zum Beispiel. „Klimareligion“ ist ja eh schon lange ein rechter Kampfbegriff. Wieso nicht einfach ein bisschen aneignen?
Denn man schaue sich doch bitte mal die Beispiele für die unvergleichbare Überzeugungskraft an, die Religion im Portfolio hat. Gemeint ist die Überzeugungskraft zur Selbstbeschränkung. Das ganze bunte Sortiment an Enthaltsamkeit, Buße und Karma-Pflege: Wochenlange Wanderungen zu Pilgerstätten! Endlose Umrundungen diverser Heiligtümer (am besten auf Knien)! Verzicht auf Schimpfwörter! Verzicht auf Rauschmittel! Fasten wo’s geht! Und sowieso: die wildesten Essensregeln! Dann Spenden ohne Ende! Bei der Beichte alten Männern intimste Geheimnisse erzählen! Leben ohne Sex in jeder Form! Schweigegelübde! Tagelange Meditation! Endloses Beten! Selbstgeißelung! Selbstverstümmelung! Selbstverleugnung! Und nicht zu vergessen: das nie endende Büffeln furztrockener, uralter Texte. Das muss man erstmal hinkriegen.
Was können wir also von den Weltreligionen lernen? Angst ist ganz wichtig
Und genau das ist die Art von Selbstüberwindung, die es für den Klimaschutz braucht: eine Hingabe, die stärker ist, als die Verheißungen jedes 9,99 Euro-Lanzarote-Trips. Eine Inbrunst, die jeden Manager aus der Ölindustrie voller Reue seine Bonus-Millionen spenden und sich nur noch von regionaler Rauke ernähren lässt. Und einen Eifer, der uns zwingt, täglich ungeduldig unseren Briefkasten nach der Wahlbenachrichtigung zu checken, um endlich das Programm wählen zu können, das die meisten Entbehrungen und den größten Verzicht verspricht.
Denn: Welches „Jetzt gemeinsam gegen den Klimawandel!“-U-Bahn-Plakat irgendeiner NGO hätte bislang so eine Begeisterung hervorgerufen? Eben.
Was können wir also von den Weltreligionen lernen? Angst ist ganz wichtig. Angst vor der realen Hölle: die, in der wir und die, die nach uns kommen, leben werden. Der Nachteil einer realen Hölle ist zwar, dass man sie nicht nach Belieben ausfüllen kann mit Horrorszenarien à la Dantes Inferno. Der Vorteil einer realen Hölle ist aber: Sie ist real. Sie ist eine wissenschaftlich belegte Prognose. Damit dürfte sie eigentlich deutlich glaubwürdiger zu verkaufen sein als vages Gefasel von behörnten Dämonen.
Die andere unerlässliche Zutat für echte Frömmigkeit ist die Hoffnung auf ein Paradies. Oder zumindest auf ein Nirvana. Oder die Liebe Gottes. The good shit eben. Dieser Punkt ist im Fall Klimawandel ein bisschen tricky. Denn im Idealfall wird ja nur Schlimmeres vermieden. Zumindest, wenn es nur um die Erderwärmung geht. Aber da ja hier alles mit allem verbunden ist, kann man das Heilsversprechen auch einfach auf Umweltschutz ganz allgemein ausweiten: Eine heile, ausbalancierte Zukunft wartet da! Ein Garten Eden wird das, in dem keine Schornsteine und Autobahnen mehr die Landschaft verschandeln, sondern glückliche Kinder im Herzen der Großstädte Äpfel von den Bäumen pflücken! Ozeane ohne Plastik, in denen die Korallenriffe nur so wuchern! Ausgestorben geglaubte Arten kehren zurück! Die Erde: eine Arche Noah im All. Man stelle sich nur die Liebe und Dankbarkeit unserer Nachkommen vor. Und die der Erde überhaupt (eignet sich auch hervorragend als Ersatz für eine göttliche Personifikation).
Sprechchöre, originelle Pappschilder, bunte Haare und Bierchen? Panik bekommt man davon nicht
Eigentlich doch ideale Voraussetzungen, um mit ein bisschen Kommunikations-Know-how die Bewohner dieser Erde zu motivieren, sich und ihre Heimat zu retten!? Stattdessen wird bieder vor sich hingewarnt und gemahnt und selbst der glühendste Aktivismus setzt eher auf das Happy-Go-Lucky-Image engagierter Jugendlicher, gut gemeinte Anpack-Rhetorik und bunten Baumbesetzer-Widerstand als auf die volle, gnadenlose Bildgewalt von Himmel und Hölle. Greta Thunbergs „I want you to panic!“ ging zwar in die richtige Richtung – aber sich zu wünschen, dass Menschen Angst haben ist einfach nicht das gleiche, wie sie dazu zu bringen.
Ein Beispiel: Bei den Protesten gegen die IAA Anfang September in München zogen mehrere Tausend Menschen durch die Stadt. Viele davon jung, gut drauf – Sprechchöre, originelle Pappschilder, bunte Haare, Bierchen. Und, bitte, daran ist ja nichts verkehrt, besser als nichts. Aber Panik? Panik bekommt man davon nicht. Man stelle sich stattdessen vor, die Demo hätte nachts stattgefunden: Donnergrollen am Horizont, während durch die Straßen schweigende Büßerprozessionen ziehen, die nur gelegentlich dissonante gregorianische Gesänge vom Ende der Zeit anstimmen.
Wir brauchen Geschichten, die man sich ängstlich zuflüstert
Zu dramatisch, unzeitgemäß, unsachlich? Wieso nicht einfach eine nette kleine Unterschriftenaktion in der Fußgängerzone? Pah! Wir haben es lange genug mit sachlicher Aufklärung und Selbstverantwortung versucht und sie scheinen nicht zu funktionieren. Für eine Panik, die die ganze Menschheit erfasst, müssen wir die reale, zukünftige Hölle bis zum Letzten ausreizen. Wir brauchen gnadenlos reißerische Geschichten! Geschichten, die man sich ängstlich zuflüstert. Von Naturkatastrophen, die mit satanischem Lachen aus den Wolken, den Ozeanen und den Erdspalten über uns und die unseren hereinbrechen, während wir uns im Café über die zu kalte Hafermilch im Latte beschweren. Geschichten von Völkerwanderungen biblischen Ausmaßes, die, gejagt von Sandstürmen, gen Norden ziehen und dickliche Wohlstandssünder:innen aus ihren Schrebergartenstühlen vertreiben und von den folgenden grausamen Kriegen ums Überleben in den letzten erträglichen Klimazonen. Geschichten von einer weißglühenden Sonne, die sich in heiligem Zorn über den verbrannten Alpen erhebt und von schwitzenden, zitternden Menschlein, die in den letzten schlammigen Pfützen des Bodensees kauern.
Dann auf der anderen Seite: Die Vision eines kitschigen Paradieses, in dem es wieder weiße Weihnachten gibt, satte Mischwälder, Einklang mit Mutter Natur und eine Artenvielfalt, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft.
Good Cop und Bad Cop halt.
Und das Gute: Anders als mit einem Ave Maria oder einer Umrundung des Kailash lässt sich mit Maßnahmen gegen den Klimawandel eine tatsächliche, kollektive Wirksamkeit erleben, mit der wir diese große Prüfung des Himmels bestanden und uns als würdig erwiesen haben. Was für eine verbindende Erfahrung für die Menschheit!
Deshalb: Schriftsteller:innen, Filmemacher:innen, Werbemacher:innen, Künstler:innen, Designer:innen, Politiker:innen und alle, die sich mit Illusion und Show befassen: Wir brauchen die ganz großen Epen über Rettung und Verdammnis.
Und nur für den – nicht unwahrscheinlichen – Fall, dass dieser Text in irgendwelchen Aufreger-Bubbles als Beweis für die tatsächliche Entstehung einer fanatischen Klimareligion umhergereicht wird, oder anderswo für die Verharmlosung von religiös begründeten Missetaten: Ja, das hier ist Satire. Zumindest zu Teilen. Eine Anregung, angesichts einer fast schon pathologischen Tatenlosigkeit ein bisschen rumzuspinnen. Und nein, niemand fordert einen tatsächlichen Klima-Gottesstaat. Wobei – verglichen mit der sicheren Selbstauslöschung der Menschheit …