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Schummeln ist besser als sein Ruf

Illustration: FDE

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Das Wörtchen Schummeln löst in mir gleich so ein aufgeregtes Kribbeln im Körper aus. Ein Kribbeln, wie man das eben bei Aktivitäten verspürt, die man vielleicht eigentlich nicht darf und die somit in kribbeliger Heimlichkeit stattfinden: Sich mit 15 in den Club schleichen etwa, oder auf Pausenhof rauchen. Man assoziiert Schummeln aber auch mit vielen negativen Attributen: mit Faulheit zum Beispiel. Oder mit einem Mangel an Wissen. Ethymologisch ist die Herkunft von „Schummeln“ nicht genau geklärt. Sprachwissenschaftler*innen sind sich jedoch recht einig, dass es bereits seit langer Zeit mit dem negativ konnotierten „betrügen“ gleichgesetzt wird. Aber ist das fair? Hat Schummeln nicht auch positive Seiten? 

Ich habe in der Schule nie geschummelt. Um ehrlich zu sein, könnte man sagen: Ich war eine ziemliche Streberin. Ich hatte bis zur Matura (Anm. d. R.: das österreichische Pendant zum Abitur) eigentlich nie etwas schlechteres als einen Zweier auf Schularbeiten. Ich erinnere mich aber, dass ich oft beeindruckt war vom Mut derer, die nach Prüfungen von ihren wilden „Schummelgeschichten“ berichtet haben. Von Spickzetteln unter Strumpfhosen oder heimlichen Besprechungen auf der Toilette. Geschichten eben, die – im Gegensatz zum Prüfungsstoff – noch lange als Mythen in der Schulwelt weitergegeben werden – und so vielleicht die nächste Generation zum Schummeln motivieren. 

Man sollte die Gründe der Schummelversuche hinterfragen

Chiara Santucci ist Psychotherpeutin für Jugendliche und Schulpsychologin. Sie arbeitet viel direkt mit Schüler*innen, setzt sich mit deren Problemen und Motivationen auseinander. Und sie sagt, dass es vor allem wichtig sei, die vielfältigen Gründe hinter den Schummelversuchen zu hinterfragen. Gerade in der Pubertät könne es das Bedürfnis ausdrücken, Grenzen auszutesten. Auch Konzentrationsschwierigkeiten,  große Erwartungen und somit Druck von Seiten der Eltern können ein Grund fürs Schummeln sein. „Man kann nie wissen, wie das Klima bei den Schüler*innen zuhause ist. Gerade jetzt, wenn die Corona - Maßnahmen für viele Familien eine Herausforderung darstellen“, sagt sie.

Wenn ich daran denke, was meine Motivation zu lernen war, dann hatte das vor allem auch mit vielen positiven Rückmeldungen von Lehrer*innen zu tun, die mir das Gefühl gaben, dass sich das Ganze lohnt. Doch viele, die sich mit den Anforderungen des Schulsystems schwerer tun, bekommen nicht die gleiche Chance, diese positive Aufwärtsspirale zu spüren. Im Gegenteil, sie können schnell in eine Negativspirale geraten. 

Auch Chiara Santucci sagt, dass das Bedürfnis zu Schummeln oft mit dem Gedanken einhergehen kann, nicht fähig zu sein, etwas Bestimmtes zu leisten. Dieses negative Selbstbild könne durch wiederholte schlechte Noten immer weiter bestärkt werden. „Man sollte das Schummeln bei Prüfungen als Lehrperson nicht ignorieren“, sagt die Schulpsychologin. Sie betont allerdings, dass es auch nicht sinnvoll sei, Schummler*innen zu bestrafen. „Das Negative sollte nicht im Vordergrund stehen“, so Santucci. Dies könne den Eindruck erwecken, nichts Gutes mehr aus dem Verhalten machen zu können. Sie meint, dass Lehrer*innen Schummelversuche vielleicht als Anlass nehmen könnten für jene Schüler*innen, die sich bei Prüfungen offenbar schwerer tun, andere Möglichkeiten zu suchen, um ihnen positive Erfahrungen mit Verantwortung und Autonomie zu ermöglichen. 

Vielleicht sogar, indem man Schummeln bewusst in Prüfungen integriert?

Das geht nämlich. Ich erinnere mich gut an unsere Physiklehrerin in der Oberstufe des Gymnasiums. Sie hatte eine der besten Ideen  überhaupt, um jede*n dazu zu bewegen, sich mit dem Prüfungsstoff  auseinanderzusetzen. Sie ließ uns nämlich alle kleine Schummelzettel schreiben, die wir mit zur Prüfung nehmen durften. Sogar diejenigen, die als „die Faulsten“ in der Klasse galten, brachten einen mit. Und auch bei ihnen lautete das Motto nicht mehr „so wenig wie möglich aufschreiben“, sondern so viel draufquetschen wie nur geht. Meine Mama wollte meinen Schummelzettel damals einrahmen, da es sie so faszinierte, wie winzig klein meine Schrift darauf war. Und tatsächlich habe ich den Inhalt davon – im Gegensatz zu so manchen Buchseiten – immer noch im Kopf.

„Schummeln kann auch eine Fähigkeit sein“, sagt Chiara Santucci dazu. Auch der Neurowissenschaftler Henning Beck betont das Potenzial, das im Gestalten eines Schummelzettels liegen kann. Denn um einen Spickzettel zu schreiben, muss man sich schon ziemlich mit dem Thema befasst haben. Damit man mit den Informationen darauf etwas anfangen kann, muss man eine allgemeine Vision davon haben, worum es bei einem Thema geht. Wenn man dagegen etwas einfach nur auswendig lerne, könne das sogar kontraproduktiv sein,  so die Schulpsychologin. Dann reiche ein kleines emotionales Hindernis, um aus dem Konzept zu kommen, und die Informationen nicht mehr so gut aus dem eigenen Gehirn abrufen zu können.

Was schon stimmt: Ich habe als Einser-Schülerin natürlich schon so einige Buchseiten auswendig gelernt. Trotzdem frage ich mich öfter, wohin mein Wissen aus der Schulzeit und auch aus meinen letzten Uni-Jahren hinverschwunden ist. Von meinen vergangenen Prüfungen ist mir am meisten der Stoff von einer in Erinnerung geblieben, bei der ich mit einem Studienkolleg*innen zusammengearbeitet habe – illegalerweise. Das war durch das Onlineformat möglich, wenn auch – wie gesagt – nicht offiziell erlaubt. Wir haben dann bereits eine Stunde vorher, sowie währenddessen, über den Stoff gesprochen. Noch heute erinnere ich mich an unsere Gespräche und die Stimmung rundherum – aber auch die Inhalte, über die wir diskutierten. Und das geht mir eben bei den anderen „normalen” und legalen Prüfungen selten so.

Auswendig lernen ist also vermutlich nicht „das Gute“ und schummeln nicht „das Schlechte“.  Es wäre für das Ende dieses Textes wohl etwas zu romantisch zu sagen, dass Schummeln immer der bessere Weg ist. Wie Chiara Santucci gesagt hat, muss auch Schummeln, um diesen positiven Effekt zu erreichen, „gelernt sein“. Mit Sicherheit sollte man den Potenzialen hinter dem Schummeln mehr Aufmerksamkeit schenken. 

Vielleicht gehen wir dank der Pandemie da gerade sogar ein Stück in die richtige Richtung. Ich habe etwa das Gefühl, dass es in der Pandemie und durch das Home-Schooling mehr Open-Book-Klausuren gibt. Und irgendwie ist das doch auch eine Form von „professionellem Schummeln“. Eine Form, die ja auch unserer Zeit entspricht, in der auch online immer mehr Wissen sehr schnell zur Verfügung steht. Wissen, das einen sogar manchmal gefühlt überflutet und das man nicht auswendig lernen kann. In dem man sich nur zurechtfindet, wenn man lernt es zu filtern, zu strukturieren und zu priorisieren.

Noch etwas fördert Schummeln laut Psycholog*innen: die Kreativität. Das fanden Francesca Gino von der Universität Harvard und Scott Wiltermuth von der University of Southern California bereits 2014 in einer Studie heraus. Und wann könnten kreative Ideen und Lösungen mehr gefragt sein, als in einer Zeit, die sich auch nicht an die „gewohnten Regeln hält“ - und uns fast täglich vor viele neue Herausforderungen stellt.

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