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„Wir holen uns so viel Geld wie möglich zurück“

Im Juli 2018 war die „Lifeline“ beschlagnahmt worden. Daraufhin wurden Spenden gesammelt, um ein neues Schiff zu chartern.
Foto: AP/Hermine Poschmann

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Der Vorwurf wiegt schwer: Haben Klaas Heufer-Umlauf und der von ihm mit ins Leben gerufene Verein „Civilfleet“ Spenden in den Sand gesetzt, mit denen eigentlich ein Schiff für Seenotrettung gechartert werden sollte? So wirft es ihnen die österreichische Rechercheplattform „addendum“ vor. Es sei nie in See gestochen, das Geld sei größtenteils verloren, zudem seien die Spender*innen bis heute im Unklaren über die Verwendung ihres Geldes gelassen worden, heißt es unter anderem. Hinter dem Portal steckt die Privatstiftung „Quo Vadis Veritas“ des Red-Bull-Milliardärs Dietrich Mateschitz. Mateschitz äußert sich seit Jahren immer wieder rechtspopulistisch. Auf der Plattform ist derzeit unter anderem ein Interview mit dem österreichischen FPÖ-Klubobmanns (Fraktionschef) Herbert Kickl zu lesen.

Als Klaas Heufer-Umlauf im Sommer 2018 nach der Beschlagnahmung der „Lifeline“ in einem Video darum bat, für private Seenotrettung zu spenden, ging sein Aufruf viral, auch wir berichteten darüber. „Im Mittelmeer ertrinken viele Menschen“, sagte der heute 36-Jährige. „Man braucht jetzt Schiffe, um jetzt ein Zeichen zu setzen, um zu sagen, wir machen weiter, und natürlich, um ganz konkret Hilfe leisten zu können.“ Es kamen fast 300 000 Euro zusammen. Ein eigens gegründeter Verein wollte sich dann um ein Schiff kümmern und sicherstellen, dass es mit der Seenotrettung weitergeht. Vorsitzender ist der grüne Europa-Parlamentarier Erik Marquardt, der sich in den vergangenen Jahren als fundierter Kritiker der EU-Flüchtlingspolitik einen Namen machte. Wir haben mit ihm über die Vorwürfe gesprochen.

jetzt: Habt ihr die Spender*innen hintergangen, weil ihre Spenden zumindest teilweise in den Sand gesetzt wurden?

Erik Marquardt: Zuerst muss man sagen: Wir haben nicht die kompletten 300 000 Euro verloren. Am Ende läuft es wohl auf einen mittleren fünfstelligen Betrag raus. Aber wir waren nicht so transparent, wie wir es hätten sein sollen. Ich finde, Spender*innen können erwarten zu wissen, was mit ihrem Geld passiert. Und mit dem Geld wurde durchaus auch konkret geholfen: Sea-Eye hat uns zum Beispiel Ende Dezember kontaktiert und wir haben eine Mission ermöglicht, bei der 17 Menschenleben gerettet wurden. Dafür haben wir 25 000 Euro gegeben. Zudem haben wir mit 30 000 Euro ein Rettungsbeiboot der NGO Sea Watch finanziert. Ohne das Projekt wären diese Menschen ertrunken. Und allein das sehe ich schon als Erfolg. Wir haben es nur nicht geschafft, das Projekt erfolgreich aufs Wasser zu bringen.

erik marquardt

Erik Marquardt ist Europaabgeordneter der Grünen.

Foto: privat

Der ursprüngliche Plan war, ein Schiff zu chartern, um weiter Menschen vor dem Ertrinken zu retten.

Ja. Es war schwer, überhaupt einen Eigner zu finden, der das Risiko in Kauf nehmen wollte, denn zu der Zeit war es auf dem Mittelmeer noch unsicherer als heute. Seenotrettungsschiffe wurden beschlagnahmt und Ehrenamtliche angeklagt. Eine Zeit lang fanden wir einfach nichts. Dabei standen wir unter Zeitdruck: Der Juli 2018 war der tödlichste Monat überhaupt im Mittelmeer.

„Wir wissen, dass es im Hochseegewerbe viel Betrug gibt“

Und ihr wart überzeugt von der „Golfo Azurro“ , als ihr das Schiff im August 2018 gesehen habt?

Ja, das erschien uns alles gut. Das Schiff war schon 2016 für die Seenotrettung im Einsatz. Der Eigner hatte sich damals von einer anderen NGO getrennt, weil das Schiff von der libyschen Küstenwache beschossen worden war und ihm das zu riskant war. Der Trennungsgrund war für uns nachvollziehbar. Und wir haben uns bei anderen NGOs über den Eigner informiert. Wir haben mit ihm gesprochen, er sagte: Unter gewissen Bedingungen kann ich mir das vorstellen.

Aus Seenotrettungs-Kreisen haben wir gehört, es sei bekannt gewesen, dass der Eigner nicht seriös sei. Wart ihr nicht misstrauisch?

Im Gegenteil. Der Besitzer war in der Szene bekannt, weil er selbst schon als Kapitän im Einsatz für Seenotrettungsorganisationen gewesen war. Wir wissen, dass es im Hochseegewerbe viel Betrug gibt. Zuvor waren wir selbst auch mit einem Betrüger in Kontakt, der uns ein Schiff andrehen wollte, das dem Gutachten nach in einem desolaten Zustand war.

Erschien es euch nicht komisch, dass die Adresse eine Briefkastenfirma in Panama ist?

Nein, weil das Schiff unter panamaischer Flagge fuhr. Das ist eine gängige Praxis. Uns erschien das auch insofern sinnvoll, dass europäische Regierungen uns den Registrierungsprozess ja sicher nicht leicht machen würden. Zudem floss nie Geld nach Panama, sondern an die niederländische „Stichting Golfo Azurro“.

„Ich halte das für richtig, auch heute noch, dass wir nicht aufgegeben haben“

Stimmt es, dass der Eigner euch gesagt hat, dass er das Schiff innerhalb von zehn Tagen fertig machen könne und ihr schon mal die erste Rate überwiesen habt?

Als wir das Schiff in den Niederlanden begutachteten, hatten die Fachleute einen guten Eindruck. Und wir wollten ja schnell losfahren. In einem Vorvertrag haben wir die notwendigen Umbauten vereinbart, um einen Zeitplan festzuzurren. Uns wurde versichert, dass das schnell gehen wird. Doch dann kamen Dinge dazwischen, die so nicht absehbar waren.

Nämlich?

Das Schiff war ja in Panama registriert und fuhr unter entsprechender Flagge. Es wurde bekannt, dass dem Schiff einer anderen NGO aus Panama, nämlich der Aquarius, gerade die Flagge entzogen worden war. Salvini hat von Italien aus Druck auf Panama gemacht. Es war klar: Wir werden nicht so schnell eine neue Registrierung bekommen und ohne Registrierung kann man auch ein auslauffertiges Schiff nicht ins Mittelmeer bringen.

Hättet ihr dann nicht sagen können, das wird zu teuer, wir steigen aus?

Der Eigner sagte uns, dass der Flaggenprozess zeitnah abgeschlossen werden könne. Es gab in dem Moment keine anderen Schiffe, die wir hätten unterstützen können. Die Seenotrettung lag weitgehend brach, aber das Sterben auf dem Mittelmeer ging weiter. Wir haben vereinbart, dass wir noch maximal 30 000 Euro in das Schiff stecken, wenn es dann einsatzbereit ist. Wir wollten nicht abbrechen, sondern mit der Situation umgehen, die Risiken auf unserer Seite aber auch begrenzen. Also auch auf der Seite der Spender*innen. Ich halte das für richtig, auch heute noch, dass wir nicht aufgegeben haben.

Wofür ist da Geld geflossen?

Wir haben ihm dann für den Flaggenwechsel nochmals ein Darlehen gewährt. Außerdem musste das Schiff für einen Stabilitätstest betankt werden. Dadurch kamen zu den bereits angefallenen 34 000 Euro Charterraten und der Beteiligung am Flaggenwechsel noch Darlehen dazu, die wir zurückfordern. Das sind ungefähr 70 000 Euro. Die endgültige Endabrechnung des Projekts steht noch aus. Die Vorschüsse werden wir nach der Endabrechnung zurückfordern. Zudem haben wir 70 000 Euro in Equipment investiert, das uns gehört und das ja auch nicht verloren ist.

Wieso habt ihr die Öffentlichkeit nicht über die Schwierigkeiten informiert, die da auf euch zukamen?

Wir hatten Sorge, zu große Öffentlichkeit auf das Projekt zu lenken, bevor die Registrierung abgeschlossen ist, da zu der Zeit ja auch immer wieder Schiffen die Registrierungen entzogen wurden. Und vielleicht hat auch unsere geringe Öffentlichkeit schon dafür gesorgt, dass wir nicht so schnell eine Registrierung bekommen haben, wie wir dachten. Wir haben aber alle privaten Anfragen von Spender*innen beantwortet, die Nachfragen hatten.

„Unser Ziel ist es natürlich, dem Eigner kein Geld zu schenken“

Was lief im Hintergrund ab?

Irgendwann war klar, dass sich die politische Situation nicht verbessert und wir die finanziellen Risiken des Schiffsbetriebs und einer eventuellen Beschlagnahmung nicht alleine tragen konnten. Wir haben mehrere NGOs kontaktiert, aber es kam nie zu einem Vertragsabschluss zwischen dem Eigner und einer NGO. Dass der Abbruch des Projekts noch nicht kommuniziert wurde, hängt damit zusammen, dass das Projekt erst vor kurzem abgebrochen wurde. Das Schiff war bis August 2019 fertig ausgestattet, aber in diesem Jahr ist kein Geld mehr für das Projekt aufgewendet worden.

Und jetzt?

Unsere eigene Ausstattung, die ausgebaut wurde, kommt jetzt nach Deutschland. Künftig sollen dann möglichst schnell andere Seenotrettungsschiffe damit ausgestattet werden. Wir holen uns so viel Geld wie möglich zurück, um es für die zivile Seenotrettung einzusetzen.

Würdest du so ein Projekt noch einmal machen?

Ja, auf jeden Fall. Aber es ist so: Es ist extrem teuer, Menschen im Mittelmeer zu retten. Da kann man keine Geld-zurück-Garantie geben. Man muss sich der Tatsache stellen, dass man auch scheitern kann. Natürlich wäre es besser, wenn die europäische Union eine zivile Seenotrettung hätte. Aber man sieht an unserem Projekt, was passiert, wenn die Seenotrettungsgegner*innen gewinnen. Das kostet Geld, Zeit, Energie, Schweiß und auch manche Tränen. Aber hätten wir wir als Seenotrettungsorganisationen letztes Jahr einfach aufgegeben und gesagt: Das ist uns zu schwierig, wir lassen das – dann gäbe es jetzt keine Seenotrettung auf dem Mittelmeer und noch mehr Menschen wären tot.

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