Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Wenn die Eltern an Verschwörungsmythen glauben

Wenn Eltern und Freund*innen an Verschwörungsmythen glauben, ist das für Angehörige schwierig.
Foto: Kay Nietfeld / picture alliance/dpa

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Wenn die eigenen Eltern an Verschwörungsmythen glauben, ist das für Kinder oft sehr schwierig. Das zeigt zum Beispiel eine Gruppe auf der Plattform Reddit, genannt: „QAnonCasualties“. Dort schreiben Menschen, deren Freund*innen und Familienmitglieder QAnon-Anhänger*innen sind. Die Frage, die sie sich alle stellen: Wie hält man die eigenen Eltern von verschwörungsideologischen Inhalten fern? QAnon ist ein radikaler Verschwörungsglaube, der besonders in den USA weit verbreitet ist. Die Anhänger*innen glauben beispielsweise die falschen Behauptungen, Barack Obama betreibe einen Kinderhandel-Ring oder die Rechtschreibfehler in Donald Trumps Tweets seien geheime Zeichen an seine Anhängerschaft. Auch in Deutschland fußen viele Verschwörungsmythen auf der QAnon-Ideologie, gerade antisemitische Erzählungen im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. 

Aber wie hilfreich sind Foren wie „QAnonCasualties“ für Betroffene? Welche der dort geteilten Maßnahmen sollte man tatsächlich umsetzen? Und: Wie sollte man sich im Umgang mit Verschwörungsglauben in der Familie am besten verhalten? Darüber haben wir mit Katharina Nocun, 35, gesprochen. Sie ist Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin, Digitalexpertin und Autorin. Gemeinsam mit Pia Lamberty hat sie zum Beispiel das Buch „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ (2020) geschrieben.

jetzt: In der Coronakrise haben Verschwörungserzählungen viele neue Anhänger*innen dazugewonnen. Wie hoch schätzt du die Belastung in den betroffenen Familien derzeit ein?

Katharina Nocun: Zuerst einmal: Man muss unterscheiden zwischen Menschen, die Verschwörungserzählungen mal aufgeschnappt haben und probeweise beim Familienessen zum Besten geben, und eingefleischten Reichsbürgern oder QAnon-Anhängern. Menschen, die da wirklich reinrutschen, sind meist über einen längeren Zeitraum hinweg radikalisiert worden. Das kann man dann nicht in kurzer Zeit umdrehen. Und in diesen Fällen ist der Leidensdruck von Angehörigen immens. 

 

Wie äußert sich das?

Menschen schreiben zum Beispiel in Online-Foren: „Ich hab den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen. Jedes Mal, wenn wir sprechen, werde ich nur beschimpft.“ Häufig liest man auch: „Ich erkenne diese Person nicht wieder.“.Und von Kindern: „Ich vermisse meine Eltern.“ Vermeintlich harmlose Verschwörungserzählungen können langfristig gravierende Folgen haben – zum Beispiel, wenn sie sich auf das Gesundheitswesen beziehen. Man kann Menschen, die medizinische Forschung ablehnen, ja nicht zu Behandlungen zwingen. Im Extremfall bedeutet das: Die ganze Familie muss jemandem beim Sterben zuschauen. 

„Der Verschwörungsglaube in der eigenen Familie ist immer noch ein Tabuthema“

Tatsächlich wirkt auch das Subreddit QAnonCasualties fast wie eine digitale Selbsthilfegruppe. Was kann es denn für Kinder von Verschwörungs-Eltern bewirken, wenn sie sich online miteinander vernetzen?

Solche Gruppen sind eine extreme Bereicherung und können eine große Stütze sein. Allein zu sehen, dass man nicht alleine ist. Und dass es okay ist, eine Kontaktpause zu wollen und Grenzen zu setzen. Denn: Der Verschwörungsglaube in der eigenen Familie ist immer noch ein Tabuthema. Ein Online-Forum, in dem Leute sich anonym austauschen können, kann da eine immense Entlastung sein. Grund für die Scham sind auch Vorurteile: Zum Beispiel, verschwörungsglaubende Menschen seien psychisch krank oder dumm. Aber das lässt sich wissenschaftlich nicht belegen. 

 

Ein User empfiehlt, Blocklisten auf dem Router der eigenen Eltern zu installieren, sodass bestimmte Websiten mit verschwörungsideologischen Inhalten geblockt werden. Klingt pragmatisch, aber was hältst du von dieser Maßnahme?

Blocklisten ohne Absprache auf dem Router eines Familienmitglieds zu installieren, ist stark übergriffig. Das würde ich niemandem raten. Wenn so etwas auffliegt, ist das Vertrauen verspielt. Ich nehme solche Anleitungen in erster Linie als Ausdruck einer großen Verzweiflung wahr. Diese Leute wissen sich nicht anders zu helfen. Sie haben das Gefühl: „Es hilft nichts, wenn ich eine Stunde lang gegenargumentiere, aber meine Mutter sich dann an den Rechner setzt und zehn Stunden QAnon-Videos auf Youtube schaut.“ 

 

Aber was hilft dann stattdessen?

Es ist zielführender, miteinander darüber zu sprechen, mit welchen Kniffen Verschwörungsideologen oft argumentieren und was einen stutzig machen sollte. Und darüber, wie Empfehlungsalgorithmen auf Youtube überhaupt funktionieren: warum man damit vorsichtig sein und auf eine ausgewogene Informationskost achten sollte. Wenn Menschen bestimmte Inhalte auf Youtube anschauen, dann neigt der Algorithmus dazu, uns Ähnliches vorzuschlagen. Dadurch geraten Menschen in toxische Communitys, aus denen sie so schnell nicht mehr rauskommen. Wichtig ist aber, solche Gespräche nicht erst zu führen, wenn derjenige bereits einem Fake aufgesessen ist, sondern auch Prävention zu betreiben.

 

„Vier, fünf Faktenchecker-Websites raussuchen und den Menschen nach Absprache Lesezeichen in den Browser setzen“

 

Dann soll ich meinen Eltern das Internet erklären?

Es braucht auf jeden Fall mehr Aufklärung darüber, was für Gefahren in Verschwörungsideologien schlummern und welche psychologischen Effekte dabei eine Rolle spielen, also warum Menschen das überhaupt anziehend finden. Oft wird dabei nämlich das Bedürfnis nach Einzigartigkeit, Kontrolle und Gemeinschaft befriedigt. Wenn man diese Mechanismen kennt, dann kann man vorsichtiger sein. Wir reden über Medienkompetenz hauptsächlich im Zusammenhang mit jungen Menschen – aber wir sollten nicht vergessen, dass die ältere Generation gar nicht mit dem Internet aufgewachsen ist. Das sind Menschen, die im Alter von 50, 60 Jahren zum ersten Mal ein Smartphone haben. Die haben nie gelernt: Wie unterscheide ich Fakes von Fakten? Was sind vertrauenswürdige Quellen? Nach welchen Kriterien werden mir in der Suchmaschine Ergebnisse angezeigt? Aber genau das sollten sie lernen. 

 

Also brauchen wir mehr Präventionsarbeit?

Ja. Wir sollten unseren Eltern und Großeltern frühzeitig Medienkompetenz vermitteln. Und zwar nicht oberlehrerhaft, sondern dabei auch von den Fehlern erzählen, die man selbst in der Vergangenheit mal gemacht hat. Eine praktische und nicht-übergriffige Art der Intervention wäre auch: Vier, fünf Faktenchecker-Websites raussuchen und den Menschen nach Absprache Lesezeichen in den Browser setzen. Aber wenn jemand ideologisch schon tief in QAnon abgetaucht ist, wird das nichts mehr bringen. Teil des Problems ist: Wir sprechen oft erst mit unseren Liebsten über Verschwörungserzählungen, wenn es schon zu spät ist. 

 

Wo ist denn der Punkt, ab dem Diskussionen und Faktenchecks nicht mehr helfen?

Wenn jemand Verschwörungserzählungen nur aufgeschnappt hat, reagiert er vielleicht total dankbar und freundlich auf einen Faktencheck. Anders ist es aber, wenn jemand schon Selbstwert- und Gemeinschaftsgefühl aus diesem Verschwörungsglauben zieht. Man ist Teil einer kleinen Gruppe, die glaubt, eine Wahrheit gefunden zu haben, die allen anderen verborgen ist. Dann fangen Menschen an, eine unbewusste psychologische Verteidigungsstrategie zu fahren. Das ist der Punkt, wo inhaltliche Argumentation schwierig wird. 

katharina nocun text

Katharina Nocun beschäftigt sich schon lange mit Verschwörungsmythen und dem Umgang damit.

Foto: Gordon Welters

„Verschwörungserzählungen sind kein Phänomen des Internets“

Und dann?

Dann kann man noch versuchen, eine emotionale Brücke zu bauen. Zum Beispiel, indem man sagt: Ich nehme deine Ängste wahr. Und man gleichzeitig kommuniziert, dass man selbst nicht an die Verschwörungserzählungen glaubt, vielleicht auch mit Fragen Zweifel weckt. Aber wenn die Person schon vollkommen in einem verschwörungsideologischen Weltbild gefangen ist, dann muss man sich als Angehöriger oder Freund klarmachen, dass es Grenzen der eigenen Möglichkeiten gibt. An irgendeinem Punkt muss man auch schauen: Wie geht es mir selbst damit? Oft sieht man in Online-Foren auch, dass viele mit ihren Angehörigen innerlich schon abgeschlossen haben. Einfach, weil sie alles versucht haben und nichts eine Veränderung bewirkt hat.

 

In dem Reddit-Forum wurde auch angemerkt, dass lieber die Plattformen Inhalte stärker moderieren sollten – bevor Einzelpersonen Router ihrer Eltern manipulieren. Was hältst du von dem Vorschlag?

Fakt ist, dass gerade auch nach dem Stürmen des Kapitols große Plattformen wie Facebook, Twitter und Youtube QAnon-Inhalte viel großzügiger von der Plattform verbannt haben. Es gibt aber immer noch zu viel davon. Und man darf nicht vergessen, dass viele Inhalte zwar nicht offen Verschwörungserzählungen verbreiten, aber Andeutungen enthalten. Auch die werden von den Anhängern verstanden. 

 

Inwiefern ist die Verbreitung von Verschwörungsideologien denn überhaupt ein Problem des Internets?

Verschwörungserzählungen sind kein Phänomen des Internets. Zur NS-Zeit hat die Mehrheit in Deutschland an eine angebliche jüdische Weltverschwörung geglaubt – ganz ohne Internet. Da immer die Schuld bei sozialen Medien zu suchen, halte ich für verkürzt. Es gibt Gründe dafür, warum Menschen solche Narrative immer und immer wieder anziehend finden. Nämlich, weil sie psychologische Bedürfnisse befriedigen. Und es kann hinter der Verbreitung von verschwörungsideologischen Narrativen auch eine politische Agenda stecken. Gerade mit Verschwörungserzählungen über Medien kann man sich prima vor Kritik immunisieren. Das kommt Politikern und Parteien mit sehr autoritärem Verständnis von Staatlichkeit zugute. Und das sind keine neuen Mechanismen. Gleichzeitig nutzen Verschwörungsideologen die sozialen Medien aber auch zur Verbreitung. 

  • teilen
  • schließen