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„Auch junge Menschen sind keine homogene Masse“

Hendrik Träger hält die Vorlesung „Politische Systeme“ an der Universität Leipzig.
Foto: Sebastian Willnow / dpa

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Eine bei jungen Menschen unheimlich starke AfD, so viele Stimmen für die Linke wie in keinem anderen Bundesland,  schwächelnde Grüne – so ganz schlau wird man aus dem Wahlergebnis der jungen Menschen in Thüringen nicht. Wie sich die Zahlen erklären lassen und welche Trends dahinterstecken, erklärt der Politikwissenschaftler Hendrik Träger von der Universität Leipzig.

jetzt: Klimawandel und Umweltschutz – das sind Themen, die sich in Deutschland quasi nicht mehr ohne Jugendbewegungen denken lassen. Sogar in Sachsen kamen die Grünen bei den unter 30-Jährigen  auf 19 Prozent. Warum bekommt die Partei in Thüringen bei den jungen Wählern nur 13 Prozent?

Hendrik Träger: Es fällt auf, dass bei allen Altersgruppen entweder die AfD oder die Linken auf Platz eins liegt – und keine der Parteien, die sonst stark sind. Die Linke hat den Grünen Wählerstimmen weggenommen, weil es zwischen der AfD und der Linken zu einer Polarisierung gekommen ist. Grüne, SPD und CDU mussten ziemlich Federn lassen. Einige Wähler wollten sichergehen, dass die AfD nicht die stärkste Kraft wird und haben aus taktischen Gründen die Linke gewählt – anstatt beispielsweise die Grünen.

Wählen Jüngere besonders häufig strategisch?

Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Auf jeden Fall lässt sich beobachten, dass bei jungen Wählern die Parteibindung schwächer ist, also quasi ihre Treue gegenüber einer Partei. Dabei ist es so: Da es die heutigen Parteien in Ostdeutschland erst seit der Wende gibt, ist die Parteienbindung ohnehin schwächer als im Westen. Die Wähler aller Bevölkerungsgruppen orientieren sich immer wieder um: Gehe ich überhaupt wählen und wenn ja, wen wähle ich?

Aber wenn es um den Klimaschutz geht, ist die Jugend doch sonst wenig kompromissbereit?

Schon, aber „Fridays for Future“ und die anderen Klimabewegungen sind in den Großstädten viel stärker ausgeprägt. Passend dazu haben wir in Sachsen und Brandenburg gesehen, dass die Grünen in Leipzig, Dresden und Potsdam Wahlkreise für sich gewinnen konnten. Thüringen ist aber stärker ländlich geprägt. Mit Erfurt gibt es nur eine Stadt, die mehr als  200 000 Einwohner hat. In ländlichen Räumen wird seltener grün gewählt.

Warum?

Schauen wir uns zum Beispiel die Infrastruktur an: Wenn ich jemandem vom flachen Land vorschlage, wir sollten jetzt alle öffentliche Verkehrsmittel benutzen, derjenige fährt aber 40 Kilometer in die nächste Stadt und der Bus kommt nur dreimal am Tag – dann haben die Vorschläge der Grünen hinsichtlich einer stärkeren Nutzung des ÖPNV wenig mit der Lebensrealität der Menschen auf dem Land zu tun.

Wählen junge Menschen eher Parteien am politischen Rand?

Keineswegs. Auch die jungen Menschen sind keine homogene Masse. Wie gesagt, für Leute, die aus Berlin, Hamburg oder München kommen, sind andere Sachen wichtig als für jemanden vom Land. Genauso kann man die AfD aus inhaltlicher Überzeugung oder wegen Björn Höcke wählen – es kann aber auch sein, dass man die Partei aus Unzufriedenheit gegenüber den anderen Parteien wählt. Wenn man erst 18 oder 20 Jahre alt ist, kann die Entscheidung auch durch die politische Meinung im Elternhaus beeinflusst werden. Das soziale Umfeld prägt die eigene Wahlentscheidung.

„Eine Minderheitsregierung könnte die AfD auf lange Sicht stärken“

Was man aber beobachten kann, ist, dass Männer eher die AfD wählen als Frauen. In Thüringen waren das 28 Prozent versus 17 Prozent. Was hat es damit auf sich?

Dass vor allem jüngere Männer Parteien jenseits der politischen Mitte wählen, ist ein häufig zu beobachtendes Phänomen und wird gelegentlich damit erklärt, dass Männer offenbar eine größere Affinität für radikalere Positionen in der politischen Debatte haben als Frauen.

Für Rot-Rot-Grün reicht es dieses Mal nicht. Macht eine Minderheitsregierung überhaupt Sinn?

Minderheitsregierungen sind spannend, weil man nicht genau weiß, wie eine solche Regierung die politischen Prozesse verändert. Da muss man Mehrheiten zu einzelnen Themen flexibel im Parlament finden, entweder mit Abgeordneten der FDP oder der CDU oder beiden abwechselnd. Das erschwert das Regieren natürlich, hat aber in Deutschland auch schon funktioniert: In Sachsen-Anhalt etwa gab es von 1994 bis 2002 das sogenannte Magdeburger Modell. Das war eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen und später der SPD allein, die sich von der Linken, die damals noch PDS hieß, tolerieren lassen hat.

Dann klingt das doch nach einer praktikablen Lösung?

In Thüringen wäre es vielleicht auf lange Sicht schlauer, sich doch in die schwierigen Koalitionsverhandlungen mit der CDU oder der FDP zu begeben. In einer Minderheitsregierung wäre die AfD vermutlich die einzige Partei, die keine Kompromisse eingehen würde und damit die einzige echte Oppositionspartei. Und das ist ein Narrativ, das die Partei bei der nächsten Wahl noch viel stärker machen könnte. Deshalb sollte die CDU oder die FDP doch noch mit der Linken reden.

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