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Frauen, wie sollen wir uns verhalten, wenn ihr belästigt oder gecatcalled werdet?

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Frauen,

als ich vor zwei, drei Jahren mit ein paar Leuten auf der Wiesn in München war, schafften wir es zu später Stunde doch noch endlich in ein Bierzelt. Es war eng, es war stickig. Die Masskrüge leerten sich schnell, die Menschen grölten und tanzten auf den Bänken. Irgendwann stiegen auch vier Freundinnen auf eine Bank, während ich mit ein paar anderen unten blieb. Und dann geschah das, was schon hundertfach, tausendfach, millionenfach auf solchen Feiern passiert ist: Ein etwa gleichaltriger Typ, der ebenfalls auf der Bank stand, griff einer der Freundinnen an den Hintern. Er blickte dabei völlig apathisch grinsend durch sie hindurch und war offensichtlich sturzbetrunken. Ich stand ein wenig entfernt von beiden daneben. Verdutzt schaute ich zu ihm, verdutzt schaute ich zu ihr. Und dann tat ich: nichts. 

Schon wenig später fragte ich mich: Wie feige war das denn bitte von mir? Warum ging ich nicht zu ihr, warum ging ich nicht dazwischen? Meine Freundin reagierte nicht weiter auf den Typen, sie blickte nicht hilfesuchend um sich, sondern tanzte auf der Bank weiter wie zuvor und nippte an ihrem Bier. Der Typ grabschte nicht noch einmal nach ihr; wenig später war er verschwunden. Als ich die Freundin ein paar Tage später auf die Situation ansprach, konnte sie sich nicht mal an den Grabscher erinnern. Hätte ich also nur unnötigerweise Ärger gemacht, wenn ich ihn zur Rede gestellt hätte? Hätte es sogar mackerhaft gewirkt, wenn ich mich eingemischt hätte? So, als müssten zwei Männer jetzt mal „was klären“? Andererseits: Vielleicht wäre es auch schlicht notwendig gewesen, um dem Sexismus und der Übergriffigkeit vieler Männer ausnahmsweise mal nicht nur in der Theorie, sondern ganz praktisch etwas entgegenzusetzen.

Dass es so einfach nicht ist, zeigt eine andere Situation: Eine andere Freundin erzählte mir einmal davon, wie sie auf einer Party von einem Mann mehr oder weniger aus dem Nichts sehr laut sexistisch beleidigt wurde, mit Worten, die wirklich niemand hören oder lesen will. Daraufhin schaltete sich ihr Freund ein. Er ging dazwischen, wies den Typen zurecht und schmiss ihn von der Feier. Ich war nicht dabei. Was ich aber weiß, ist: Dankbar war sie ihrem Freund dafür nicht. Sondern ziemlich sauer. Sie fühlte sich bevormundet. Als hätte sie das nicht selbst regeln können. Als wäre sie zu schwach, um sich zu wehren.

Ich habe das Gefühl, dass es ein ziemlich schmaler Grat ist, wie wir Männer richtig reagieren, wenn wir Zeugen von Catcalling oder Belästigung gegenüber euch werden. Die meisten Männer, die ich kenne, würden vermutlich eingreifen, wenn ihr uns darum bittet oder wenn wir merken, dass ihr jetzt wirklich Unterstützung gebrauchen könntet. Was aber, wenn es nicht so eindeutig ist? Sollten wir euch diskret im Flüsterton fragen, ob alles okay ist? Oder wäre es besser, wenn wir uns resolut und laut einschalten? 

Eure Männer

 

Liebe Männer,

Grabscher auf Partys, anzügliche Sprüche, Pfiffe und Gesten auf der Straße (Catcalling) – das sind unangenehme Momente, mit denen wir Frauen uns leider ständig auseinandersetzen müssen. Und weil die so oft vorkommen, sind wir fast schon ein bisschen daran gewöhnt. So erklärt sich mir zumindest die (Nicht-)Reaktion deiner Freundin, die den grabschenden jungen Mann neben ihr einfach ignoriert und anschließend vergessen hat. Das ist absolut verständlich und ich bin mir sicher, dass sich viele Frauen ähnlich verhalten. Wer will schon jedes Mal beim Feiern wieder Stress mit fremden, betrunkenen Typen anfangen und sich von denen die Partylaune vermiesen lassen? Ignorieren ist da erstens einfacher und zweitens manchmal sogar schlauer, weil der Täter dann nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die er sich von der Aktion erhofft hat.

Trotzdem sträubt sich etwas in mir, wenn ich deine Geschichte vom Oktoberfest lese. Ich bin der Meinung, dass wir in solchen Situationen eigentlich anders reagieren sollten. Nicht nur wir Frauen, sondern auch ihr Männer. Denn jedes Mal, wenn wir einen Grabscher, einen sexistischen Spruch oder eine andere Form der Belästigung einfach ohne Widerstand akzeptieren, werden diese Dinge für den Täter noch einen Ticken normaler. Der junge Mann, der deiner Freundin an den Hintern gefasst hat, hat damals wahrscheinlich einfach weiter getrunken, getanzt und gegrölt ohne jegliches Bewusstsein, etwas Falsches getan zu haben. Und seine Hemmung, der nächsten Frau an den Hintern zu fassen, ist vielleicht auch gesunken. Weil bei der ersten kein Gegenwind kam. Alleine deshalb wäre es vielleicht hilfreich gewesen, wenn du den Typen auf sein Fehlverhalten hingewiesen hättest. Das kann man nämlich auch, ohne gleich mackerhaft zu wirken. Mir wäre da ein lautes, aber gelassenes „Man fasst fremden Frauen nicht ungefragt an den Hintern“ lieber als ein aggressives, „Lass deine Finger von meiner Freundin“, mit gefletschten Zähnen und geballten Fäusten. Es kommt also vor allem auf Tonfall, Mimik und Gestik an. Ich weiß nicht, wie viel Zeit du in dem Moment hattest, um die Lage mit deiner Freundin zu besprechen. Aber auch das hätte dir wahrscheinlich geholfen, die Situation besser einzuschätzen. 

Um dich ganz grundsätzlich in deiner Annahme zu bestätigen: Wenn ihr merkt, dass wir Frauen belästigt oder gecatcalled werden, solltet ihr uns unterstützen. Denn bei aller Emanzipation ist es leider nach wie vor so, dass sich Männer eher von anderen Männern abschrecken lassen, als von den betroffenen Frauen selbst. Das ist zumindest mein Eindruck. Vielleicht, weil die Typen, die Frauen belästigen, auch sonst ein ziemlich misogynes Frauenbild haben. Und einen Mann deshalb ernster nehmen, so schlimm das auch ist. Und unterstützen bedeutet dann nicht, sich provozieren zu lassen und dem Täter aggressive „gleich gibt’s auf die Fresse“-Blicke zuzuwerfen. Unterstützen bedeutet, sich bestärkend hinter uns zu stellen, um unseren Worten mehr Macht zu verleihen. Den Täter ganz direkt darauf hinzuweisen, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist, besonders wenn ihr merkt, dass unsere Worte alleine nicht reichen. Und sich um die belästigte Frau zu sorgen, wenn sie geschockt, wütend oder verzweifelt ist. Keine Frau wird euch böse sein, wenn ihr sie kurz und ernst gemeint fragt: „Geht es dir gut? Wie kann ich dir helfen?“. 

Die Freundin aus deiner zweiten Geschichte kann ich deshalb gut verstehen. Offenbar hat ihr genau diese Empathie und Feinfühligkeit bei ihrem Freund gefehlt. Auch ich mag es nicht, mich von meinen männlichen Freunden bevormundet zu fühlen. Vor zwei Jahren war ich zum Beispiel mit einer Gruppe Freund*innen in einem Club. Während ich mir nach einiger Zeit den Weg durch die Menschenmasse zur Toilette bahnte, fasste ein älterer Mann mir von hinten mit beiden Händen an die Hüfte. Ich habe ihn sofort weggeschubst und ihm gesagt, er sollte seine Finger von mir lassen. Das hat er mit schielendem, betrunkenem Blick hingenommen und ich bin weitergegangen. Später, als ich wieder auf der Tanzfläche stand, erzählte mir eine Freundin, dass ihr gerade ein älterer, fremder Mann einen Kuss auf die Wange geben wollte. Als sie ihn mir zeigte, stellte sich heraus, dass es derselbe war. Wir regten uns lautstark über ihn auf, hatten aber auch das Gefühl, sein Verhalten angemessen abgeblockt zu haben. Wir wollten ihn deshalb bloß weiter im Auge behalten, falls er es bei uns oder einer anderen Frau noch einmal versucht.

Ein gemeinsamer Freund hatte diese Unterhaltung mitbekommen suchte daraufhin besagten Mann im Club. Alles weitere habe ich leider nicht mitbekommen – offenbar wäre fast eine Schlägerei ausgebrochen, als er ihn gefunden hatte. Meine Freundin und ich wussten zwar im Nachhinein, dass unser Freund nur helfen wollte. Begeistert waren wir von der Aktion aber nicht, denn der Partyabend war damit gelaufen. Wenn er uns einfach gefragt hätte, ob und wie er uns helfen kann oder einfach besser zugehört hätte, wäre es vermutlich nie zur Eskalation gekommen. 

Also ja, ich finde, dass ihr Männer euch ebenso wie wir gegen sexuelle Belästigung und Catcalling gegen Frauen einsetzen solltet. Gleichzeitig solltet ihr aber nicht überreagieren, aggressiv werden und Gewalt provozieren. Das macht es für uns nur noch schlimmer. Denn genau dann fühlen wir uns von euch bevormundet, als wolltet ihr uns in den Schatten stellen, der Täter bekommt dadurch viel mehr Aufmerksamkeit als er verdient hat und wir machen uns am Ende Sorgen um euch. Kurzum: Die gute Stimmung ist endgültig im Eimer.

Ich kann eure Unsicherheit verstehen, in manchen Situationen ist es nicht einfach zu entscheiden, wie man sich am besten verhalten sollte – auch nicht für uns Frauen. Es gibt eben nun mal nicht die eine absolut richtige Reaktion, die immer funktioniert. Und manchmal ist man vielleicht, ob als Betroffene oder als Zeuge, einfach zu überfordert, um überhaupt zu reagieren. Aber wichtig ist uns erstmal, dass ihr den Willen zeigt, uns zu unterstützen. Wenn ihr dann auch noch die nötige Empathie drauflegt, ist das eigentlich alles, was wir wollen. Denn nur wenn ihr wisst, wie es der betroffenen Frau in dem Moment geht, könnt ihr angemessen reagieren. Schon klar, manchmal bleibt keine Zeit, sich lange auszutauschen. Meistens merkt man aber auch ohne Worte – ob durch Gesten, Blicke oder die Reaktion der Betroffen selbst – was zu tun ist. Wie so oft heißt es also auch hier: Communication is key. 

Eure Frauen

 

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