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Früher war ich Sternsinger, mit schwarzer Farbe im Gesicht

Illustration: FDE

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Ich war fast zehn Jahre lang Sternsinger. Bis heute summe ich die Melodie von „Stern über Bethlehem“ jedes Jahr im Januar vor mich hin. Dieses Lied habe ich als Sternsinger besonders geliebt. Meine beiden jüngeren Brüder und ich bildeten ein Königs-Trio: Caspar, Melchior und Balthasar. Am liebsten war ich Caspar. Wer sich am Dreikönigstag als Caspar verkleidete, musste vorher keine Krone basteln. Es reichte aus, Omas Geschirrtuch als Turban zu binden. Dann warf ich mir noch schnell einen altgedienten Zauberumhang über die Winterjacke und ging los zur Pfarrgemeinde, wo meine Königskostümierung den letzten „Schliff“ bekam: die Schminke, viel schwarze Kinderschminke. Für mich hatte das etwas vom Verkleiden an Fastnacht. 

Das Wort „Blackfacing“ kannte mein Grundschul-Ich nicht

Auch wenn ich nicht katholisch bin, faszinierte mich dieser Brauch. Einer von deutschlandweit 300 000 Sternsinger*innen zu sein, die Spenden für Hilfsprojekte einsammelten, war ein spaßiges Abenteuer. Die Farbe in meinem Gesicht? Teil der Verkleidung. Selbstverständlich und nicht weiter hinterfragt. Das Wort „Blackfacing“ kannte mein Grundschul-Ich nicht, Rassismus war mir noch nie bewusst begegnet. Es gab Jahre, in denen ein Kaplan aus Nigeria uns Sternsinger segnete. Heute frage ich mich, wie er sich dabei gefühlt haben muss, Kindern gegenüberzustehen, die seine Hautfarbe imitierten. Wir haben nie darüber gesprochen.

Über den Begriff „Blackfacing“ bin ich erst Jahre später gestolpert. Er bezeichnet eine Praxis, die im 18. Und 19. Jahrhundert populär wurde und zum Teil bis heute nachwirkt: Weiße Menschen malen ihr Gesicht schwarz an, teils mit Kohle oder Schuhcreme, um Schwarze Menschen zu karikieren und herabzuwürdigen. In sogenannten Minstrel Shows, einer Schöpfung der amerikanischen Theater- und Kleinkunstszene, feierten weiße Darsteller mit schwarz angemalten Gesichtern damals Publikumserfolge. Sie stellten Schwarze Menschen als ständig fröhliche, singende und naive Versklavte dar, die ihre Besitzer*innen trotz harter Arbeit lieben. Rassistische Stereotype als Bühnenshow. Auch in Deutschland wurden so Menschen anderer Hautfarbe diffamiert.

Weiße Menschen schwarz anzumalen hat eine rassistische Tradition

Die schwarze Kinderschminke im Gesicht von Caspar hat damit erst mal nichts zu tun. Die drei Könige sind Botschafter der drei Kontinente, die zur Zeit der Entstehung des Brauchs bekannt waren: Europa, Asien und Afrika. Seit dem achten Jahrhundert gibt es künstlerische Darstellungen, die einen Schwarzen König als Vertreter Afrikas zeigen. Die Heiligen Drei Könige stehen für Vielfalt. In meinen Augen ein schöner Gedanke. Doch genügt die gute Absicht, um zwischen rassistischer Darstellung und positiver Tradition zu unterscheiden? Ich finde: nein. Weiße Menschen schwarz anzumalen hat eine rassistische Tradition. Auch wenn es gut gemeint ist: Unkenntnis lässt rassistisches Verhalten nicht weniger rassistisch werden. Das ist heute mein Standpunkt.

Damals als Sternsinger hatte ich andere Sorgen. In der Pubertät, als meine Gesangskünste schräger und mir die Auftritte vor den Haustüren von Bekannten zunehmend peinlich wurden, half die dicke Schicht aus Schminke, unerkannt und beherzt loszusingen. Wenn ich heute dagegen Bilder von mir mit schwarzer Schminke im Gesicht anschaue, fühlt sich das falsch an. Genauso wie die Vorstellung, diese Bilder in diesem Artikel zu veröffentlichen. 

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Als Henrik (links) als Kind und Jugendlicher als Caspar von Tür zu Tür zog, machte er sich noch keine Gedanken über seine Verkleidung.

Foto: Henrik Rampe
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Wenn Henrik (links) und seine beiden Brüder sich daheim fürs Foto aufstellten, war er noch nicht geschminkt. Ein Foto von sich mit schwarz bemaltem Gesicht würde er heute auch nicht mehr veröffentlichen wollen.

Foto: Henrik Rampe

Ich merke aber auch, dass ich mich auf dünnes Eis begebe, wenn ich als weißer Mensch versuche abzuschätzen, wo Rassismus anfängt und ab wann sich Mitmenschen verletzt fühlen können. Ich suche Rat und stoße auf die Autorin Alice Hasters. In ihrem Bestseller „Was weiße Menschen nicht 

über Rassismus hören wollen“ gibt es einen Abschnitt zu den Sternsinger*innen. Sie fragt sich, warum die schwarze Farbe für die beabsichtigte Aussage unbedingt nötig sein soll. „Von mir würde doch auch niemand erwarten, dass ich nur mit weißer Farbe im Gesicht einen weißen Charakter verkörpern kann“, schreibt sie. Einleuchtend, wie ich finde.

Zwischen meiner Sternsinger-Zeit und heute liegen gut zehn Jahre. Ein Jahrzehnt, in dem erstmals ein Afroamerikaner Präsident der Vereinigten Staaten wurde und Menschen auf allen Erdteilen unter dem Slogan „Black Lives Matter“ gegen strukturellen Rassismus protestierten. Es hat sich etwas verändert. Noch zu wenig, aber immerhin. 

„Sternsinger*innen stehen für Vielfalt, ohne schwarz geschminkte Kinder“

Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) ist Träger der Aktion Dreikönigssingen. Auf seiner Homepage empfiehlt der Dachverband schon seit mehreren Jahren, auf schwarze Schminke zu verzichten: „Wir glauben, dass der ursprüngliche Sinn der Tradition besser deutlich wird, wenn Kinder als Sternsinger*innen so gehen, wie sie eben sind: vielfältig in ihrem Aussehen.“ Kurz vor den vergangenen Weihnachtsfeiertagen machte der BDKJ aus seiner Empfehlung einen klaren Appell: „Sternsinger*innen stehen für Vielfalt, ohne schwarz geschminkte Kinder.“ In vielen Gemeinden in Deutschland gehen am 6. Januar aber weiterhin schwarz geschminkte Kinder von Tür zu Tür

In meiner Gemeinde ist die Schminke in den vergangenen Jahren nicht mehr aufgetragen worden, Plicht war sie für die Caspar-Darsteller*innen nie, eher Gewohnheit. Gleichzeitig war es ziemlich lästig, die Schminke am Abend des Dreikönigstages wieder zu entfernen. Ob es eher daran lag und man sich aus Pragmatismus irgendwann gegen sie entschieden hat oder ob auch ein neues Bewusstsein für Rassismus eine Rolle gespielt hat, lässt sich nicht sagen. Auf jeden Fall war es die richtige Entscheidung.

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