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„Die Frau wird als Trophäe instrumentalisiert“

In Berlin haben die Frauen von SHE36 gegen die Podiumgirls demonstriert - und ihrem Etappensieger den Mittelfinger gezeigt.
Bild: Sandra Wakat

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 Tamara Danilov hat vor fünf Jahren die Fixed Gear-Gruppe für Frauen „SHE36“ in Berlin gegründet. Die 32-jährige studiert Psychologie und arbeitet als Fahrradkurierin. Zusammen mit ihren Vereinsmitgliedern fährt sich auf Ausflüge, übt Tricks, veranstalt Workshops – und engagiert sich. Vor zwei Monaten haben die Frauen eine Petition gestartet, um die leicht bekleideten Podiumgirls bei der „Tour de France“ abzuschaffen. Die warten am Ende jeder Tagesetappe auf den Tagessieger, überreichen im Blümchen, geben ihm ein Küsschen und werden bisweilen von den Männern auch angefasst. Das wollen die Fixie-Freundinnen nun ändern. Wir haben mit Tamara in einer kurzen Pause zwischen zwei Kurierfahrten gesprochen.

jetzt: Tamara, ihr wollt die leichtbekleideten jungen Frauen abschaffen, die jeden Abend dem Etappensieger auf dem Podium ein Küsschen geben.

Tamara: Es geht uns darum, Sexismus im Sport und besonders im Fahrradsport zu beenden.

Aber eigentlich wollt ihr viel mehr: Frauen zu ermöglichen, auf der „Tour de France“ mitzufahren. Warum geht ihr diesen Umweg über die Podiumgirls?

Wir wollen mehr Wettbewerbe für Frauen, die genauso in den Medien repräsentiert sein sollen wie die der Männer. Frauen sollen gleichwertige Preise und gleich viele Sponsoren bekommen. Aber es gibt natürlich ein paar ältere sexistische Rudimente, die man erst einmal abschaffen muss, bevor man anfangen kann, Frauen im Radsport zu etablieren.

Dass die Männer die Frauen teilweise angegrapscht haben, wurde immer akzeptiert

Erstaunlicherweise scheint ausgerechnet die Formel 1 da etwas fortschrittlicher gewesen zu sein – die haben die „Grid Girls“ im vergangenen Jahr abgeschafft. Woran mag das wohl liegen, dass es die jungen Frauen im Radsport immer noch gibt?

Das wundert mich auch total, aber vielleicht liegt es daran, dass die Rennwagen-Szene so international ist und der Fahrradsport und die Rennen einfach eine sehr lange Tradition haben. Fahrräder gibt es schon viel länger als Autos und die Tour de France existiert schon seit 1903. Dadurch, dass das Rennen und alles drum herum so eine lange Geschichte hat, werden vermutlich auch die jungen Frauen, die mit Blumen am Ende auf die verschwitzten Männer warten, verklärt. Dass die Männer die Frauen teilweise angegrapscht haben, ist ja auf unzähligen Fotos dokumentiert, aber das wurde immer als akzeptables Verhalten wahrgenommen. Dabei haben die Chefs der „Tour de France“ schon 2018 versprochen, die Podiumsgirls abzuschaffen, sich aber dann nicht dran gehalten.

Ihr habt sogar schon Alternativvorschläge für die Siegerehrung, oder?

Bei den olympischen Spielen gibt es die Tradition, dass junge angehende Sportler oder Kinder die Medaillen überreichen dürfen – und die freuen sich natürlich total, ihrem Idol zu begegnen. Das sieht für die Zuschauer auch total süß aus und ist so viel familienfreundlicher als mit den sexualisiert dargestellten Frauen.

Nun ist die „Tour de France“ seit Jahren von Doping- und anderen Skandalen geplagt, das Zuschauerinteresse geht zurück. Aber ihr wollt dennoch Radrennen für Frauen öffnen. Man könnte ja auch sagen: Mit diesem System wollen wir nichts zu tun haben. Warum findet ihr es dennoch wichtig, dass auch Frauen da mitmachen?

Die „Tour de France“ ist das bekannteste und dadurch auch kommerziellste Rennen. Sie hat immer noch sehr viele Zuschauer und Sponsoren. Dieses Rennen hat seit Jahrzehnten unzählige Menschen darin bestärkt, zu trainieren und daran teilzunehmen. Gerade weil die „Tour de France“ so bekannt ist, wäre es so wichtig, dass auch Frauen dabei sein dürften.

„Ein paar sehr taffe Frauen, die sich als Männer verkleidet haben, sind mal mitgefahren“

War die Tour de France schon immer für Frauen verboten?

Es gab schon mal eine sogenannte „Tour de France“ für Frauen – von 1984 bis 2009, aber das war nicht vergleichbar: Die Frauen durften nur ein Viertel der Strecke fahren, sie hatten fast gar keine Sponsoren und kaum Autobegleitung, um kaputte Reifen oder Fahrräder zu ersetzen. Weil sich nicht mehr genug Sponsoren gefunden haben, wurde sie dann 2009 eingestellt. Bei der originalen „Tour de France“ waren Frauen nie zugelassen. Aber ein paar sehr taffe Frauen, die sich als Männer verkleidet haben, sind in den letzten hundert Jahren mitgefahren.

In den Kommentaren zu eurer Petition ärgern sich viele Menschen offenbar darüber, dass ihr die Podiumsgirls zum Thema macht. Hast du eine Idee, woran das liegen könnte?

Ja, es gibt viel Kritik. Und am Anfang haben wir auch noch auf viele Kommentare geantwortet und argumentiert. Einer der häufigsten Kritikpunkte war zum Beispiel, dass die Frauen ja freiwillig auf dem Podium stehen und von uns nicht gefragt wurden, ob sie den Job mögen oder als degradierend empfinden. Wir haben darauf geantwortet, dass es nicht um die einzelnen Meinungen der Frauen geht, sondern darum, dass der Job überhaupt angeboten wird. Es geht darum, dass es sozial akzeptiert ist, so einen Job anzubieten. Und was wir anprangern ist die sexistische Symbolik dieses Aktes. Es wird ein geschlechterbezogenes Über- und Unterordnungsverhältnis kreiert und die Frau wird als Trophäe instrumentalisiert.

„Uns wurde Neid vorgeworfen, weil wir zu hässlich für den Job seien“

Jetzt antwortet ihr nicht mehr auf Kommentare?

Nein, nicht mehr auf alles. Zum einen war es wegen der Masse gar nicht möglich und teilweise waren die Kommentare auch wirklich grenzwertig. Uns wurde Neid vorgeworfen, weil wir zu hässlich für den Job seien und aggressive Feminazis seien. Und natürlich kamen ständig Vorwürfe wie: Ihr weiße, privilegierte Frauen habt wohl nichts Besseres zu tun; in Afrika verhungern die Kinder und ihr wollt, dass Frauen Sport machen können. Auf solche Whataboutism-Argumente will man einfach nicht antworten.

Die Petition für die Abschaffung der Podiumsgirls kommt von deinem Verein „She 36“. Was macht ihr da?

Den Verein habe ich vor ungefähr fünf Jahren gegründet, als ich gelernt habe, Fahrrad zu fahren.

Entschuldige, darf ich kurz unterbrechen: Du kannst erst seit fünf Jahren Fahrradfahren?

Ha, diese Reaktion bekomme ich von vielen Menschen. Aber in meiner Heimat Russland habe ich nie Radfahren gelernt, weil das viel zu gefährlich war. Und später, als ich in so einer typisch russischen Ehe verheiratet war, durfte ich mich vor allem um den Haushalt kümmern. Nachdem ich mich von meinem Mann getrennt habe, habe ich mir dann 2013 ein Rad gekauft und es gelernt.

Was passiert denn, wenn ihr die anvisierten 25 000 Unterschriften zusammen habt?

Im besten Fall übergeben wir die Stimmen dem Chef der „Tour de France“ und er sagt: Wie toll, dass ihr das gemacht habt, jetzt schaffen wir die Podiumsgirls ab. Im schlimmsten Fall müssen wir ihn in Paris bei der letzten Etappe überfallen, die Security überwinden, sein Mikro schnappen und ihm die Unterschriften in die Hand drücken. Oder wir demonstrieren so lange weiter, bis sich etwas ändert.

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