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Werden Pflichtpraktika trotz der Corona-Krise anerkannt?

Foto: Annie Spratt / Unsplash / Bearbeitung: jetzt

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In vielen Studiengängen ist ein Praktikum Pflicht. Die Studierenden sollen für einige Wochen oder Monate raus aus dem Vorlesungssaal und rein in die Arbeitswelt. Da momentan jedoch ein Großteil dieser Welt still steht, können Student*innen die geforderte Berufserfahrung derzeit oft nicht sammeln. 

Da Social Distancing oberste Priorität hat, mussten vielerorts auch Praktika abgebrochen werden. Wer Glück hatte, wurde ins Homeoffice geschickt und kann nun von zu Hause weiter arbeiten. Aber zählt das überhaupt? Erkennen die Universitäten ein „Online-Praktikum“ an? Was passiert, wenn das Praktikum komplett abgebrochen werden muss? Wird es dennoch anerkannt, werden einzelne Stunden angerechnet oder muss noch mal von vorne begonnen werden? Und was bedeutet das für die oft zum Studienabschluss benötigten Credits durch Praktika?

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Leonie studiert im 4. Semester Jura an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

Foto: Privat

Diese Fragen stellt sich auch Leonie. Die 21-Jährige studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Jura. „Unser Studium ist ziemlich durchgetaktet. Klausuren, Hausarbeiten und Pflichtpraktika müssen in vorgegebenen Zeiträumen absolviert werden. Wer länger braucht, hat ein Problem, da wir uns bis zum neunten Semester zum Examen melden sollten, andernfalls fällt der Freischuss weg“, erzählt Leonie. Der sogenannte Freischuss, auch Freiversuch genannt, ermöglicht Jurastudent*innen, das erste Staatsexamen drei anstatt zwei Mal schreiben zu können. 

„Der ohnehin schon hohe Leistungsdruck wird durch die Corona-Krise noch größer“

Um in neun Semestern fertig zu werden, hält sich Leonie an die strikte Taktung des Studiums. In diesen Semesterferien schreibt die Uni ein sechswöchiges Praktikum in der Rechtspflege, also etwa in einer Kanzlei, vor. Leonie begann dieses bei einem Fachanwalt für europäische Menschenrechte in Bergisch-Gladbach. „Nachdem die Corona-Krise sich immer weiter zugespitzt hat, wurde ich ins Home-Office geschickt.“ Das ging, weil in Leonies Kanzlei ohnehin das meiste telefonisch oder per E-Mail erledigt wird. Bei einigen Freunde von mir ging das nicht. Sie mussten ihr Praktikum abbrechen, da viele Anwält*innen ihre Kanzleien wegen der Krise schließen mussten.“ 

Allein in Bonn waren bis vor kurzem circa 300 Jurastudent*innen im Praktikum. „Wir haben genaue Vorgaben für unsere beiden Pflichtpraktika. Wir dürfen sie nur in der vorlesungsfreien Zeit machen, also jetzt“, erklärt Leonie. „Wir haben Mails bekommen, dass wir das Praktikum entweder abbrechen können oder online fortsetzen sollen, sprich im Home-Office.“ Leonie hat sich für letzteres entschieden, was laut ihr bis jetzt auch gut klappt. Wann ihre Kommiliton*innen das Praktikum nachholen sollen, weiß noch keiner. „Wir können das Praktikum nicht einfach in den nächsten Semesterferien machen. Das steht eine große Hausarbeit an, im nächsten Frühling dann das zweite Pflichtpraktikum. Jetzt kein Praktikum zu absolvieren, kann also erhebliche Nachteile mit sich bringen.“

Im schlimmsten Fall müsste Leonie also länger studieren und auf den Freischuss verzichten. Wer diesen nicht bekommt, darf nur einmal durch das Examen fallen und muss beim zweiten Mal bestehen. Andernfalls steht man ohne Studienabschluss da, was bei Jura ohne „Bachelorabschluss“ als Zwischenetappe besonders heikel ist. „Der ohnehin schon hohe Leistungsdruck wird durch die Corona-Krise noch größer. Ich vertraue im Grunde aber darauf, dass die Uni kulante Regelungen findet, mit denen alle leben können”, sagt Leonie.

Das Praktikum im Homeoffice weiterzuführen, geht meist dort, wo sich der Hauptteil der Arbeit sowieso im Büro, am Schreibtisch abspielt. Wo viel gemailt, telefoniert und gechattet wird. In Berufen, in denen etwa zwischenmenschliche Kommunikation und Pädagogik im Mittelpunkt stehen, ist das schon schwieriger.

Bekomme ich dieses Praktikum überhaupt anerkannt? 

So musste die 21-jährige Lena ihr Praktikum an einem Gymnasium in Worms in Rheinland-Pfalz ziemlich abrupt abbrechen. Sie studiert an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz Biologie und Deutsch auf Lehramt. „Bei uns an der Schule gab es bereits am 12. März den ersten Corona-Fall. Über Nacht wurde direkt die Schule geschlossen. Da ging mir vieles durch den Kopf.“ Irgendwann kam dann auch die Frage auf: Bekomme ich dieses Praktikum überhaupt anerkannt? 

Nachdem wenige Tage später in ganz Deutschland die Schulen geschlossen wurden, hat ihre Universität jedoch schnell reagiert und einheitliche Regelungen festgelegt: „Wir bekommen das dreiwöchige Praktikum alle anerkannt. Müssen stattdessen nun zu Hause einige Arbeitsaufträge erledigen. Diejenigen, die das Praktikum am Ende der Semesterferien machen wollten und noch gar nicht begonnen hatten, haben ein paar mehr Aufgaben bekommen. Diejenigen, die es wie ich abbrechen mussten, hatten Glück und müssen nicht ganz so viele bearbeiten.“

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Lena studiert im 6. Semester Biologie und Germanistik an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.

Foto: Privat

Allerdings wäre Lena lieber in der Schule anstatt zu Hause rumzusitzen. „Ich mag die Arbeit mit den Schüler*innen sehr und freue mich immer auf die Praktika in den Semesterferien“, erzählt die 21-Jährige. In der Uni lerne sie bei der Laborarbeit und Gedichten auf Mittelhochdeutsch wenig darüber, wie Unterrichten vor einer Klasse wirklich sei. „Wie man alleine eine Klasse mit 30 aufgedrehten Schüler*innen bändigt, erklären die Professor*innen in keiner Vorlesung.“ Lena hofft, dass die Schulen in einigen Wochen wieder öffnen können. Vor allem Kinder aus sozial schwachen Schichten würden extrem unter der Situation leiden. „Ich arbeite ein paar Mal im Monat in einer Brennpunktschule in Mainz als Aushilfskraft. Viele Schüler*innen dort haben ein sehr schwieriges Umfeld. Da gibt es niemanden, der sich mit ihnen hinsetzt und Aufgaben erklärt. Das Konzept von Homeschooling klappt nur da, wo es engagiert Eltern gibt oder wo die Schüler*innen sehr selbstständig arbeiten können“, sagt Lena.

In Hinblick auf abgebrochene Pflichtpraktika können auf Studierende zudem große finanzielle Schwierigkeiten zukommen. Wird das Praktikum abgebrochen, muss es oft wann anders nachgeholt werden, was zu einer Verzögerung des gesamten Studiums führen kann. Länger studieren zu müssen, stellt für viele wiederum eine enorme finanzielle Belastung dar. Hinzu kommt, dass viele Student*innen finanziell von ihren Eltern unterstützt werden. Aufgrund des Coronavirus ist diese Unterstützung momentan oft nur eingeschränkt möglich. Schließlich haben auch viele Eltern finanzielle Einbußen, etwa durch Kurzarbeit. Hinzu kommt, dass Student*innen selbst Nebenjobs haben, die nun coronabedingt wegfallen. Somit wird die, ohnehin schon bestehende, soziale Ungerechtigkeit noch weiter verschärft. 

Durch spezielle Notfall-Beschlüsse haben Unis  die Möglichkeit die Prüfungsordnungen anzupassen

Inwieweit abgebrochene Pflichtpraktika nun anerkannt werden oder ob die Weiterführung des Praktikums im Homeoffice zählt, entscheidet jede Universität, jede Hochschule individuell. Susanne Schilden von der Hochschulrektorenkonferenz in Deutschland sagt dazu: „Von unserer Seite aus gibt es da keine allgemeine Empfehlung. Allerdings haben die Hochschulen durch spezielle Notfall-Beschlüsse aufgrund der Corona-Lage die Möglichkeit, ihrer Regelungen so anzupassen, dass den Studierenden nach aller Möglichkeit keine Nachteile entstehen.“

Susanne Schilden empfiehlt den Universitäten, jetzt flexibel zu sein. Prüfungsordnungen könnten so angepasst werden, dass auch abgebrochene Praktika anerkannt würden. Etwa dann, wenn ein gewisser Prozentsatz der Arbeitsstunden bereits absolviert wurde. „Oder man ergänzt das Praktikum um einen etwas umfangreicheren Bericht als sonst üblich. Eventuell verbunden mit einer Reflexion der Corona-bedingten Veränderungen im Betrieb bevor die Freistellung erfolgte“, erklärt sie. 

Zwar können Studierende so nicht die geforderte Arbeitserfahrung im Unternehmen sammeln, haben aber immerhin die Chance das Praktikum angerechnet zu bekommen. So würde wenigstens eine Verlängerung des Studiums sowie weitere finanzielle Unsicherheit für Student*innen vermieden werden.

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