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Asiatinnen bekamen selten so viel Aufmerksamkeit wie jetzt

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke; Foto: Pool / Reuters, dpa

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Ich hätte nicht gedacht, dass mich Bilder von einer Filmpremiere mal zu Tränen rühren würden – bis es neulich passiert ist. Anfang März, bei der digitalen Premiere des Disney-Films „Raya und der letzte Drache“, trug die Sprecherin der Hauptfigur etwas Besonderes: Kelly Marie Tran war in ein Áo dài gehüllt, also eine wunderschöne, traditionell-vietnamesische Tracht. Es gibt mehrere Gründe, weshalb mich Fotos davon so emotional haben werden lassen. 

Erstens hatte ich nicht damit gerechnet, diese vietnamesische Nationaltracht jemals mal auf einem roten Teppich zu sehen. Zweitens ist Trans Rolle in einem so großen Disney-Franchise eine beeindruckende Errungenschaft, besonders für eine Frau of Color. Drittens wirkte ihr Auftritt noch dazu wie der Sieg eines Kampfes: Nachdem sie – als erste Frau of Color in den Star-Wars-Filmen – online rassistisch und sexistisch attackiert worden war, hatte sie sich 2018 aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. „Raya“ ist also ein starkes Comeback. Und es gab auch einen vierten Grund, warum mir dieses Foto Tränen in die Augen trieb: Es war endlich mal wieder eine positive Nachricht. Und davon gab es gerade für Südost- und Ostasiat*innen zuletzt nicht so viele. 

Ich empfinde jede Würdigung asiatischer Frauen seit Corona als noch wichtiger

Wir erinnern uns: Nachdem Anfang 2020 das Coronavirus in China ausgebrochen war, begann der Rest der Welt, pauschal Asiat*innen als Virenschleudern und Pandemieverursacher wahrzunehmen. Weltweit kam es zu Ausgrenzungen, Anfeindungen und Übergriffen – auch in Deutschland. Bereits im März 2020 wurde eine Chinesin in München mit Desinfektionsmittel attackiert und bedroht. Im April 2020 kam es in Berlin zu einer körperlichen Attacke und sexistisch-rassistischen Beleidigungen gegen ein koreanisches Ehepaar. Und erst diesen Februar machte ein deutscher Radiomoderator internationale Schlagzeilen, nachdem er die koreanische Popband BTS mit einem Virus verglichen hatte. Diese Chronik lässt sich mit vielen weiteren Beispielen füllen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nennt „Menschen, bei denen eine asiatische Herkunft angenommen wird“, deshalb als Gruppe, die in der Corona-Krise besonders häufig und stark Diskriminierung erfährt. 

Genau aus diesem Grund empfinde ich jede Würdigung asiatischer Frauen derzeit als noch wichtiger, als ich es vorher schon getan hätte. Auch am 15. März, dem Tag, an dem die Oscar-Nominierungen bekannt gegeben wurden. Asiatische Filmschaffende schrieben dabei Geschichte. Chloé Zhao wurde als erste asiatische und überhaupt Frau of Color für die beste Regie nominiert, Steven Yeun und Riz Ahmed waren die ersten Schauspieler asiatischer Herkunft mit einer Nominierung für den besten Hauptdarsteller, Lee Isaac Chungs „Minari“ trat für den besten Film an und die koreanische Filmlegende Youn Yuh-jung wurde als beste Nebendarstellerin nominiert.

Für mich als asiatische Filmliebhaberin war es ein grandioser Tag. Denn noch vor fünf Jahren hatte Moderator Chris Rock bei der damaligen Oscar-Verleihung ostasiatische Kinder auf die Bühne geholt, um sie für einen klischee-beladenen Witz zu nutzen. Es war also ein aufregender Gedanke für mich: Dieses Jahr könnten dann endlich asiatische Filmschaffende auf der Bühne stehen, um eine Trophäe entgegen zu nehmen.

Eineinhalb Tage später erreichte mich die Nachricht über das Attentat in Atlanta, bei dem ein weißer Fundamentalist acht Menschen tötete, darunter Daoyou Feng, Hyun Jung Grant, Suncha Kim, Soon Chung Park, Xiaojie Tan und Yong Ae Yue – sechs Frauen asiatischer Herkunft. Der Täter hatte es konkret auf Massagesalons und Spas abgesehen. Die Frauen beschrieb er als „Versuchung, die er eliminieren wollte“ und bediente sich somit sexistisch-rassistischer Stereotype.

Montag: historischer Meilenstein, Mittwoch: traumatisierendes Attentat. Innerhalb kürzester Zeit bedeutete mein Asiatischsein größte Freude und dann größte Verzweiflung. In dem einen Moment freute ich mich darüber, dass Asiatinnen die längst überfällige Aufmerksamkeit in der Popkultur bekommen – im anderen wird mir wieder klar, dass wir aufgrund unserer bloßen Existenz immer Hass und Verachtung ausgesetzt sein können. 

Als ich die Meldungen aus Atlanta las, war ich tief erschüttert. „Das hätte auch Frauen wie meine Mutter, Tante oder deren Freundinnen treffen können“, war einer meiner ersten Gedanken. Das ist so das Ding an diasporischem Leben. Ein Attentat wie jenes in Atlanta kann tausende Kilometer entfernt stattfinden und trotzdem traf es mich mit voller Wucht. Eben weil ich ganz genau weiß, dass diese menschenverachtenden Mechanismen grenzenlos wirken. Auch hier in Deutschland ist die Mischung aus Rassismus und Misogynie für eine asiatische Frau tödlich ausgegangen. In einer Woche, am 11. Mai, jährt sich der Todestag der chinesischen Studentin Li Yangjie, die 2016 in Dessau vergewaltigt und ermordet wurde.

Die Erfolge stehen neben Trauer und Wut

Warum erzähle ich von all dem? Wahrscheinlich einerseits, um mir klar zu werden, was diese Ambivalenz bedeutet und mit mir macht. Gerade Ereignisse wie Chloé Zhaos Siegeszug durch die Filmpreislandschaft oder der Disney-Film sind mediale Meilensteine, auf die ich gewartete habe und an denen ich mich normalerweise lange freuen würde. Aber zwischen Pandemie-Unsicherheit, Todestagen asiatischer Opfer von Gewaltverbrechen und dem Nachklang des Atlanta-Attentats sind es eben doch nur popkulturelle Momente, die im Kontrast eher klein werden. Die Erfolge stehen neben der Trauer und der Wut. Es ist komisch, all diese Emotionen auf einmal zu spüren.

Trotzdem bin ich froh, dass so langsam immer mehr über verschiedene asiatische Lebensrealitäten gesprochen wird – über die guten popkulturellen Ereignisse und noch viel wichtiger: über die schmerzhaften Momente. Ich wünsche mir, dass wir jetzt da ansetzen und über asiatische Menschen als Opfer rechter Gewalt sprechen, unter anderem über Phan Văn Toản, Duy-Doan Pham, Nguyễn Văn Tú, Li Yangjie, Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân. Über Rostock Lichtenhagen, über die Ausbeutung vietnamesischer Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Über die vielen jungen Asiat*innen, die von deutschen Kliniken rekrutiert werden, um im Gesundheits-und Pflegewesen zu arbeiten. Über die im März stattgefundene Abschiebung von Tamil*innen nach Sri Lanka. 

Und tatsächlich bewegt sich auch einiges. Eine Initiativgruppe bestehend aus asiatisch-deutschen Akteur*innen hat einen Monat nach dem Attentat in Atlanta einen offenen Brief gegen anti-asiatischen Rassismus und mit gesellschaftlichen Forderungen veröffentlicht. Die Journalistinnen Minh Thu Tran und Vanessa Vu wurden erst kürzlich für ihre Podcastfolge „Hamburg 1980 – Als der rechte Terror wieder aufflammte“ ausgezeichnet. Darin erinnern sie an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, die 1980 von Rechtsextremisten ermordet wurden. Es sind herausragende Beispiele aus asiatisch-deutschen Communities. Jetzt liegt es an der Mehrheitsgesellschaft, hinzuschauen, zuzuhören und mitzudiskutieren.  

Die ersten Schritte auf dem Weg dahin werden gerade gemacht.

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