Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Warum wir es lieben, die immer gleichen Serien zu sehen

Warum schauen wir so gerne Serien wie „Friends“ oder „The Office“ doppelt und dreifach? Dieser Frage geht Nhi Le in The Female Gaze nach.
Fotos: Jon Ragel / Reuters / Tracey Neamy / picture alliance / dpa / Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

„Wie findest du The Underground Railroad?“, fragte mich neulich ein Freund, den ich für vieles, aber vor allem für unseren Austausch über Filme und Serien schätze. Ich musste dann gestehen, dass ich mir die neue Serie noch gar nicht angeschaut habe. Denn seit einigen Monaten tue ich mich schwer, Neues anzufangen. Aktuell schaue ich die Comedy-Serie „Broad City“ und zwischendurch immer wieder die Animationsserie „Avatar – Herr der Elemente“. Ich kenne die Dialoge, die schrägsten Witze, die emotionalsten Stellen. Denn ich schaue die Serien nicht zum ersten, sondern wahrscheinlich zum zehnten Mal. Und ich genieße sie immer noch.

Die Journalistin Alexis Nedd hat hierfür den Begriff „Comfort Binging“ geprägt. In einem Mashable-Artikel von 2019 schrieb sie, dass es beim „Comfort Binge“ um größtmögliches Vergnügen mit minimalem Aufwand gehe, darum, Gemütlichkeit zu schaffen.

Offensichtlich will ich derzeit genau das. Immer und immer wieder gemütlich sein und mich auf das verlassen, was ich schon kenne. Dabei stünde mir die Welt offen: Mittlerweile habe ich ein Abo bei Netflix, Amazon Prime, Disney Plus, Hulu und HBO Max. Obendrauf gibt es noch die ARD-Mediathek und natürlich auch Unterhaltung bei Youtube. Theoretisch hätte ich also Zugriff auf Abertausende Neuheiten. Aber genau das kann manchmal überfordern. Eine neue Serie zu beginnen, bedeutet schließlich, sich erst einmal ernsthaft mit dem Angebot auseinandersetzen zu müssen. Und dazu kann ich mich gerade während der Pandemie oft nicht aufraffen.

Ich kann mir sicher sein, dass mir die Serie gefällt und ich nicht enttäuscht sein werde

In so manchen Pandemiemonaten fühlte sich mein Kopf meist wie ein in Wasser aufgelöstes Stück Seife an. In so einem Zustand klicke ich mich mit gutem Willen durch ein paar Trailer oder fülle meine Watchlist auf. Am Ende wähle ich aber doch immer wieder das, was ich kenne. Einfach, weil ich sicher sein kann, dass es mir gefällt und ich nicht enttäuscht sein werde. 

Warum mache ich das immer wieder so? Ich frage bei einer Professorin nach, die ich, wie meine aktuellen Serien, von früher kenne. Dr. Denise Sommer hat mir 2013 im Bachelorstudium Theorien der Kommunikationswissenschaft gelehrt. Heute ist sie Professorin für Theorie der Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Ostfalia Hochschule, mit Schwerpunkt Medienpsychologie. Per E-Mail erklärt sie mir das Schauen aus Gewohnheit: „Das ist effizient, weil es Zeit und Energie spart, die wir für das Ausprobieren und Bewerten neuer Angebote bräuchten.“

Wir würden Bekanntes aber nicht nur als sichere Option bewerten, sondern fänden es auch besser und sympathischer. „Unzählige Experimente haben gezeigt, dass Personen Gesichter oder Musiktitel dann besser finden, wenn sie sie zuvor schon einmal gesehen oder gehört haben“, sagt Sommer und beschreibt damit ein Phänomen, das als Mere-Exposure-Effect bezeichnet wird. 

Tatsächlich finde ich die Charaktere meiner Lieblingsserien sympathisch. Aber mehr noch: Ich habe sogar das Gefühl, sie gut zu kennen. Das ist anscheinend nichts Seltsames – Vielmehr nennt man das laut Frau Sommer: eine parasoziale Beziehung beziehungsweise parasoziale Interaktion. Die Begriffe prägten die Psychologen Donald Horton und Richard Wohl im Jahr 1956 und beschreiben damit eine Beziehung, gar Freundschaft zwischen Zuschauer*in und Medienperson. Diese Beziehung ist weitestgehend imaginär, es gibt schließlich keine Interaktion zwischen den beiden.

„Ich will mich nicht von denen verabschieden“, dachte ich nach dem Ende der Serie

Parasoziale Beziehungen mit unseren liebsten TV-Charakteren können aber nicht nur Spaß, sondern auch großen Schmerz bedeuten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie traurig ich war, als eine meiner liebsten Sitcoms „Superstore“ dieses Jahr vorzeitig abgesetzt wurde. „Ich will mich nicht von denen verabschieden“, war da tatsächlich ein Gedanke und wenn ich so die Diskussionen im Subreddit verfolge, ging es vielen anderen Fans ähnlich. 

Die Kommunikationswissenschaftlerinnen Holly Holladay und Amanda Edgar haben diesen Effekt namens „parasocial break up“ in einer Studie von 2019 untersucht. Dafür interviewten sie Fans der erfolgreichen Sitcom „The Office“ während der letzten Monate der Serienausstrahlung. Eine Zuschauerin erzählte, dass sich das Ende der Serie so anfühlte, als würden ihre Freund*innen auf den Mars ziehen. Ein anderer Fan beschrieb, dass er ständig geweint habe, weil die letzten Szenen für ihn so emotional wurden. Ein Großteil der Fans empfand den Autorinnen zufolge „emotionalen Kummer“. Die Wissenschaftlerinnen betonten aber auch, dass es sich angesichts der Möglichkeit, die Serie noch öfter zu schauen, nicht wirklich um einen „break up“, also eine Trennung, handele. Die ständige Verfügbarkeit der Show könne die Verbindung zwischen Fan und Show sogar noch stärken – sodass die parasoziale Verbindung nie wirklich abbrechen muss.

Die emotionalen Fan-Statements zu „The Office“ wundern mich überhaupt nicht. Auf der Website Ranker, wo Nutzer*innen über alle möglichen popkulturellen Themen abstimmen könne, wurde „The Office“ auf Platz 1 der „Best TV Shows to Rewatch“ gewählt. Die Serie gehört auch zu meinen Favoriten. Neben „The Office“ zählen aber auch „Friends“, „Parks and Recreation“, „Seinfeld“ oder „Scrubs“ zu den beliebtesten Rewatch-Serien. Allen gemein ist, dass sie lustige, leicht verdauliche Sitcoms sind, deren Handlungen meist innerhalb einer Episode abschließen. Sie eignen sich also perfekt für einen „Comfort Binge“.

Rewatches sind die einfachste Möglichkeit der Zeitreise

Ich denke aber auch, dass wir Rewatches so lieben, weil sie die einfachste Möglichkeit der Zeitreise sind. Vergangenes Jahr begann ich Cartoons aus meiner Kindheit zu schauen, weil ich mit ihnen schöne Erinnerungen verbinde. Viele dieser Serien liefen früher bei mir nach den Hausaufgaben oder Samstagmittag, nachdem ich meinen Papa beim Einkaufen für seinen Laden begleiten durfte. Diese Serien sind eine Brücke in eine viel einfachere und unbeschwerte Zeit. 

Mein Postfach explodierte übrigens mal vor Zustimmung, als ich ein paar Bilder von Serien wie „Disneys Große Pause“ oder „Digimon“ auf Instagram postete. Nostalgie kriegt offenbar nicht nur mich – viele Leute lieben solche kleinen Zeitreisen. Denise Sommer erklärt das so: „Einmal positiv mit einem Angebot assoziiert, entwickeln wir das Bedürfnis, diese Emotion wieder und wieder zu erleben und uns dabei an die früheren positiven Erfahrungen zu erinnern.“

Wenn wir also statt der brandneuen Releases zum gefühlt hundertsten Mal unsere Lieblingsserie anschalten, ist es, weil sie uns Vergnügen bereiten, wie „alte Freund*innen“ wieder treffen oder uns in schöne Zeiten zurückversetzen können. Und gerade während der Pandemie sind das doch Dinge, die wir alle gerne erleben.

  • teilen
  • schließen