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Es werden zu wenig realistische Geschichten über nicht-weiße Menschen erzählt

Unsere Autorin nennt auch ein paar der deutschen Diversitäts-Leuchttumprojekte.
Foto: Youtube @DRUCK - Die Serie, Rainer Jensen / dpa; Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Ich erinnere mich noch genau an die dritte Staffel der Castingshow „Popstars“ aus dem Jahr 2003. Anh-Thu Doan schaffte es darin, Mitglied der Girlband „Preluders“ zu werden. Es war das erste Mal, dass ich eine viet-deutsche Person im Fernsehen sah. „Die ist ja so wie ich“, freute ich mich als Achtjährige. Castingshows waren die einzigen Sendungen, in denen ich ab und zu nicht-weiße Menschen im deutschen Fernsehen sah. 

Denke ich an die deutsche Fernsehlandschaft und vor allem an die fiktionalen Formate, verbinde ich das nicht mit Diversität oder vielfältigen Geschichten. Wer diese Kolumne schon seit einer Weile verfolgt, merkt, dass ich immer wieder englischsprachige Serien und Filme analysiere. Warum? In Deutschland gibt es selten etwas, das mich wirklich anspricht. 

Ich sehe mich nicht in der Zielgruppe von typischen Fernsehfilmen und -serien. Viele Produktionen scheinen einfach immer wieder in sehr ähnlichen Settings wie bei der Polizei (nur wenige beliebte Beispiele: Tatort, SOKO, Polizeiruf) oder im Krankenhaus (zum Beispiel Doctor’s Diary, Betty’s Diagnose, In Aller Freundschaft) zu spielen. Doch das ist nicht einmal das, was mich am meisten stört. Mich nervt die mangelnde Diversität an nicht-weißen Geschichten. 

Natürlich bin ich nicht die Einzige, die etwas an diesem Zustand auszusetzen hat

Meiner Meinung nach gibt es zu viele Formate, die suggerieren, dass in Deutschland nur weiße Menschen leben. Es wird eine Gesellschaft abgebildet, die so gar nicht aussieht. Viele vielschichtige Lebensrealitäten scheinen übersehen zu werden, obwohl sie existieren. In mir stirbt etwas, wenn ich talentierte Schwarze oder Schauspieler*innen of Color sehe, die (wie oft in Krimiserien oder -filmen) in Klischees als Geflüchteter, Drogendealer oder Prostituierte besetzt wurden. Diese Rollen sind oftmals stereotyp und können Vorurteile verfestigen. Besonders unangenehm finde ich es, wenn Schwarze oder Schauspieler*innen of Color Ausländer*innen mit dickem Akzent spielen müssen, obwohl sie eigentlich akzentfrei deutsch sprechen (zum Beispiel Nilam Farooq im Tatort „Roomservice“). 

Natürlich bin ich nicht die Einzige, die etwas an diesem Zustand auszusetzen hat. Mit der MTV Deutschland-Kampagne #KeinenRassismusProduzieren setzten sich Mitte Februar deutsche BIPoC-Schauspieler*innen und Unterstützer*innen gegen stereotypes Casting ein. Ich fand es wichtig, dass die Betroffenen selbst zu Wort kommen und betonen konnten, dass es ihnen um Teilhabe, Perspektivwechsel und ein neues Problembewusstsein geht. Die Initiativgruppe „Vielfalt im Film“ wertet derzeit eine Studie aus, die die Diversität der deutschen Film- und Fernsehlandschaft vor und hinter der Kamera untersucht, um nach eigenen Angaben die Filmbranche gerechter gestalten zu können. Der Schauspieler Tyron Ricketts ist ein besonderer Vorreiter in Sachen progressiver Wandel. Seine Produktionsfirma „Panthertainment“ produziert Formate mit einem Fokus auf People of Color und wird von der UFA, der größten Film- und Fernsehproduktionsfirma Deutschlands, unterstützt.

Film und Fernsehen sollten nicht nur aus moralischen Gründen auf Diversität achten

Im November 2020 ging die UFA selbst einen wichtigen Schritt. Das Unternehmen verpflichtete sich dazu, die gesellschaftliche Diversität in seinen Produktionen besser abbilden zu wollen. Konkret bedeutet das, dass „Frauen, People of Color, Menschen mit Beeinträchtigungen und die LGBTIQ*-Community sichtbarer“ gemacht werden sollen. In einem Interview in der FAZ sprach UFA-Geschäftsführer Nico Hofmann über die Notwendigkeit eines neuen Selbstverständnisses und des Abrückens von Klischees. Natürlich muss man schauen, wie sich die neue Selbstverpflichtung entwickelt, aber ich fand Hofmanns Worte erfrischend, fast schon ermutigend. Dabei spricht er nur aus, was längst selbstverständlich sein sollte. Marginalisierte sollten Mitspracherecht haben, nicht stereotyp, sondern in ihren vielschichtigen Lebensrealitäten dargestellt werden. Diese Veränderungen braucht die Wahrnehmung und Unterstützung von Verantwortlichen, so wie es die UFA jetzt vormacht.

Film und Fernsehen sollten nicht nur aus moralischen Gründen auf Diversität achten – auch wirtschaftlich ergibt das Sinn. Streamingplattformen brüsten sich bereits mit ihrem diversen Angebot, sprechen somit ein größeres Publikum an und generieren dadurch mehr Einnahmen. Netflix hat mit „Strong Black Lead“, auf Instagram und Twitter eigene Social Media-Kanäle, die sich nur Inhalten von und mit Schwarzen Protagonist*innen widmen. Bei den ersten deutschen Serien für Disney+ werden ebenfalls Schwarze und People of Color vor und hinter der Kamera stehen.

Um zu vermeiden, dass das Publikum für Fiktionales lieber bei den Streamern einschaltet, muss das deutsche Fernsehen nachziehen. Und zumindest geht etwas voran: Die aktuelle Staffel der funk-Serie „Druck“ ist für mich ein Leuchtturmprojekt der deutschen Fernsehlandschaft. Im Mittelpunkt steht die Schwarze, lesbische Schülerin Fatou. Sie ist verknallt in ihre viet-deutsche Mitschülerin Kieu My. Erzählt wird von Schulstress, Freundschaften, Erwachsenwerden. Der Cast repräsentiert viele verschiedene deutsche Jugendliche. Es sind Lebensrealitäten, von denen ich nie dachte, sie mal in einer deutschen Serie sehen zu können. Das liegt sicher auch am Team, dem unter anderem Faraz Shariat, Regisseur des bahnbrechenden Spielfilms Futur Drei (2020), angehört.

Eine weitere tolle Serie ist „Breaking Even“ von ZDFneo. Lorna Ishema ist eine der wenigen Schwarzen Protagonist*innen in deutschen Serien. Nach nur einer Staffel wurde das Format allerdings eingestellt. ZDFneo begründet das mit zu wenig Resonanz. Auf Twitter protestieren Fans unter #SaveBreakingEven. Eine Person schrieb, dass die mangelnde Promo des Senders zu den schlechten Zahlen beigetragen habe. Ganz egal, wo der Grund nun liegen mag – die Serie wird abgesetzt und somit wird die deutsche Fernsehlandschaft wieder ein bisschen eintöniger.

Das ist schade, denn so bleiben deutsche Formate, die sich explizit um das Leben von Schwarzen und People of Color drehen, erstmal eine Rarität. Wir sind allerdings hier. Wir wollen uns auch in Hauptrollen und als komplexe Charaktere auf den deutschen Bildschirmen sehen. Unsere Geschichten gehören genauso erzählt wie die von weißen Deutschen. Angesichts der vielen Akteur*innen, die sich für einen Wandel vor und hinter der Kamera einsetzen, bin ich jedoch zuversichtlich, in Zukunft öfter bei deutschen Formaten einschalten zu können.

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