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Liebe Gynäkolog*innen, wir brauchen mehr als das nächste Pillenrezept

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Während ich diese Kolumnenfolge konzipierte, schrieb mir eine vor Wut schäumende Freundin, ohne zu wissen, woran ich gerade arbeitete. Sie war gerade beim Gynäkologen gewesen, um sich wegen ihrer Zyklusprobleme beraten zu lassen. Der Arzt fragte sie, warum sie nicht einfach wieder die Pille nehmen wolle – um sich die Antwort kurzerhand selbst zu geben: Er wisse ja, „was für ein Unsinn in den Medien geschrieben wird“. Damit meinte er wohl pillenkritische Artikel. Dass es meiner Freundin nicht um Medienberichte, sondern um selbst erlebte Nebenwirkungen ging, schien er zu überhören. Genau wie ihr Anliegen, die Ursache ihrer Probleme zu ermitteln.

In einer repräsentativen Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) nennen 80 Prozent der Frauen ihre*n Gynäkolog*in als wichtigste Ansprechperson bei Verhütungsfragen. Ansprechpersonen bei Zyklusproblemen wurden nicht abgefragt, doch die Zahl würde vermutlich ähnlich oder noch höher ausfallen. Gleichzeitig häufen sich Berichte über Ärzt*innen, die unzureichend beraten. Bei einem Test des ZDF in Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale Hamburg kam beispielsweise heraus, dass von 28 zufällig ausgewählten Frauenärzt*innen mehr als drei Viertel die vermeintlichen Patient*innen nicht nach Vorerkrankungen oder bestimmten Risikofaktoren fragten, durch die bestimmte Hormonpräparate gefährlicher für sie sein könnten.

Unzureichende Verhütungsberatung kommt auch daher, dass dieser Aspekt wenig in der gynäkologischen Ausbildung gelehrt wird 

Um zu ergründen, warum das so ist, sollte man allerdings nicht alle Ärzt*innen verteufeln, sondern mehrere Perspektiven im komplexen medizinischen System betrachten. Für eine mutmaßlich gesunde Frau ohne Kinderwunsch, die Sex mit Männern hat, ist die Wahl der Verhütungsmethode oft das wichtigste Anliegen beim Arztbesuch. Die Facharztausbildung wiederum findet meist in der Klinik statt – wo es meist um völlig andere Situationen geht. Deshalb, so erklärt Ärztin und Autorin Dorothee Struck, sind Frauenärzt*innen zwar in der Lage, einen Notkaiserschnitt zu machen, kommen aber in ihrer Ausbildung wenig mit Verhütungsfragen in Berührung – lange war dieser Aspekt nicht einmal fester Bestandteil der Facharztausbildung für Gynäkologie. Struck beschreibt, wie sie sich aus eigenem Interesse über hormonfreie Alternativen wie das Diaphragma und die symptothermale Methode (eine Kombination von Temperaturmessen und Zervix-Schleim oder Veränderungen des Muttermundes untersuchen, Anm. d. Red.) informierte und weiterbildete. Das tun natürlich längst nicht alle – schließlich gibt es viele mögliche Schwerpunkte in einem vielfältigen Fachbereich.

Doch auch unabhängig von Verhütungsfragen wird dem natürlichen Zyklus und seinen körperlichen Anzeichen wenig Bedeutung beigemessen. Wie man die Aufwachtemperatur, Zervixschleim und Veränderungen des Muttermunds beobachtet, lernt man meist weder als Laie noch als Mediziner*in – obwohl diese Praktiken wissenschaftlich gut belegt und bei der Diagnostik hilfreich sind. Wenn man das nicht weiß – oder die Zeit nicht reicht, um es zu erklären – ist es aus Ärzt*innensicht naheliegend, die Pille nicht nur bei Verhütungsbedarf, sondern auch bei diversen Zyklusbeschwerden zu verordnen – schließlich sorgt sie für „einen regelmäßigen Schein-Zyklus, weniger Schmerzen, weniger starke Blutung (...)“, so Struck. Was sie allerdings in den meisten Fällen nicht kann: Die Ursache der Probleme behandeln. Diese kommen nach dem Absetzen daher oft zurück. 

Verdienen Ärzt*innen an der Pille? So einfach ist es nicht 

Wenn man wie meine Freundin zum x-ten Mal zur Pille gedrängt und sogar noch blöd angeredet wird, wenn man sie ablehnt, fühlt man sich ziemlich ohnmächtig – und fragt sich, warum der Ärzt*innenbesuch schon wieder so unbefriedigend verlaufen ist. „Weil die Ärzte an der Pille verdienen“, heißt es oft – aber so simpel ist es nicht. Entgegen des weit verbreiteten Mythos bekommen Ärzt*innen keine Provision für verschriebene Medikamente. Was es allerdings tatsächlich gibt, ist die sehr umstrittene Praxis der sogenannten Anwendungsbeobachtung (AWB). Hierbei bieten Pharmafirmen Ärzt*innen ein Honorar, wenn sie ein bestimmtes Medikament verschreiben und anschließend einen Fragebogen zur Zufriedenheit der Patient*innen ausfüllen – offiziell zur Beobachtung von Nebenwirkungen. Das betrifft auch einige Antibabypillen. Das Recherchekollektiv Correctiv schrieb dazu in Bezug auf das Jahr 2016: „575 Millionen Euro flossen an mehr als 71 000 Ärzte und medizinische Einrichtungen in Deutschland. Nur 20 000 Ärzte sind aber einverstanden, dass ihr Name veröffentlicht wird.“

Wissenschaftlich seien diese „Studien“ wertlos, sagt Jürgen Windler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Abgesehen davon seien Ärzte sowieso verpflichtet, Nebenwirkungen und Auffälligkeiten in Zusammenhang mit Medikamenten an die zuständige Behörde zu melden. Correctiv hat eine Datenbank mit Suchfunktion angelegt, in der man ein Medikament eingeben und überprüfen kann, ob es bei AWBs eingesetzt wurde. Die Hormonpräparate, die mir im Laufe des Lebens verordnet wurden, sind nicht darunter. Gut möglich, dass die verschreibenden Ärzt*innen schlichtweg von der Richtigkeit der Maßnahmen überzeugt waren. Risiken und Nebenwirkungen werden allerdings auch von der besten Intention nicht gemindert – vor allem, wenn nicht einmal Kriterien wie Migräne mit Aura oder Thromboseanfälligkeit abgefragt werden.

Mit Zyklusbeobachtung können wir uns selbst empowern. Doch vor allem muss sich das System ändern

Doch selbst, wenn ein*e Ärzt*in bereit ist, statt dem nächsten hormonellen Mittel lieber die natürlichen hormonellen Werte der Patient*in zu testen, gibt es noch Hürden. Denn die Blutabnahme erfolgt standardisiert, beruhend auf der Annahme, dass der Eisprung etwa an Tag 14 stattfindet. So wird beispielsweise der Progesteronspiegel (Progesteron ist das Hormon, das in der zweiten Zyklusphase ab dem Eisprung stark ansteigt), meist auf Basis einer Blutprobe vom 19., 21. und/oder 23. Zyklustag getestet. Ich zum Beispiel habe in manchen Zyklen erst später meinen Eisprung – mein Progesteronwert wäre dann laut Test katastrophal, während ich in Wirklichkeit einfach noch in einer anderen Zyklusphase bin.

Diese Problematik beschreiben auch die Mediziner*innen der „Sektion Natürliche Fertiliät“, die zu Fruchtbarkeit und Zyklus forschen, in ihrem Buch „Natürliche Familienplanung Heute“. Laut ihnen ist ein angeblicher Progesteronmangel „die häufigste gynäkologisch-endokrinologische Fehldiagnose“. Dabei gibt es bereits ein gut erforschtes System, mit dem solche individuellen Faktoren berücksichtigt werden können: Die Natural Cycle Monitoring Method (NCM), bei denen Frauen* durch Selbstbeobachtung Zyklusaufzeichungen anfertigen. Ärzt*innen können diese Dokumentation dann zur Basisdiagnostik heranziehen und in Absprache mit Patient*in Untersuchungen für die individuell richtigen Zyklustage planen.

Ein paar Einheiten zu diesem Thema spätestens in der Facharztausbildung wären allerdings nötig, um es in der Praxis anwenden zu können. Und selbst dann bliebe noch das Problem des Zeit- und Budgetmangels pro Patient*in, das Mediziner*innen selbst bemängeln. Das ist ein Problem des Gesundheitssystems, keine Ignoranz einzelner Behandelnder.

Was Ärzt*innen hingegen vermeiden können, ja müssen: Patient*innen dafür abzuwerten, ihren eigenen Körper verstehen und selbstbestimmt über ihn zu entscheiden zu wollen.  

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