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Was uns Instagram bedeutet

Instagram wird zehn Jahre alt – und wir sammeln ein paar Anekdoten, die zeigen, was wir mit der Plattform verbinden.
Illustration: FDE

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Instagram wird zehn Jahre alt. In dieser Zeit hatte die Plattform gewaltigen Einfluss: Nach Angaben des Unternehmens sind mehr als eine Milliarde Accounts monatlich aktiv, mehr als 500 Millionen Menschen nutzen Instagram-Stories. Über die App kann man Prominenten durch den Tag folgen. Andersherum können Menschen plötzlich zu Promis beziehungsweise Influencer*innen werden – manchmal, ganz ohne irgendetwas besonderes zu können. Sogar ein Ei hat es geschafft: Das World Record Egg hält bis heute den Rekord des meistgelikten Beitrags auf Instagram. (Auch, wenn es dem Druck der schönen Scheinwelt am Ende doch nicht Stand halten konnte.)

Doch was bedeutet die Plattform für Normalos, ohne Ambitionen zum Influencer*innentum? Die meisten unserer Redaktionsmitglieder nutzen Instagram seit Jahren, andere boykottieren es. Für jede*n aber hat die App Auswirkung auf das eigene Leben gehabt.

Lara ist durch Instagram zur „Pferdefrau“ geworden:

Instagram hat mich in eine Bubble geholt, in der ich zuvor nie war. In die Welt der Pferdemädchen und -frauen nämlich. Zuerst folgte ich nur einer einzelnen Reiterin, weil ich sie persönlich kannte und ich mich etwas über ihren massiven Erfolg auf Instagram wunderte. Und dann ging eigentlich alles ganz schnell. Mich interessierte irgendwann tatsächlich, wie es ihrem Pferd ging, was es fraß, welche Schabracken es trug. Und dann interessierte es mich plötzlich auch, wie es den Pferden ihrer reitenden Freund*innen ging. Ich folgte immer mehr Accounts, tauchte immer tiefer ein in die Ställe Deutschlands, später auch die Ställe der Niederlande, Dänemarks, der USA.

Kein Wunder eigentlich. Ich kompensierte mit der digitalen Pferdewelt ganz offensichtlich, dass ich in die wahre Pferdewelt nie hatte eintauchen können. Denn Reiten und Pferdehaltung sind teuer, meine Familie konnte sich das für mich nicht leisten. Umso schöner also, dass ich über Instagram einen Weg gefunden habe, das Hufgeklacker, das Schnauben der Nüstern und das Wiehern, das ich als Kind schon gerne täglich um mich gehabt hätte, trotzdem zu hören.  

Mayank hat’s probiert – und wieder sein lassen:

Etwa vor einem Jahr, da wollte ich Instagram wirklich eine Chance geben. Bis dato sperrte ich mich kategorisch gegen Social Media und lehnte jede Form der Selbstdarstellung über Facebook, Insta und Co. ab. Zu oberflächlich, zu schnelllebig, macht süchtig. Ihr kennt diese und weitere Argumente. Ich beschloss also, mich zu öffnen und legte ein Profil an.

Auf meinem Profil war ich schon bald genau der Boulderer, Kletterer und Naturbursche, der ich immer schon sein wollte. Die Kommentare waren positiv und ich genoss selbstverständlich die Herzchen und Follower*innen, die sich nach und nach ansammelten. Zwar wusste ich schon vor dem Selbstexperiment um den Sog, den Insta auf seine User*innen ausübt, aber ich unterschätzte ihn. 

Nach etwa vier Wochen begann ich, mich über mich selbst zu wundern. So sehr, dass ich das Experiment schnell für beendet erklärte. Für meinen Geschmack hatte ich einfach zu viel Zeit auf der Plattform verbracht. Außerdem merkte ich, dass ich mich auf unangenehme Weise mit anderen Menschen zu vergleichen begann. Ich bin ohne Instagram entspannter.  

Franzi kann durch Instagram ihrer Familie im Ausland näher sein: 

Instagram ermöglicht mir, meiner Familie nah zu sein, während sie mir eigentlich fern ist. Denn die meisten meiner Familienmitglieder leben im Ausland: in Iran, aber auch Frankreich, Kanada, USA, Australien, Dubai und England. Durch Sprachbarrieren, aber auch unterschiedliche Höflichkeitsnormen, ist es für uns oft nicht leicht, uns auf konventionellen Kommunikationswegen wirklich nah zu sein. Es ist schier unmöglich, mit allen von ihnen regelmäßig Kontakt via Telefon oder Textnachrichten zu halten – bei Instagram passiert die Kontaktaufnahme aber automatisch.

Durch die Posts und Stories meiner Familienmitglieder bekomme ich einen Einblick in ihren Alltag. Dadurch kann ich in die Küche meiner Cousine mitkommen, während sie ein persisches Gericht zubereitet und ihr Baby (das ich noch nie live gesehen habe) im Hintergrund vor sich hin brabbelt. Oder in das Teenie-Zimmer meiner Nichte zweiten Grades, während sie Tiktok-Tänze aufnimmt oder sich die Haare „heimlich“ blau, pink, rot und lila färbt. 

Genauso nimmt meine Familie an meinem Leben Teil. Von meiner iranischen Familie bekomme ich auf jeden Post, oft schon nach wenigen Sekunden, Reaktionen. Und das, obwohl sie meist gar nicht verstehen, worum es geht. Trotzdem regnet es dann Blümchen, Herzchen und Liebesbekundungen auf Farsi und Englisch. Diese bedingungslosen Lovestorms rühren mich immer sehr, obwohl sie manchmal auch ein bisschen wehtun, weil sie die Sehnsucht nach Nähe offenlegen. Trotzdem bin ich Instagram sehr dankbar dafür. 

Max teilte ein Foto vom Viktualienmarkt zu Coronazeiten – das dann berühmt wurde:

Sommer 2011, ich suchte nach einer App, um meine mittelmäßigen Fotos auf dem damals mittelmäßigen iPhone zu bearbeiten. Als ich Instagram fand und Filter über meine Kunstwerke legte, fühlte ich mich wie ein Time-Fotograf. Irgendwann hatte eine Handvoll Follower und dachte: geil. Da geht mehr, davon lasse ich mir Reisen ans andere Ende der Welt zahlen und teure Klamotten und überhaupt, so „richtig“ arbeiten muss ich bestimmt auch bald nicht mehr, wenn ich erstmal die damals ominöse 10k-Grenze überschritten habe.

Und was hat mir das eingebrockt? Nur noch mehr Arbeit. Ich sammelte nur etwas mehr als 2000 Follower, doch es langweilte mich bald, dass es nicht schneller nach oben zum #instafame ging. Also stellte ich mein Profil auf privat, ich hatte keine Lust mehr, dass die ganze Welt zusehen konnte, was ich so postete. Der kleinere Kreis aber reichte auch aus, da er tatsächlich aus vielen Medien-Leuten besteht. Einige Fotos schafften es so schon in einige Medien, andere lasen meine Bildunterschriften oder sahen meine Storys und fragten mich nach Texten – und manch einer beauftragte mich tatsächlich sogar als Fotograf. Alles nur, weil ich ein inzwischen ganz gutes iPhone habe und Bilder bearbeiten kann - was für jeden ausgebildeten Fotografen ein Schlag ins Gesicht sein muss.

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Max machte im März im Vorbeigehen ein Foto vom Viktualienmarkt während der Corona-Phase. Manche glauben sogar, dieses Foto habe zum späteren Lockdown beigetragen.

Foto: Max Sprick

Einmal aber gelangte eines meiner Fotos aus meiner Story doch in die weite Welt: Als ich im vergangenen März – die Debatte über das neuartige Coronavirus war gerade voll im Gange – am Münchner Viktualienmarkt vorbei ging, hielt ich kurz mein Handy hoch und fotografierte die abstands- und sorgenlos trinkende Menschenmasse. In den Tagen danach war das Foto überall. Etliche Fernsehsender zeigten es, bei “Hart aber fair” sprach Wirtschaftsminister Peter Altmaier darüber. Eine Kollegin schrieb mir, mein Foto würde sicher in jedem Jahresrückblick gezeigt - und in einem Artikel stand sogar, ich hätte zum in der Woche danach auferlegten „Lockdown“ beigetragen.

Leonie holt sich die Berge in ihren Alltag:

Auf meinem Instagram-Account sieht man vor allem eins: Berge. Aus meinem Alltag poste ich so gut wie nie etwas – es würde mich schlicht viel zu sehr stressen, Instagram mitzudenken, wenn ich mit Freund*innen essen oder am Wochenende spazieren gehe. Dafür dokumentiere ich auf Instagram fast jede Wanderung, jeden Klettersteig, jede Hüttentour. Dadurch habe ich auch erst wirklich gemerkt, wie sehr das eigene Instagram-Verhalten beeinflusst, wie andere einen sehen. Gefühlt jeden dritten Tag höre ich in etwa diesen Satz: „Du bist ja auch nur in den Bergen unterwegs!“ Das ist natürlich (leider) völliger Quatsch. Ich poste nur einfach nichts anderes.

Auch in meinem Feed tauchen entsprechend viele Fotos von markanten Gipfeln und Menschen in ausgewählter (beziehungsweise gesponserter) Outdoor-Kleidung auf. Oft ärgere ich mich über völlig unnatürliche Bildbearbeitung, Drohnen-Fotos aus dem Naturschutzgebiet oder Bilder von Zelten an absurden Orten. Auch unter Outdoor-Influencer*innen herrschen längst unrealistische „beauty standards“, die im schlimmsten Fall auch noch der Umwelt schaden. Aber gleichzeitig merke ich, wie sehr es mich inspiriert und motiviert, wenn ich in meinem Feed neue Wanderziele oder Ideen für Motive entdecke. Dadurch habe ich immer etwas Outdoor-Feeling im Alltag. Manchmal frage ich mich allerdings auch, ob ich meine Kamera einfach mal daheim und mein Handy im Rucksack lassen sollte, wenn ich wandern gehe. Dafür halte ich diese kostbaren Momente aber viel zu gerne fest und, ja, zeige sie anderen.

Sophie findet auf Instagram ständig was Neues: 

Manchmal sitze ich daheim so rum, starre auf mein Handy – und wenn mein Freund dann fragt, was ich mache, sage ich sehr oft: „Instagram!“ Klar, Instagram ist ein Zeitfresser, aber einer, der so viel weniger sinnlos ist als, zum Beispiel, Candy Crush zu spielen. Meist habe ich nach der halben Stunde, die ich mich durch Stories und Profile klicke, so viel Neues gefunden. Bücher, die ich lesen will, Projekte, über die ich schreiben will, Frauen, die ich interviewen will, Filme, die ich sehen will. Ich folge vor allem sehr politischen Menschen, anderen Journalist*innen, queeren Aktivist*innen. Ständig mache ich Screenshots oder speichere Posts ab. 

Ich nutze Instagram auch für die Arbeit, finde da Protagonist*innen oder frage meine Follower*innen, was sie zu einem Thema denken. Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut das funktioniert. Und fange oft, wirklich sehr oft, einen Themenvorschlag an mit dem Satz: „Ich hab da gestern was auf Instagram gesehen“. Wenn ich morgens sehe, dass ein bestimmtes Thema in vielen Insta-Stories geteilt wird, kann ich relativ sicher sein, dass es in einigen Tagen auch außerhalb von Instagram noch wichtig werden wird. Klar, vieles auf Instagram ist Fake. Und sicher ist nicht jede Minute, die ich da verbringe, sinnvoll investiert. Am Ende aber würde ich so viel, was ich heute kenne und mag, ohne Instagram vielleicht nicht kennen. Und das liebe ich. 

Sandra trägt wegen Instagram die Haare kurz:

Es ist knapp zwei Jahre her: Ich spielte schon etwas länger mit dem Gedanken, meine Haare abzuschneiden, die mir zu diesem Zeitpunkt fast bis zu den Hüften gingen. Gleichzeitig hatte ich aber auch immer Angst, ich könne die Entscheidung bereuen. Ohne es bewusst wahrzunehmen, folgte ich auf Instagram zunehmend Frauen mit kurzen Haaren und rutsche allmählich in die „Short-Hair-Bubble“ ab. Zwischen Bob und Pixie-Cut verteilte ich meine Likes und immer, wenn ich eine Weile durch Instagram scrollte, wollte ich am liebsten direkt selbst die Schere anlegen.

Irgendwann stieß ich auf eine Influencerin, die in ihrer Story von ihrer Haarspende erzählte. Ich wurde neugierig und informierte mich. Als ich feststellte, dass ich mit meinem Friseurbesuch gleichzeitig auch etwas Gutes tun kann, war die Entscheidung – und wenig später die langen Haare – gefallen. Meine beiden geflochtenen Zöpfe schnitt ich mir beim Friseur selbst ab und packte sie anschließend in einen Umschlag, um sie an eine Organisation zu schicken, die daraus Perücken für krebskranke Kinder anfertigte. Der Friseur verwandelte mein verschnittenes Etwas in einen Bob und ich war mehr als glücklich, als ich am Ende in den Spiegel sah. Auch, wenn ich meine Haare mittlerweile wieder länger trage, habe ich die Entscheidung nie bereut. Instagram hat mir dafür den entscheidenden Schubser gegeben.

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