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Wer nicht ständig weiter lernt, verliert seinen Job?!

Sind wir gezwungen, uns stetig weiterzubilden, um unseren Job zu behalten?
Collage: Janina Schmidt

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Barack Obama las als Präsident jeden Tag eine Stunde lang in seinem Büro. Warren Buffett, der als bester Investor der Geschichte gilt, investierte 80 Prozent seiner Zeit in Lesen und Nachdenken. Und Bill Gates las während seiner Karriere ein Buch pro Woche: Während wir Normalsterblichen sagen, wir hätten keine Zeit für solche Extras, bilden sich die wohl beschäftigtsten Menschen der Welt jeden Tag weiter. Denn sie haben begriffen, wie machtvoll Wissen wirklich ist.

Zumindest laut Michael Simmons. In einem Artikel auf Quarz stellte der Journalist die These auf, dass wir unsere Zukunft ruinieren, wenn wir uns nicht ständig weiterbilden. Wissen sei das neue Kapital und wir könnten es uns um unserer selbst Willen nicht leisten, nicht zu lernen. Selbst wer wirklich hart arbeitet, aber sich keine Zeit nimmt, täglich eine Stunde zu investieren, um sein Wissen zu erweitern, gehöre zur Risikogruppe der Zukunft.

Wie viel ist an diesem Schreckensszenario dran? Was zählt für die Arbeitgeber*innen unserer Generation und welchen Stellenwert wird Wissen wirklich einnehmen? Das wollten wir von einem Unternehmensberater und einen Recruiter – also Menschen, die eher auf der Seite der Arbeitgeber*innen stehen– wissen. Und fragten auch einen Gewerksschaftsvertreter, der eher das Wohl und die Rechte der Arbeitnehmer*innen in den Vordergrund stellt, nach Antworten. 

„Es wäre fatal, wenn wir uns nicht täglich weiterbilden würden“

Matthias Horx ist Unternehmensberater. Er sagt: „Im Industriezeitalter konnte man vielleicht eine Berufsausbildung machen und sein Leben lang mit derselben Qualifikation sein Geld verdienen. Das können wir heute vergessen." Es stimme natürlich, dass es fatal wäre, wenn wir uns nicht täglich weiterbilden würden, aber das habe eben auch früher schon zugetroffen.

Kein Grund zur Panik also.

„Die Situation in vielen Branchen ist so schnelllebig, dass eine Weiterbildung der einzelnen Person unumgänglich ist“, sagt auch Jakob Osman, Leiter der Dresdner Personalmarketing-Agentur Junges Herz. Es sei aber nicht nur die Person Arbeitnehmer*in der Zukunft, der oder die sich ständig weiterentwickelt und durchweg weiterbildet. Auf keinen Fall würde jemand, der fachlich versiert ist, sich aber dem ständigen Lernen verweigert, keinen Job mehr finden.

„Das intellektuelle und fachliche Wissen wird bei der Einstellung eine riesige Rolle spielen“, sagt Osman. Doch dass ein*e Jobeinsteiger*in nicht dasselbe Wissen haben kann, wie ein*e erfahrene*r Mitarbeiter*in, sei Unternehmen bewusst.

Aber Wissen allein sei nicht alles, heben beide hervor. „Wissen gibt es endlos“, sagt Horx. „Wir können ganz Wikipedia auswendig lernen. Das heißt aber nicht, dass wir auch in unserem Job zurechtkommen.“ Und auch nicht, dass wir dem entsprechen, wonach Arbeitgeber*innen suchen. Firmen würden statt auf Abschlussnoten zum Beispiel eher auf „kreative Intelligenzen“ achten: Darauf, was jemand mitbringt an Fähigkeit, anders zu denken, Veränderung herzustellen, im Team kreativ zu sein.

„Wenn es uns gelingt, lebendig zu bleiben, neugierig und offen, werden wir unsere berufliche Bestimmung immer finden. Jeder hat in sich etwas Kreatives.“ Leute, die engagiert sind, die was im Kopf haben, die neugierig sind, so Horx, die könnten aus sich etwas machen. Angestellte würden überdies immer mehr zu Mit-Unternehmer*innen und müssten daher eigenständig sein. Denn im zukünftigen noch viel kooperativeren Führungsstil treffe die Führungsetage gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen die Entscheidungen. Ein weiterer Skill, der in Zukunft noch wichtiger werden wird, ist daher die Kommunikationsfähigkeit.

„Wer kreative Ideen hat, sie aber nicht ausdrücken kann, hat es schwerer als der, der seine Ideen klarer kommunizieren kann“, sagt Osman. Wer fachlich gut ist und viel Wissen anhäuft, hat also trotzdem einen klaren Nachteil gegenüber dem, der kommunikative Fähigkeiten mitbringt. Es gelte das Lautsprecher-Prinzip: Je lauter und klarer jemand seine Meinung kommunizieren kann, desto wichtiger wird sie genommen.

„Betriebliche Weiterbildung ist die Aufgabe der Unternehmen. Da gibt es kein Aber“ 

Generell gilt die Frage, warum uns der Gedanke an das ständige Lernen stresst. Warum ist es für mich eine Hiobsbotschaft, mich in meiner Freizeit mit „Arbeit“, also dem Lernen zu beschäftigen? Wie sieht es mit dem Zwang aus, jeden Tag für den Job zu lernen – auch außerhalb der Arbeitszeiten?

Dazu hat Oliver Suchy, Leiter des Projekts „Arbeit der Zukunft“, beim Deutschen Gewerkschaftsbund, eine klare Meinung: „Betriebliche Weiterbildung ist die Aufgabe der Unternehmen. Da gibt es kein Aber. Wenn es für den ausgeübten Job vorausgesetzt wird, sollte das Weiterbilden nicht on Top zur Arbeit geschehen.“

Suchy warnt: „Darauf zu setzen, dass Menschen sich so sehr mit ihrem Job identifizieren, dass man mit ihnen alles machen kann, ist sehr falsch. Wir dürfen uns nicht überlasten, ansonsten geht alles schief. Das sieht man gerade am rapiden Wachstum der psychischen Krankheiten.“ Er spricht von fast einer Milliarde unbezahlter Überstunden pro Jahr. Und davon, dass Extraarbeit am Abend und am Wochenende nicht mehr die Ausnahme ist, sondern die Regel.

Lernbereitschaft ist nur eine der Kompetenzen, die in zukünftigen Bewerbungsgesprächen gut rüberkommen werden

Suchy sieht das Problem nicht in der Lernbereitschaft. An der Motivation würde es nicht scheitern. Aber an der Machbarkeit. Für die notwendige Weiterbildung fehlt es den Menschen meist an Zeit, Geld und einem Angebot dafür.

„Es gibt natürlich Jobs, die Menschen machen, weil sie Geld verdienen müssen. Aber unsere Statistik zeigt: Eine große Mehrheit der Beschäftigten identifiziert sich mit dem, was sie tut.“ Suchy erklärt das Dilemma am Beispiel sozialer Berufe: „Viele Berufe werden schlecht bezahlt – gucken wir uns nur die Pflege an, das ist eine Katastrophe. Trotzdem gibt es dort eine hohe Identifikation mit dem, was sie tun, denn sie tun Gutes. Ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die ihre Berufung zum Beruf gemacht haben, aber trotzdem am Ende sind. Ich kenne zum Beispiel viele Lehrer, die vollkommen in ihrem Beruf aufgehen. Das ändert nichts an der Belastung“, sagt er.

Wer in seinem Job nicht zufrieden ist und etwas anderes erlernen möchte, oder einen Job hat, der vielleicht der Digitalisierung zum Opfer fallen wird, brauche öffentliche Unterstützung, sagt der Gewerkschaftsvertreter. Und das sei auf jeden Fall möglich: Modelle, um das zu unterstützen, gebe es zum Beispiel in Frankreich schon. Mit einer solchen Möglichkeit könnten viele Sorgen und Ängste, wie die vor der Digitalisierung, zerstreut werden.

Wenn es also um die Bedeutung von Lernen und Wissen geht, gilt: Es ist unverzichtbar, aber muss kein Kreuz sein. Vor allem keines, das wir alleine tragen müssen. Unternehmen und Politik müssen mithelfen, eine Entwicklung in den Gang zu setzen, in der unsere Arbeitsplätze sicher sind.

Lernbereitschaft ist nur eine der Kompetenzen, die in zukünftigen Bewerbungsgesprächen gut rüberkommen werden. Es sollte jedoch nicht um Konkurrenzfähigkeit gehen, sondern darum, das man auch einen Sinn in der eigenen Arbeit sieht, gesund bleibt, die Arbeit Spaß macht und uns im Idealfall sogar erfüllt.

Und was ist mit Bill Gates, Obama und Co.? Sollte ich nicht auch so viel lesen, ist die Frage, die mir zuletzt noch im Kopf herumgeistert. Personalmanager Osman sagt Nein dazu: „Spitzenpolitiker und Medienleute haben einen ganz anderen Anspruch an sich und an ihre Arbeit. Menschen, die nicht in dieser Position sind, brauchen diesen Anspruch an sich nicht haben.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien erstmals am 23.02.2018 und wurde am 31.03.2021 erneut veröffentlicht.

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