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Horror-Party: Der Sturm beim Open-Air-Festival

Unser Autor hätte die Unwetterwarnung besser nicht nur als vage Empfehlung verstehen dürfen. Als er das versteht, ist es aber schon zu spät.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Man vergisst leicht, dass Feiern nicht immer nur spaßig ist. In dieser Serie erzählen wir deshalb von den schlimmsten Partys, auf denen wir in unserem Leben waren. Viel zu viel Alkohol, grässlich langweilige Verwandte, emotionale Tiefpunkte – es gibt ja viel, das eine Feier vermiesen kann. Falls du selbst von einer schlimmen Party erzählen willst: Schreib uns eine Mail an info@jetzt.de! 

Horrorstufe:  6 von 10 

Center of attention:  das Unwetter 

Trinkverhalten:  „Jetzt-ists-eh-egal-Vibe“   

Als ich verstehe, warum uns alle entgegenkommen, verstehe ich auch, dass es wohl längst zu spät ist. Raver in Regencapes. Metaller in Müllsäcken, eine Karawane aus Zeltplanen mit dreckigen Füßen. Und dann öffnen sich die Himmelsschleusen: Ein Wolkenbruch prasselt auf uns und den Landstrich nieder. Der Schauer trifft den ehemaligen Flughafen, wo an diesem Juniwochenende ein Festival geplant wäre, mit voller Wucht. Der Campingplatz geht einfach unter. Das habe ich mir doch anders vorgestellt. Seit ich und mein bester Freund Karl die Karten für das Festival gekauft haben, haben wir die Tage runtergezählt, bis es losgeht. Wir haben uns im Timetable angestrichen, welche Künstler*innen wir sehen wollen, die Tage minutiös geplant, um keine Band zu verpassen. Und jetzt? Jetzt bricht um uns ein Sturm los.   

Die Sackkarre voller Dosenbier umklammert bin ich sofort klitschnass. In meinen Gummistiefeln steht knöchelhoch das Wasser. Und noch schlimmer: Ich und die Karre stecken plötzlich im Matschmeer fest, das einmal der heilige Flunkyballrasen gewesen sein muss. Die Räder verfangen sich im Schlamm. Und ich muss eine Entscheidung treffen: keine Lungenentzündung oder kein Dosenbier? Ich wäge Pros und Cons ab, bis mich Karl hinter sich her zu den Parkplätzen zieht. Drei Paletten und ein Gummistiefel bleiben zurück. Wahrscheinlich, denke ich mit eiskalten Füßen auf der Rückbank unseres Opel Corsa, hätten wir die Unwetterwarnung nicht nur als vage Empfehlung verstehen dürfen.

So ein Unwetter habe ich zuvor noch nie gesehen

Es ist 20:30 Uhr auf einem Festival-Campingplatz in Süddeutschland. Auf der Mainstage sollte in diesem Augenblick die britische Band „Arctic Monkeys“ spielen, würde die Welt nicht untergehen. Natürlich hoffen wir, dass das Wetter sich ändert, natürlich ist das nur der erste Abend eines Drei-Tages-Festivals, aber so ein Unwetter habe ich zuvor noch nie gesehen. Vor dem Seitenfenster zucken Blitze aus einem giftlila Himmel. Nass bis auf die Haut sitzen wir dicht an dicht zu fünft in Karls kleinem Auto. Und schauen nach draußen in das Unwetter, das uns den Abend, das Wochenende, und in diesem Moment zumindest gefühlt auch den Sommer, ja eigentlich unsere ganze Jugend vermiest. Ich will sagen: Die Stimmung ist schlecht. Karl, seine Freundin Sophie und zwei fremde Typen, denen wir Obdach gewähren, da ihre Zelte vom Wind in Hälften gerissen wurden, haben trotzdem beschlossen, „das Beste“ aus der Situation zu machen. Das heißt: zu Trinken. Das heißt: Schnaps. Das heißt: Korn. Das heißt: Jetzt ist eh alles egal. 

Wir sitzen also in den trockenen Überresten unserer Outfits uns ärgernd im Auto. Wie die zwanzigtausend anderen durchnässten Trauerklöße, die in den anderen Autos ihren Frust mit Billigfusel betäuben, reichen wir die Flasche im Kreis herum. Vor dem Fenster sehen wir wie kleinere Bühnenteile durch die Luft fliegen. Der Regen lässt nicht nach. Und auch die Blitze und der Donner scheinen nicht von diesem Stück Land ablassen zu wollen. Karl hantiert am Radio, weil das Festival zu jeder vollen Stunde ein Update über eine Notfrequenz senden will. Bisher Funkstille. In Unterhose versuche ich über den Innenspiegel Blickkontakt mit Karl am Steuer aufzunehmen, weil ich will, dass er die Typen rausschmeißt. Eddy und Torge, wie sie sich uns vorgestellt haben, nerven. Eddy bequatscht Sophie und Torge pafft pausenlos Zigarillos in mein Gesicht. Außerdem: Wie sollen wir zu fünft hier drin denn schlafen? In einem Opel Corsa? Ich bin kein Klaustrophobiker, aber trotzdem kurz davor panisch in eine Papiertüte atmen zu müssen.   

Aber dann kommt der Nackte. Ehe sich Karl zu einer Entscheidung durchringen kann, wie wir mit den Typen verfahren wollen, springt ein nackter Mann aus dem Dunklen und hämmert mit der Faust gegen mein Fenster. Er hat lange, schwarze Haare, die ihm wie Kajal ins Gesicht fließen. Falls Keanu Reeves, einen bösen Zwilling hat, der sein Unwesen auf süddeutschen Campingplätzen treibt, dann muss er das sein. Auf der Schulter trägt er eine Boom-Box, aus der ein Dubstep-Remix des „Cantina-Songs“ aus „Star Wars“ bummert.

Ihm folgt eine wachsende Traube aus offenbar Wahnsinnigen, die zwischen den parkenden Autos tanzt als gäbe es kein Morgen. Ein Mädchen mit Sturmmaske hält ein Bengalo in den Sturm. Ein Bengalo! Ich will da hinterher. Auch wenn ich im Leben sonst eher auf Sicherheit bedacht bin, etwa ein Hotelzimmer dem Wildcampen vorziehen würde, will ich da draußen mit. Jetzt. Sofort. Und ich will Torge und Eddy loswerden. Lungenentzündung hin oder her werfe ich mir die schon total durchweichte Regenjacke über. Ziehe sie wieder aus – und springe aus dem Auto in den Regen. 

Den grenzenlosen Hochmut, die Sturmzerrüttete Dixie-Toilette ohne Taschenlampe und einen Dampfstrahler aufzusuchen, bestraft der Festivalgott schnell

Als ich am nächsten Morgen auf der Rückbank unseres Corsa erwache, bin ich ein neuer Mensch. Ich betrachte meinen verschlammten Oberkörper, der gestern Nacht durch das Matschmeer gerutscht ist. Ja, ich habe mich in die Schlammwogen geworfen. Und ja, es war der Spaß meines Lebens. Aber nur der Anfang: Anschließend sind wir dem Nackten zu einem stabilen Bundeswehrzelt gefolgt, in dem seine Kumpels mit einem Diesel-Generator eine Musikanlage und ein Stroboskop zum Laufen gebracht haben, um die sie das Festival beneiden könnte. Dann wird meine Erinnerung dunkel, aber irgendwie habe ich es ja zum Corsa zurück geschafft.

Also alles gut? Im Reinen mit mir, lasse ich Karl und Sophie auf den Vordersitzen schlafen und beschließe, alleine eine Runde auf dem Gelände zu drehen. Alles ist kaputt. Ich laufe durch ein Schlachtengemälde. Der Sturm hat den Landstrich verwüstet. Zerrissene Zelte, meterhoher Matsch.   

Mir kann die braune Pampe aber nichts mehr anhaben, glaube ich restbesoffen und schlendere barfuß durch mein Schlammkönigreich. „Ein Festival ist tatsächlich eine lebensverändernde Erfahrung“, resümierte ich in meinem Kopf – und überlege, was ich Karl und Sophie später bei einer von mir zum Frühstück auf dem Brenner erhitzten Ravioli-Dose vorphilosophieren werde. Dass das totaler Unfug sein könnte, dass ich mich himmelhoch in mir und Festivals täusche, merke ich dann leider zu spät. Den grenzenlosen Hochmut, die Regen- und Sturmzerrüttete Dixie-Toilette ohne Taschenlampe und einen Dampfstrahler aufzusuchen, bestraft der Festivalgott schnell. Mir wird kotzübel. Mir fällt das Smartphone auf den Boden. Ich traue mich nicht, es aufzuheben. Vielleicht doch lieber in die Toskana nächsten Sommer. 

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