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Warum es so schwierig ist, Whatsapp-Gruppen zu verlassen

Foto: Pseuokreativ Photocase

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Erst letztens ist es wieder passiert: Ich bin aus einem Gruppen-Chat ausgestiegen. Nicht, weil es Streit oder sonst was gegeben hätte. Sondern einfach nur, weil ich nichts mehr beizutragen hatte. Getan habe ich das jedoch nur sehr zögerlich. Ich habe tatsächlich einige Anläufe gebraucht, bis ich den „Gruppe verlassen“-Knopf gedrückt habe. Und das auch erst, nachdem ich noch eine Begründung für mein Tun abgeliefert hatte. Als wäre es etwas ganz Schlimmes, mich aus dem Chat zu entfernen.

Wieso fällt es einem so schwer, einen Gruppen-Chat zu verlassen?

Whatsapp, das muss man zugeben, ist zugleich Fluch und Segen: Es macht es uns unheimlich leicht, mit jemandem eine Konversation anzufangen. Und zugleich unfassbar schwierig, einer Unterhaltung wieder zu entrinnen, ohne unhöflich oder desinteressiert zu wirken. Vor allem bei Whatsapp-Gruppen scheint es ein Hindernis zu geben, wieso wir nicht aus der Unterhaltung aussteigen, sobald wir nichts mehr zu sagen haben. Aber wir brauchen extrem lange, diesen Schritt zu gehen und haben das Gefühl, uns dafür auch noch rechtfertigen zu müssen. Wieso nur fällt es einem so schwer, einen Gruppen-Chat zu verlassen?

Bei irgendetwas einfach nicht mehr mitzumachen – das geht nicht. Da ist immer dieses Gefühl der Verpflichtung, dieser Wunsch, nicht unhöflich sein zu wollen. Schließlich hat sich ja der Gruppenadministrator Gedanken gemacht, als er seine Schäfchen zusammengesucht und eine Chat-Herde gegründet hat. Und es gibt auch meistens einen Grund, warum man Teil dieser Herde ist: weil man Interesse gezeigt hat, an dem Projekt mitzumachen. Oder sich einfach an der Planung des Kurztrips oder an den Festivalvorbereitungen beteiligen will. Das schwarze Schaf zu sein, das dann einfach ausbricht und die anderen hängen lässt? Will keiner sein. Und man bleibt, selbst wenn man langsam aufhört, die Nachrichten in dieser Gruppe zu lesen.

Auch auf Facebook bin ich bei einigen Gruppen dabei, die vor einigen Jahren entstanden sind, als es noch kein Whatsapp gab. Da wurden geheime Gruppen gegründet, um Überraschungspartys zu planen, Ski-Wochenenden auszumachen und so weiter. Mit manchen dieser Menschen habe ich nicht mehr viel zu tun – nicht, dass ich mich nicht mehr mit ihnen verstehen würde. Aber mein Bekanntenkreis hat sich einfach gedreht und verändert. Trotzdem bin ich in diesen Gruppen geblieben. Denn auszusteigen – das würde sich wie ein öffentlicher Bruch mit den Leuten anfühlen, die zwar nicht mehr unmittelbar in meiner engsten Umlaufbahn, aber deswegen nicht komplett aus meinem Universum verschwunden sind. Also bleibe ich drin, um in irgendeiner Form anwesend und erreichbar zu bleiben (und genauso sie für mich), sollten sich unsere Flugbahnen doch mal wieder annähern.

In Whatsapp-Gruppen kann man nicht leise die Tür hinter sich schließen

Anders jedoch die Whatsapp-Gruppen. Irgendwann kommt einfach der Zeitpunkt, an dem einen nichts mehr zu schreiben einfällt. Und zwar nicht, weil sich nach dem Urlaub der Freundeskreis aufgelöst hat. Sondern einfach, weil es diesbezüglich nichts mehr zu schreiben gibt. Weil die Fotos bereits ausgetauscht und alle Insider nochmal zur Genüge hin- und hergeschickt wurden. Wenn diese Ereignisse vorbei sind, will man eigentlich wieder seine Ruhe haben. Und bevor man weiterhin mit irgendwelchen irrelevanten Posts zugespamt wird, lässt man eben den Finger über den „Gruppe verlassen“-Button kreisen. Aber man zögert, denn man weiß: Im Whatsapp-Chat kann man die Tür nicht leise hinter sich schließen. Sie knallt laut zu, sichtbar für jeden, indem die Information „xy hat die Gruppe verlassen“ auftaucht. Und genau das ist das Problem: Whatsapp macht es für jeden erkenntlich, wenn wir die Gruppe verlassen. Dieser gläserne Abgang ist uns unangenehm – und bildet das Hindernis in unserem Kopf, das uns so lange vor einem Gruppenausstieg zurückschrecken lässt.

Eigentlich ist doch eine Unterhaltung in einer Whatsapp-Gruppe nichts anderes als eine Konversation mit Bekannten auf irgendeiner Feier. Da passiert es ja auch, dass man in einem Gespräch an den Punkt kommt, an dem man sich nicht mehr einbringen kann oder will. Und dann, bevor man stumm daneben steht, entfernt man sich eben lieber. Und sich mit einer kurzen Floskel aus der Runde zu verabschieden, ist nur fair und anständig. Das mag einen vielleicht auch ein bisschen Überwindung kosten – letztendlich jedoch sind wir froh, wenn wir es getan haben und uns nicht dazu zwingen, weiter blöd daneben zu stehen, wenn wir gar nichts mehr zu sagen haben.

Dieses analoge Verhalten in die digitale Welt zu übertragen ist doch eigentlich gut: kurz Bescheid zu geben, bevor man eine Gruppe verlässt. Denn schließlich bedeutet es nicht, sich heimlich und leise davonzustehlen. Sondern man verabschiedet sich eben, so, wie man es auch in der Realität macht. Und dann kann man auch ruhigen Gewissens den „Gruppe verlassen“-Button drücken und für alle ersichtlich aus dem virtuellen Raum der Unterhaltung hinausspazieren.

Dieser Text ist erstmals am 22. Mai 2016 erschienen und wurde am 20. Juni 2021 noch einmal als Best-Of veröffentlicht.

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