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„Die Leute sind auf Entzug“

Letztes Jahr wurde das Fusion-Festival abgesagt. Nun soll es stattfinden – mithilfe einer Test-Strategie.
Foto: picture alliance/dpa / Christian Charisius

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Nach einem Sommer ohne Festivals sieht es auch in diesem Jahr kaum besser aus. Zahlreiche Festivals wurden bereits abgesagt. Geht es aber nach Martin „Eule“ Eulenhaupt, einem der Gründer der Fusion in Mecklenburg-Vorpommern, soll sein Festival stattfinden. Das Festival mit ingesamt 70 000 Menschen sei möglich, aufgeteilt auf zwei Wochenenden, von Ende Juni bis Anfang Juli. Zentral für das Gelingen sollen massenhafte PCR-Tests sein. „Wir prüfen und schauen“, heißt es von den zuständigen Ämtern. Ein Gespräch mit Martin Eulenhaupt über sein Konzept und darüber, wie ein Festivalgelände sicherer werden soll als jeder Supermarkt.

jetzt: Hurricane, Southside, Rock am Ring, SonneMondSterne. Erst vor zwei Wochen wurden etliche große Festivals abgesagt. Warum macht ihr da nicht mit?

Martin Eulenhaupt: In dieser Winterdepression waren wir fast dazu verleitet, diesem Gedanken zu folgen und zu sagen: Das wird wieder nichts, wir sagen die Fusion ab. Aber dann mussten wir uns an das letzte Jahr erinnern, als wir sehr früh die Fusion freiwillig abgesagt hatten – und wie sich später zeigte: zu früh. Im Sommer sanken die Fallzahlen und die Ministerpräsident*innen haben sich fast darin überboten, in welchem Bundesland man geiler Urlaub machen kann. Für uns war es da schon zu spät. Da dachten wir uns diesmal: Noch mal sagen wir nicht voreilig ab.

fusion eule text

Martin Eulenhaupt ist einer der Gründer des Fusion-Festivals

Foto: Philipp Meuser

Ein Festival mit Zehntausenden Leuten und großer körperlicher Nähe. Wie soll das funktionieren?

Ein Festival ist etwas anderes, als wenn man am Strand liegt oder im Hotel sitzt, schon klar. Aber wenn man ein Konzept entwickelt, wie wir es gemacht haben, dann könnte es sicherer sein als in jedem Supermarkt. Zunächst haben wir festgestellt, dass wir mit Schnelltests ein Festival von drei, vier Tagen Länge logistisch nicht hinbekommen würden. Denn da ein Schnelltest-Ergebnis nicht lange gilt, müsste man an jedem Tag einen neuen Test machen. Also haben wir uns mit PCR-Tests auseinandergesetzt und gesehen: Mit einer doppelten PCR-Testung ist es möglich. 

„Superspreader*innen können wir damit nahezu auschließen“

Wie sieht das Konzept genau aus?

Der erste Test findet am Tag der Anreise statt und ist verpflichtend für alle, die aufs Gelände wollen. Die Ergebnisse bekommen die Leute auf die Chips an ihrem Armbändchen übermittelt. Nun könnte man einwenden: Ein PCR-Test zeigt erst dann ein positives Ergebnis, wenn die Virenlast groß genug ist. Es kann also sein, dass Leute kommen, die infiziert sind und das nicht angezeigt wird. Sie kämen also infiziert auf das Gelände. Die Wissenschaft sagt aber auch, dass es in der Regel drei bis fünf Tage dauert von der Infektion bis zu dem Zeitpunkt, ab dem man selbst andere infizieren kann. Deshalb machen wir auch einen zweiten Test am Samstag: Bei diesem zweiten Test fischen wir die Leute raus, die möglicherweise ganz frisch infiziert angereist sind und uns beim ersten Test am Donnerstag durch die Lappen gegangen sind. Wir haben eine lückenlose Doppel-Testung. Superspreader*innen können wir damit nahezu ausschließen.

In der Theorie klingt das gut. Aber zu einem Festival gehört eben auch, dass sich nicht alle stets so benehmen, wie man sich das wünscht. Was macht ihr, wenn sich Leute nicht an euer Konzept halten und an den Tests vorbeischleichen?

Dafür müsste man über einen Doppelzaun springen, das ist ziemlich schwer. Aber klar, man kann es nicht komplett ausschließen. Dann könnte man sagen: „Dieser eine Typ war der Superspreader!“ Aber das ist eine böswillige Fiktion. Und selbst wenn es jemand so machen würde und dieser Mensch 20 weitere ansteckt, dann sind diese 20 Leute wiederum eben nicht selbst so schnell ansteckend. Ansteckend wären sie erst nach Ende des Festivals ...

… was bedeuten würde, dass sie das Virus in Deutschland und darüber hinaus verbreiten.

So etwas wird sich mit keinem Konzept zu 100 Prozent verhindern lassen. Wir werden aber alle Gäste auffordern, drei Tage nach ihrer Rückkehr einen weiteren Schnelltest zu machen und das Ergebnis über ihren Ticket-Account an uns zurückzumelden.

Ihr seid Festival-Organsiator*innen, keine Virolog*innen. Wer hat euch beraten?

Wir haben uns Rat von wissenschaftlicher und medizinischer Seite geholt. Wir haben das Konzept auch konservativen Expert*innen gezeigt und selbst von denen gutes Feedback bekommen. Außerdem werden wir einen medizinischen Beirat gründen. 

„Am Geld wird es nicht scheitern“

PCR-Tests sind recht teuer. Ihr bräuchtet für 70 000 Menschen mindestens 140 000 Tests. Wer finanziert das?

Ganz ehrlich: Genau wissen wir es noch nicht. Wir haben von unseren Gästen einen Zuschlag für Hygiene-Konzepte in Höhe von 70 Euro verlangt. Dadurch kosten die Tickets 210 Euro. Aber als wir das vor einigen Monaten festgelegt haben, hat niemand an so ein umfangreiches Konzept gedacht. Wir sagen jetzt: Am Geld wird es nicht scheitern. Wir wollen damit auch die Politik in die Pflicht nehmen, dass Kultur eben möglich ist mit entsprechenden Konzepten. Deshalb hoffen wir auf eine finanzielle Subvention vom Bund und Land. Gerade wenn man weiß, wie umfangreich Hochkultur subventioniert wird. 

Sollte es kein Geld von öffentlicher Seite geben, würdet ihr einen weiteren Zuschlag verlangen?

Wir müssen sehen, wie wir es hinbekommen. Vielleicht müssen wir mit einem Klingelbeutel rumgehen. Den Ticketpreis erhöhen wollen wir nicht. 

Wie groß ist die Sorge, dass euer Plan nach hinten losgeht oder verboten wird?

Einige staatliche Stellen werden sicher nicht amused sein, wenn sie sehen, dass da einfach die Kultur ankommt und der Politik mal zeigt, wie es geht. Wir hoffen darauf, dass sie es dennoch neutral zur Kenntnis nehmen und es nicht einfach beiseite wischen. Wenn sie das Konzept einfach abbügeln würden, wäre das ziemlich ignorant. Und ich weiß nicht, ob die Politik sich gerade jetzt Ignoranz leisten kann. Man kann es ja auch positiv sehen: Dieses Konzept könnte ein Leuchtturmprojekt für Mecklenburg-Vorpommern sein.

Menschen müssen in der Pandemie auf vieles verzichten, Urlaub, Partys, Kneipen. Warum sind gerade Festivals so wichtig?

Weil die Entwöhnung von Menschlichkeit auf Dauer nicht gut tut. Die Leute sind auf Entzug: Ihnen fehlt es, gemeinsam Spaß zu haben, sich in den Arm zu nehmen, zusammen zu feiern, etwas zu erleben, etwas voneinander zu lernen. Ein Jahr lang war alles stillgelegt. Und wir wissen nicht, wie lange das weitergeht. Wir vertrauen nicht darauf, dass die Politik das alles hinbekommt. Daran glauben wir nicht. Es ist keine Option, darauf zu warten, dass die Politik uns eine Lösung bietet. 

Wie ging es dir mit einem Fusion-freien Jahr?

Wir haben die Zeit genutzt, um auf dem Gelände weiter zu bauen. Ich habe an meinem Wohnmobil rumgeschraubt. Im Fusion-freien Sommer war ich nicht depressiv, was auch daran liegen mag, dass ich privilegiert bin. Ich sitze nicht in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit zwei Kindern in Berlin-Friedrichshain, sondern kann hier auf dem Festivalgelände leben.

Wie geht es der Fusion finanziell?

Die meisten Leute haben ihre Tickets aus dem letzten Jahr behalten. Wir haben Kompensationen über Förderprogramme bekommen und hatten Kurzarbeit. Wir stehen dadurch nicht mit dem Rücken zur Wand. Wenn es dieses Jahr wieder kein Festival geben sollte, wird es aber eng. 

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