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„Ich wollte nur, dass sie sehen, worauf sie schießen“

Foto: Eric Pothier / Adobe Stock; Bearbeitung: jetzt

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Das Gesicht vermummt, ansonsten komplett nackt schritt sie barfuß über eine Straßenkreuzung auf die bewaffneten Beamt*innen zu, streckte sich, machte ein paar Yoga-Übungen, legte sich auf die Straße. „Naked Athena“ wird die Frau genannt, die sich am 18. Juli im Rahmen der Black-Lives-Matter-Proteste in Portland völlig unbekleidet Polizei- und Sicherheitskräften entgegenstellt hat. Der Journalist Donovan Farley, der die Proteste in der Stadt in Oregon in den vergangenen Wochen begleitete, war zufällig vor Ort – und twitterte das Geschehen samt Fotos live mit. „She won“ schrieb er über ein Video, in dem der Rückzug der Beamt*innen zu sehen ist, und später: „I... cannot believe what I just saw.“ – “Ich kann nicht glauben, was ich gerade gesehen habe.“

„Naked Athena“: Der Name spielt auf Pallas Athene an, die in der griechischen Mythologie die Göttin der Weisheit und der strategischen Kampfkunst ist. Die eindringlichen Bilder der nächtlichen Aktion gingen zwar quer durch die Medien, die Identität der Frau und ihre Beweggründe blieben jedoch zunächst unklar. Nun hat sich eine Frau öffentlich als „Naked Athena“ geoutet. In dem Podcast „Unrefined Sophisticates“ sagte „Portland's Naked Lady“, die sich selbst „Jen“ nennt, dass die Aktion nicht von langer Hand geplant gewesen sei. 

„Etwas in mir, das sich für mich wie ein sehr femininer Teil anfühlt, fühlte sich provoziert“, so die Frau, die nach eigenen Angaben in ihren Dreissigern ist. Sie habe sich über die aus ihrer Sicht unverdiente „Krieger-Haltung“ der Polizist*innen und Sicherheitskräfte geärgert. Da sei Wut in ihr aufgestiegen und sie habe zu ihren Freund*innen gesagt: „Ich will nackt sein, ich will die konfrontieren.“ Daraufhin habe die Person, die sie begleitete, ihre Kleidung gehalten, nachdem sie sich in einem Wohnungseingang ausgezogen hatte. Der Rest ist Geschichte; die Stärke, die in der absoluten Verletzlichkeit eines nackten Körpers steckt, muss nicht erklärt werden.

Jen, die eigenen Angaben zufolge als Sex-Arbeiterin arbeitet und seit etwa fünf Jahren in Portland lebt, sagt, dass sie zuvor bereits öfter „oben ohne“ auf Protesten unterwegs gewesen sei und dass das die Polizei immer irritiert habe: „Meine Nacktheit ist politisch und meine Art mich auszudrücken.“ In diesem Falle aber sei es auch symbolisch für das Ungleichgewicht zwischen Sicherheitskräften und den Protestierenden gewesen. Keiner der mit ihr Demonstrierenden sei bewaffnet gewesen. „Leert ihre Taschen, zieht ihnen ihre Kleidung aus – niemand hat Waffen hier. Ich wollte nur, dass sie sehen, worauf sie schießen.“

Auch über die Ethnizität der „Naked Athena“ wurde in den Medien in der vergangenen Woche viel diskutiert: Die New York Times kommentierte etwa den Fakt, dass „Naked Athena“ keine schwarze Person ist: „Sie hat die kulturelle Unantastbarkeit eines weißen (oder zumindest als weiß durchgehenden) Frauenkörpers in ein Schild gegen Gummigeschosse und Tränengas verwandelt.“ Eine Schwarze Frau hätte das so nicht tun können. Der Autor wirft „Jen“ damit vor, dass sie ihr White Privilege benutzt und so „zumindest für einen Moment“ dem Protest die Schau gestohlen habe.

„Der Grund, warum ich in diesem Moment als weiß durchgegangen bin, ist auch, dass mein Gesicht und meine Haare versteckt waren“, sagt „Jen“ dazu im Podcast. Sie sei eigentlich eine „nicht-Schwarze Person of Color“, ihre Mutter sei Immigrantin. Normalerweise sei es nicht ihre Erfahrung, dass sie für weiß gehalten werde, es sei ein komisches Gefühl gewesen.

 Ob sich hinter der Stimme von „Jen“ tatsächlich die echte „Naked Athena“ steckt, lässt sich nicht verifizieren. So oder so, das Bild der nackten Frau, die mit offenen Beinen in aller Ruhe vor den schwerbewaffneten Männern sitzt, ist so ikonisch, dass es sicherlich nicht so schnell vergessen wird.

mpu

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