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„Die weiße Psyche braucht Zeit“

Illustration: FDE

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rassistische sprache

Illustration: FDE

Menschen mit Migrationshintergrund als „Ausländer“ bezeichnen, Schwarze Personen „Farbige“ nennen und weiterhin das N-Wort benutzen. Was ist denn schon dabei, wenn man selbst doch nicht rassistisch ist? Vieles, wenn man denjenigen zuhört, die selbst von Rassismus betroffen sind und sich schon seit Langem einen sensibleren Umgang mit der Sprache wünschen. Sie wollen zum Beispiel People of Color, Schwarze Menschen (mit großem S – warum, könnt ihr hier nachlesen), rassistisch markierte oder rassifizierte Menschen genannt werden. Vollkommene Einigkeit herrscht da zwar auch nicht, dennoch gibt es bessere und schlechtere Möglichkeiten, Menschen zu bezeichnen. Und es gibt Worte, die klar verletzen. Trotzdem: Diese Forderung einer diskriminierungssensiblen Sprache erfährt oft Unverständnis. Sogar von Menschen, die sich gegen Rassismus positionieren. Die Abwehrreaktionen sind oft heftig: Dann ist von Sprachvergewaltigung, Zensur oder Übersensibilität die Rede. Woher kommt die Abwehrreaktion? Und warum lehnen ausgerechnet auch diejenigen diskriminierungssensible Sprache vehement ab, die sich für nicht-rassistisch halten? 

Dominanzverhalten setzt sich gegen die Höflichkeit durch

„Höflichkeitsnormen fordern im gesellschaftlichen Kontext ja eigentlich, dass Menschen mit den richtigen Namen bezeichnet werden“, sagt Amma Yeboah am Telefon gegenüber jetzt. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, forscht unter anderem zu Rassismus und psychischer Gesundheit. „Gerade die Forderung von People of Color und Schwarzen Personen, mit bestimmten Begriffen benannt zu werden und mit anderen nicht, triggert bei weißen Menschen oft ein Angriffsverhalten“, so Yeboah. Der Grund dafür: die Dominanzposition, in der sich weiße Menschen befinden. „Zu dieser Position gehört auch das gefühlte Geburtsrecht, Menschen zuzuordnen, zu definieren und zu bezeichnen“, so Yeboah. Das heißt: Weiße Menschen bewahren mit ihrer Weigerung, der Forderung von Schwarzen Menschen und People of Color nachzukommen, eine Art ‚Definitionshoheit’. Deswegen fühlen sie sich häufig angegriffen, wenn ein von Rassismus betroffener Mensch zu ihnen sagt: „Bitte nenn’ mich nicht so, sondern anders.“ Dominanzverhalten setzt sich gegen die Höflichkeit durch.

Aber wie kann man damit umgehen? Weil die Menschen, die mit Abwehr reagieren, das häufig nicht mit voller Absicht machen – sprich: sich eigentlich nicht rassistisch verhalten wollen – ist laut Amma Yeboah vor allem eines wichtig: „Die Entwicklung eines Selbst-Bewusstseins – also sich bewusst zu werden darüber, wie ein Mensch in gesellschaftlichen Zusammenhängen positioniert ist und woher die eigenen Abwehrimpulse kommen, das zu reflektieren und sich zu fragen: ‚Was ist das in mir, das sich dagegen wehrt, Menschen mit den richtigen oder gewünschten Namen zu bezeichnen?‘“ Yeboah arbeitet selbst als Trainerin für sogenannte Critical Whiteness. Dabei vermittelt sie, wie man die Privilegien des eigenen Weißseins kritisch zu reflektieren lernt. Sie findet es wichtig, an weiße Menschen nicht andauernd nur Forderungen zu stellen, sondern ihnen auch Tools für ihr anti-rassistisches Bemühen zu liefern. Zu Einsicht und Reflexion komme es aber nicht von heute auf morgen. „Die weiße Psyche braucht Zeit, um sich selbst in der eigenen Welt kennenzulernen.“

„Meine Theorie ist, dass die Abwehr in diesem Fall aus dem Unbewussten heraus operiert“

Martina Tißberger schätzt die psychischen Gründe für die Abwehr von diskriminierungssensibler Sprache ähnlich ein. Sie ist Diplom-Psychologin, Professorin für Soziale Arbeit in Linz und forscht schon seit 2001 zu Critical Whiteness. In der Lehre erlebt sie im Rassismus-Kontext immer wieder, dass die Emotionen ihrer weißen Studierenden gerade zu Anfang hochkochen. Im Gespräch mit jetzt sagt sie: „Meine Theorie ist, dass die Abwehr in diesem Fall aus dem Unbewussten heraus operiert.“ Das sei aber keine Kleinigkeit, denn: „Da hängt eine über 500 Jahre alte Geschichte des Imperialismus, Kolonialismus und des Versteckens von Rassismen dran, die allerdings in der Geschichtsschreibung ‚des Westens‘ unter eine historische Amnesie fällt.“ Ein Beispiel ist für sie die sogenannte „Entdeckung Amerikas“ 1492 als Beginn der Moderne. Damit wurde laut Tißberger „kolonial-rassistisches Wissen über außereuropäische Menschen und Kulturen entwickelt“. Und das habe sich in westlichen Gesellschaften mit der Zeit abgelagert. „Was den Menschen im ‚Westen‘ bewusst ist, ist lediglich ihre vermeintliche Fortschrittlichkeit, nicht aber, dass diese den Preis der Unterdrückung und Ausbeutung außereuropäischer Kulturen und Menschen hat“, erklärt sie. Denn: Rassismus sei nun mal ein gesellschaftliches Verhältnis – und damit zugleich „ein Grundstein ‚westlicher‘ Gesellschaften“. Deshalb glaubt auch Tißberger nicht, dass man Situationen, in denen Menschen zum Beispiel diskriminierungssensible Bezeichnungen abwehren, zwischen Tür und Angel klären kann.

Menschen, die in westlichen Gesellschaften sozialisiert wurden, wähnen sich also oft automatisch auf der ‚richtigen Seite’, ohne dabei die eigene Position und Geschichte kritisch zu reflektieren. „Sie sind sich nicht vollständig darüber bewusst, dass der eigene Wohlstand auch davon abhängig ist, dass rassistisch markierte Menschen, vor allem jene in nicht-westlichen Kulturen oder Migrant*innen, ausgebeutet werden“, erklärt Tißberger. Und das treffe nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart zu: „Die Migrant*innen machen in Deutschland die ‚schmutzige‘ und schlecht bezahlte Arbeit, welche die ‚Etablierten‘ – meist weiße* Deutsche – nicht (mehr) machen wollen. Arbeit, die aber ‚systemrelevant‘ ist, wie die ‚Corona-Krise‘ offengelegt hat.“ Das hat beispielsweise auch eine Studie vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) ergeben: Demnach sind Migrant*innen insbesondere in systemrelevanten Berufen prekärer beschäftigt als andere Arbeitnehmer*innen – zum Beispiel im Pflegebereich. Martina Tißberger betont aber auch, dass Menschen für ihre Lebensweise zur Verantwortung gezogen werden können – auch wenn ihnen die eigene rassistische Prägung nicht bewusst ist. „Ich plädiere dafür, dass ihnen das bewusst gemacht wird – die Black Lives Matter-Bewegung arbeitet genau daran!“

Man wehrt diskriminierungssensible Sprache ab, weil es nicht zum Selbstbild passt

Aber woher genau kommt ihrer Einschätzung nach die Abwehr diskriminierungssensibler Sprache? Martina Tißberger spricht hier von einem „Widerspruch der Selbstkonstruktion“. Wenn man sich selbst als nicht-rassistisch wahrnimmt, passiert Folgendes: Man wehrt diskriminierungssensible Sprache ab, weil es nicht zum Selbstbild passt, dass Begriffe, die man ‚immer schon‘ verwendet hat, rassistisch verletzend sein könnten. Wenn also beispielsweise jemand einen rassismussensiblen Begriff verwendet, den man selbst nicht nutzt oder man auf die eigene, potentiell verletzende Sprache aufmerksam gemacht wird, versteht man das oft automatisch als konkreten Rassismusvorwurf, den man natürlich abwehrt. Schließlich hält man sich selbst für nicht-rassistisch. „Wenn ich mich für Geflüchtete engagiert habe, regelmäßig an Amnesty spende, guten Kontakt zu meinen rassistisch markierten Nachbarn pflege, dann denke ich mir in solchen Momenten: Also mir kann man bitteschön nichts vorwerfen!“, so Tißberger. Die Reaktionen sind dann zuweilen aggressiv, genervt und affektgeladen. „Normalerweise sollte ich dann aber erwidern: ‚Vielen Dank. Ich habe einen neuen Begriff gelernt, der entspricht ja viel mehr meiner Intention.‘ Doch das tun viele Menschen nicht.“

„Gewaltsame Sprache repräsentiert nicht nur Gewalt, sie ist Gewalt“

An dem vermeintlich kleinen Moment, in dem jemand diskriminierungssensible Sprache abwehrt oder sich entscheidet, verletzende Begriffe weiterhin zu verwenden, kann man also Größeres ablesen. Es zeigt, dass Rassismus nicht am Rande der Gesellschaft stattfindet. Schon die Schriftstellerin Toni Morrison wusste, dass Sprache nicht harmlos, sondern auch eine folgenschwere Handlung ist: „Gewaltsame Sprache repräsentiert nicht nur Gewalt, sie ist Gewalt.“ Aber wie kann man all das denn nun überwinden? Die Psychiaterin Amma Yeboah sagt dazu: „Weiße Menschen brauchen mehr Bildung über ihre Rolle in der Menschheitsgeschichte sowie Räume, in denen sie sich als Teil eines globalen Kollektivs erleben können.“ Sie fordert etwa, dass Bildungscurricula um globale Perspektiven erweitert werden, um Beiträge von Schwarzen und People of Color. Denn: „Mit mehr Verständnis über das weiße Selbst besteht unter demokratischen Verhältnissen die Chance, dass die Abwehr und Angriffslust weniger wird.“

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