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Ich bin weiß und ich bin Schwarz

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Wir betreten die Bar. Es ist voll, so wie jeden Samstag – das Coronavirus ist zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema. Wir gehen nach hinten, ins Separee. Die anderen wollen kickern. Ich will nicht mitspielen, muss erst mal ankommen. Ich stehe also am imaginären Spielfeldrand, nippe an meinem Bier und genieße den Moment. Während die anderen in Führung gehen, wandert mein Blick durch den Raum. Ein paar herumstehende Zuschauer*innen verfolgen interessiert das Spiel. Die Gruppe hinter uns unterhält sich angeregt über Politik; irgendwas mit Greta. Ich drehe mich nach rechts Richtung Tür. Eine mir unbekannte Frau, ungefähr in meinem Alter, betritt das Separee. Sie kommt auf mich zu, nimmt meine Hand.

Ihr Griff ist fest und warm. Es scheint, als gäbe es für einen kurzen Moment nur sie und mich. Ihre Lippen formen Worte. Fragend sehe ich ihr in die Augen, doch mein Blick erreicht sie nicht. Sie lässt los, wendet sich ab. Wir kennen uns nicht. Es fühlt sich seltsam an. Gleichzeitig durchströmt mich ein Gefühl von Wohlbefinden. Niemand sonst scheint die Situation zu registrieren. Kurz zweifle ich an mir selbst, doch wenn ich ehrlich bin, ist mir so etwas schon öfter passiert. Nicht in dieser Form, aber ich wurde schon häufiger von fremden Menschen gegrüßt. Als seien wir gute Freund*innen, würden uns schon Jahre kennen. Die Frau ist Schwarz, so wie ich.

Ich mag nicht, wie ich mich dabei fühle. Das rührt wohl daher, dass ich von der weißen Mehrheitsgesellschaft, in der ich geboren und aufgewachsen bin, in der ich nun mal lebe, nicht als Schwarz gelesen werde. Zumindest nicht als „richtig“ Schwarz – oft bin ich für sie „aus Indien oder Brasilien“; irgendwie PoC eben. Meine Haut sei zu hell fürs Schwarzsein, meine Haare seien zwar ein wenig kraus, aber dann doch irgendwie zu glatt und meine Gesichtszüge entsprächen auch nicht so ganz dem Bild einer Schwarzen Person. 

Solche Aussagen verunsichern mich, lassen mich zweifeln; an mir selbst. Doch nicht nur von Weißen wird mir mein Schwarzsein abgesprochen, es gibt auch Schwarze Menschen, die mich nicht als Teil ihrer Community akzeptieren und mir dies deutlich kommunizieren. Ich bin also zu hell, um Schwarz zu sein und zu dunkel, um weiß zu sein. Die Worte Mulat*in, Mischling oder halb-halb tun mir weh. Ich sei ein „Mix“, „Café au Lait“, „Karamell“ – alles Bullshit! Ich bin weiß und ich bin Schwarz. Und wenn ich ehrlich bin, dann stimmt auch das nicht – ich bin einfach ich. 

Oft wurde mir von weißen Menschen gesagt, dass ich Glück habe, so hell zu sein

Ich glaube, der Umstand, nirgends richtig dazu zu gehören, ist der Grund, warum ich die Begriffe weiß und Schwarz nicht mag. Sie können noch so politisch korrekt sein, für mich markieren sie eine Grenze, einen Scheideweg. Dabei bin es nicht mal ich, die entscheiden darf, auf welcher Seite ich mich sehe, das übernimmt mein Gegenüber. Immer wieder aufs Neue. Ungefragt. Das ist anstrengend, unangenehm und ganz besonders und über alle Maßen, vollkommen unangebracht.

Denn eigentlich sollte das für niemanden eine Rolle spielen, außer für mich selbst. Und das tut es durch das permanente Thematisieren meiner ethnischen Zugehörigkeit leider viel zu viel häufig. Ich möchte nicht ständig darüber nachdenken müssen, wohin ich gehöre, wie mich die anderen wahrnehmen und ob sie sich, bei der Einordnung meiner Person, gut oder schlecht fühlen.

Oft wurde mir schon von weißen Menschen gesagt, dass ich Glück habe, so hell zu sein. Es scheint, als mache mich das attraktiver, kultiviert, weniger wild, weniger anders – deshalb sei ich auch nicht „richtig“ Schwarz. Was soll das sein, richtig Schwarz? Haben die Menschen, die mir so etwas entgegnen, eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, was diese Aussage impliziert? Ich hatte also Glück, mein dunkelhäutiger Vater wohl eher nicht? Und was ist dann eigentlich mit meiner hellhäutigen Mutter?

Sie haben eine Skala, an deren unterster Stufe mein Schwarzsein steht. Als vermeintliches Defizit

Ich finde keine Worte, um zu beschreiben, wie verletzend das ist. Es trifft mich tief. Meine Identität ist fremdbestimmt. Abhängig vom Wohlwollen und der Toleranz der Anderen, die meine Familie und mich nach einer, nach ihren persönlichen Maßstäben festgelegten Skala, bewerten. Eine Skala, an deren unterster Stufe mein Schwarzsein steht. Als vermeintliches Defizit, das glücklicherweise durch die Gene meiner weißen Mutter ausgeglichen wurde. Die Perversion dieses Gedankenkonstrukts erreicht seinen Höhepunkt im Zersplittern meiner Selbst.

Komme ich in eine Situation, wie die in der Bar, dann fühle ich mich einerseits unwohl. Weil es mich jedes Mal überrascht, von einer Schwarzen Person als Schwarz gelesen zu werden – wie schon gesagt, es gibt auch Schwarze Menschen, die mir mein Schwarzsein absprechen. Es scheint aber offensichtlich zu sein, dass ich nicht weiß bin. Ich kann nicht weiß sein, ausgeschlossen. Und das, obwohl ich doch „halb-halb“ bin.

Ich kann mich noch so sehr anstrengen, mir verzweifelt die Haare glätten oder Hip Hop doof finden. All diese Dinge habe ich in meiner Jugend getan, um mein Schwarzsein zu kaschieren, damit ich meinem weißen Umfeld besser gefalle, um angepasst zu wirken, nicht aufzufallen. Heute schäme ich mich dafür. Aber diese Dinge haben zu einem Prozess gehört, in dem ich mich noch immer befinde. Bis ich erkannt habe, wer ich bin; für mich.

Ich fühle mich unwohl, weil ich mich keiner Seite wirklich zugehörig fühle und mir dieser Umstand, durch solch eine Situation, schmerzhaft bewusst gemacht wird. Auf der anderen Seite ist der Gruß der Frau für mich auch eine Geste der Identifikation, mehr noch: der Inklusion. Er zeigt mir, sie zeigt mir: Ich werde erkannt. Oder zumindest ein Teil von mir.

Im Lauf des Abends trafen die Frau und ich noch einmal aufeinander, ohne Handschlag oder zustimmendes Nicken. Als hätte unsere erste Begegnung vorher nie stattgefunden. Und irgendwie, ich kann nicht erklären warum, war das in Ordnung.

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