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Frauen, warum nennt ihr euch gegenseitig „Girl“?

IllustratioN: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Frauen,

seit ein paar Wochen fällt mir bei uns in der Redaktion etwas auf. Zwei Kolleginnen sprechen sich mehrmals am Tag mit „Hey, Girl“ an. „Hey, Girl, was machst du denn später noch?“ Oder: „Oh Girl, deine Alu-Trinkflasche ist aber nice.“ Oder: „Guter Text, Girl.“ 

Vor wenigen Wochen haben wir den Namen dieser Rubrik geändert, aus dem hetero-normativen Format „Jungs-Mädchen-Fragen“ wurde „Querfragen“. Der Schritt war überfällig, auch weil der Begriff „Mädchen“ von vielen als abwertend und verniedlichend empfunden wird. Als etwas, das Frauen die Mündigkeit abspricht. Deshalb wundert es mich, dass einige von euch sich selbst mit „Girl“ – also mit Mädchen – anreden.

Woher kommt das? Hat das irgendwie etwas mit Selbstermächtigung zu tun? So wie man es aus dem US-Hip-Hop kennt, wo sich Rapper teilweise selbst mit dem N-Wort bezeichnen und den Unterdrückern damit ein mächtiges Instrument ihrer Herrschaft – das abwertende Wort – nehmen? Bitte nicht falsch verstehen: Ich meine die Systematik und will nicht die Diskriminierung von People of Colour und das Versklaven von Menschen mit dem Wort „Girl“ vergleichen. Manche Frauen (zum Beispiel Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray) bezeichnen sich ja auch selbst ab und an, aber dann sehr offensiv, als „Bitch“ oder „Schlampe“, um Männern diese Beschimpfung zu nehmen und sie in etwas Positives zu verwandeln. 

Also: Ist das System hinter „Girl“ das gleiche? Oder ist das einfach Mode? 

Ist es eher so, wie sich Männer untereinander auch ab und an als „Junge“ oder „Alter“ bezeichnen? Und warum benutzt ihr „Girl“ – und nicht etwa Mädchen oder Mädel? Ist Letzteres dann schon wieder zu Frauen-Mitte-40-laden-ihre-Mädels-zum-Sekt-saufen-ein-mäßig? 

Eure Boys

Die Antwort:

Liebe Männer, 

hier schreibt eine der besagten Kolleginnen, die zugeben muss: Ihr habt das ganz richtig beobachtet. Das „Girl“ ist in unserem Büroalltag angekommen. Aber eben nicht nur da, sondern auch in meinem und vielen weiteren Freundinnenkreisen. Eine statistische Erhebung kann ich dazu zwar noch nicht finden, aber ich traue mich zu sagen: Das Wort als Anrede ist in Mode.

Ich persönlich sehe „Girl“ im Deutschen vor allem als ironisch-liebevollen Kosenamen. Wer sich gegenseitig „Girl“ aka Mädchen nennen kann, ohne sich damit zu nahe zu treten – die sind befreundet. Ähnlich, wie wenn ihr euch gegenseitig „Junge“ (sprich: JUUNGÄ!“) nennt. Nur, dass es bei uns eben keine Option ist, das deutsche Wort zu benutzen. 

Denn Mädchen ist, wie ihr ja auch richtig schreibt, ein Wort, das wir schon lange nicht mehr für Frauen verwenden wollen. Es trägt schließlich die Silbe „-chen“ am Ende und ist damit (im Gegensatz zum Wort Junge) eine direkte Verniedlichung. „Blümchen, Höschen, Mädchen“ – süß. Es wurde mindestens über Jahrzehnte für erwachsene Frauen verwendet, um sie kleinzuhalten. Ähnlich wie das Wort „Fräulein“. Bei „Girl“ haben wir dieses Problem aber nicht. Damit hat uns kein Chef, Pfarrer oder Familienfreund zu lange bezeichnet – zumindest nicht in Deutschland. Es ist für uns ein englisches Wort wie jedes andere, nur kürzer, irgendwie mit mehr Swag. Und daher deutlich weniger schlimm.

Wenn wir „Girl“ als Anrede für eine Freundin verwenden, dann meinen wir das Wort außerdem ein bisschen anders. Wir haben es aus dem US-amerikanischen Raum geklaut, nachdem wir es in zu vielen Serien und Filmen immer wieder gehört hatten. Darin sagen Frauen meistens „Giiirl“, wenn sie der anderen eine empowernde Ansage machen à la

„Giiirl, you don’t need that guy“ oder „Oh giiirl, you are beautiful“. Wir haben uns das also gemerkt – und dann kurzerhand nachgemacht. 

Anfangs meinten wir es vor allem ironisch – mittlerweile braucht es den Unterton nicht mehr

Anfangs meinten wir es vor allem ironisch – so wie bei jedem Anglizismus, den wir erst austesten müssen. Mittlerweile braucht es den Unterton nicht mehr. Denn wir wollen damit nicht sagen: „Hey, du Mädchen“, sondern „Hey, gute Freundin, die du meinen Humor verstehst“. Am ehesten vergleichbar wäre „Girl“ daher wohl mit dem Wort „Bro“. Das sagen einige von euch  ja auch oft, ebenfalls mit leicht ironischem Ton. Klar, wir könnten uns dementsprechend gegenseitig auch „Sis“ nennen – aber das klingt irgendwie besonders panne. 

„Girl“ hat außerdem noch einen anderen Vorteil für uns: Es wird im Deutschen fast ausschließlich von Frauen benutzt. Ich wurde jedenfalls noch nie von einem Mann „Girl“ genannt. Und es wäre auch irgendwie komisch. Denn wenn wir Frauen uns gegenseitig „Girl“ nennen, ist das etwas Exklusives, es schafft auf merkwürdige Weise ein Gefühl der Zugehörigkeit. Wenn ich meine „Girls“ um mich herum habe und sie auch so nenne, dann wissen sie, dass sie mein engster Kreis sind. 

Vielleicht spielt da unterbewusst auch das mit, worüber ihr nachgedacht habt: Selbstermächtigung. Wenn wir uns Girls nennen und das lieben, ist das Wort positiv besetzt. Das ergäbe Sinn und war vielleicht ja sogar der ursprüngliche Gedanke erster „Girl“-Sagerinnen. Es wäre aber gelogen, wenn ich jetzt schreiben würde, dass das unser bewusstes Ziel ist. Wir wollen mit „Girl“ selten ein politisches oder gesellschaftliches Statement setzen. Hauptsächlich geht es uns darum, unsere Sprache mal wieder etwas aufzupeppen. Deswegen passiert es übrigens auch hin und wieder, dass wir euch „Boys“ nennen. Schade, dass ihr da wohl nicht genau genug hingehört habt.

Eure Girls

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