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Queers, wie ist es, vor den Eltern nicht out zu sein?

Vor den eigenen Eltern nicht out zu sein, ist für viele queere Menschen nicht leicht.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe queere Menschen,

den Vorstellungen der eigenen Eltern zu entsprechen, ist meistens nicht besonders einfach. Ich weiß, dass ich schon mehrfach die Erwartungen meines Vaters und meiner Mutter nicht erfüllt habe: Raufereien auf dem Schulhof, Sitzenbleiben in der Neunten, die zwei verschärften Verweise oder ein Unfall mit dem Auto. Aber das waren im Rückblick Kleinigkeiten. Und vor allem ging es dabei  um Entscheidungen, die ich selbst getroffen hatte – und um klares Fehlverhalten. Nichts, was die Essenz meines Wesens betroffen hätte. Unangenehm und schmerzhaft waren diese Situationen trotzdem immer.

Eine Erwartung habe ich aber erfüllt: Diejenige, die meine  Eltern hatten, als sie das erste Mal hörten, dass dieser Fötus im Bauch meiner Mutter ein Junge sein werde. Die männliche Geschlechterrolle, die sie sich wohl in Grundzügen vorgestellt haben, habe ich recht gut ausgefüllt: Ich mochte Spielzeugautos und Dinos, hatte irgendwann meine erste Freundin und bin sogar Fan vom gleichen Fußballverein geworden wie mein Vater. Klischees halt, die mich zu keinem besseren oder schlechteren Mann machen, aber irgendwie von vielen Eltern so erwartet werden.

Führt ihr eine Art Doppelleben?

Wie ist das aber, wenn man das eben nicht kann? Wenn man queer ist und weiß, dass das die Eltern nicht so leicht akzeptieren werden? Wenn man sich mit dem Geschlecht, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde, nicht identifiziert – und das den eigenen Eltern nicht sagen kann? Ich finde es wahnsinnig schwierig, mir vorzustellen, wie es ist, wenn man vor seinen Eltern ein so großes Geheimnis hat. Wie es sich anfühlt, aus Angst vor der Reaktion der Eltern einen elementaren Teil seiner selbst zu verstecken. Wie es ist, wenn man durchgehend mit einem Namen angesprochen oder mit einem Pronomen betitelt wird, das falsch ist und jeden Tag zeigt: Die eigenen Eltern kennen einen ganz großen Teil von dir nicht. Oder wenn man eine*n Partner*in nicht mit nach Hause bringen kann, weil man weiß, dass die Eltern mindestens komisch schauen, wohl eher aber noch negativer reagieren werden.

Als hetero cis Mann sind mir solche Probleme tatsächlich völlig unbekannt. Deswegen sagt doch mal bitte: Was ist euer Worst-Case-Szenario, wie die Eltern reagieren könnten? Führt ihr eine Art Doppelleben? Wie wirkt sich das auf die Beziehung zu euren Eltern aus? Mit wem redet ihr über euer „Geheimnis“ und wie ist eure Strategie? Wollt ihr die Eltern erstmal langsam darauf vorbereiten, subtile Hinweise droppen, das Gesprächsthema beim Essen unauffällig in diese Richtung steuern, um allgemein“ über dieses Thema zu sprechen? Oder wollt ihr das am liebsten für immer verschweigen?

Danke schonmal für eure Antwort,

Eure cis Heteros

Die Antwort:

Liebe cis Heteros,

manchmal habe ich schon das Gefühl, eine Art Doppelleben zu führen. Das betrifft mein Geschlecht, aber auch meine sexuelle Orientierung. Dabei verstecke ich mich nicht einmal richtig. Es ist, als wäre ich mit einem Bein aus dem „closet“. Als nicht-binäre Person, die das weibliche Geschlecht bei der Geburt zugewiesen bekam und sich vor allem zu Frauen hingezogen fühlt, zerschmettere ich tagtäglich die Erwartungen meiner traditionellen Balkan-Eltern. Denn sie erwarten von mir, dass ich einen männlichen Partner mit nach Hause bringe.

Schon als ich ein Kind war, gerieten wir oft aneinander. Meine Mutter fand meine Klamotten hässlich, zu breit geschnitten, zu maskulin. Oberteile aus der „Männer-Abteilung“ waren damals tabu und werden bis heute blöd kommentiert. Als ich in die Pubertät kam, versuchte sie mehrmals vergeblich, mich dazu zu überreden, mich zu schminken. Ich glaube, dass meine Eltern manchmal sogar denken, dass ich mich aus Trotz ihnen gegenüber nicht „feminin“ genug präsentiere.

So richtig gestritten haben wir uns, als ich Anfang der Oberstufe meine langen Haare in einen Pixie-Cut verwandelte. Meine Mutter weinte sogar, weil sie meine „maskuline“ Erscheinung, wie sie sagte, so schrecklich fand.

Da ich noch bei meinen Eltern wohne, ist die Gesamtsituation ziemlich belastend

Klar: Ganz vielleicht hätten meine Eltern mehr Verständnis gehabt, wenn ich mich geoutet hätte. Wenn ich ihnen erklärt hätte, dass ich mich sehr unbehaglich fühle, wenn meine Brüste und meine Hüften betont werden. Dass ich meinen Anblick im Spiegel mit langen Haaren nur schwer ertragen habe und ein androgynes Erscheinungsbild bei mir für innere Ruhe sorgt. Doch ich vermute eher, dass meine Eltern mich für noch verrückter halten würden, wenn ich mich als nicht-binär outen würde. Ich fürchte, dass sie kein Verständnis hätten. Mir persönlich reicht es vorerst, wenn mich Freund*innen richtig gendern und unterstützen. Es wäre für mich bereits ein riesiger Fortschritt, wenn meine Eltern aufhören würden, mein Aussehen und meine Interessen ändern zu wollen. Irgendwann werden sie es akzeptieren, egal ob der Begriff „nicht-binär“ fällt oder nicht.

Da ich noch bei meinen Eltern wohne, ist die Gesamtsituation ziemlich belastend, selbst wenn mich mein Bruder und meine Freund*innen supporten. Wir kriegen uns nicht tagtäglich in die Haare, doch die Erwartungen an mich spüre ich trotzdem – seien es nur kleine Kommentare wie: „Wenn du dann einen Mann heiratest ...“.  Ich komme gut damit klar, wenn meine Eltern mich falsch gendern. Das tun viele, da ich nur in bestimmten Umfeldern geoutet bin.

Viel komplizierter ist es für mich, eine homosexuelle Beziehung zu führen. Denn auch das würden meine Eltern nicht akzeptieren. Mein*e Partner*in ist ebenfalls nicht-binär. Ich weiß von anderen Queers, dass diese den*die Partner*in den Eltern erst als rein platonische*n Freund*in vorstellen. Ich umgehe diese Situation, da mein*e Partner*in den oberflächlichen Klischees einer Lesbe entspricht. Ich habe Angst, dass alles auffliegt. Deswegen wissen meine Eltern nichts von meiner Beziehung.

Klar wünsche ich mir, dass ich die Person auf Familienfeiern mitnehmen könnte. Mit ihr und meinen Eltern zusammen etwas unternehmen könnte. Ich stelle es mir schön vor, keine Kopfschmerzen mehr zu kriegen bei der Vorstellung, dass – sollten wir jemals heiraten – meine Eltern vielleicht gar nicht kommen würden. Doch wenn ich mir vorstelle, mich jetzt zu outen, bildet sich ein Kloß in meinem Hals. Ich fühle mich deswegen oft schuldig. Weil ich einen Teil von mir verschweige.  Ich will irgendwann die Bombe platzen lassen, statt stückchenweise Tipps zu geben, um es schnell hinter mir zu haben.  Das wird wahrscheinlich erst passieren, wenn ich ausgezogen bin, um für die Zeit danach erstmal auf Distanz zu gehen.

Solange werde ich eine Art Doppelleben weiterführen. Die Unterstützung, die ich von meinen engsten Freund*innen erhalte, machen das zum Glück erträglicher.

Eure Queers

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