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Warum sind langweilige Youtube-Videos so erfolgreich?

Illustration: Federico Delfrati

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Youtuber*innen, die schmatzend riesige Portionen Nudeln essen, still in einem Buch lesen oder einfach nur rumsitzen – und Millionen Menschen schauen ihnen dabei zu. Videoformate wie sogenannte Mukbangs, die Menschen beim Essen zeigen, oder ASMR-Videos, die beruhigend wirken sollen, haben seit Jahren viele Fans. Aber warum schauen wir uns so etwas an? Warum faszinieren uns langweilige Videos? 

Das haben wir Josephine Schmitt gefragt. Sie ist Medienpsychologin vom Center for Advanced Internet Studies (CAIS) und erklärt uns den Trend.

jetzt: Es gibt Youtube-Videos, in denen absolut nichts passiert und die trotzdem Millionen Aufrufe haben. Warum schaut man so was?

Josephine Schmitt: Hier muss man sich zunächst die Frage stellen, ob Zuseher*innen die Videos überhaupt als langweilig empfinden oder ob wir das mit einer Außenperspektive so sehen. Die Gründe für die Beliebtheit von Vlogs sind aber verschieden: vom sozialen Vergleich über Nachahmung bis zum Voyeurismus. Junge Menschen suchen Leute, die sie bewundern, belächeln oder von denen sie Einblicke in das Leben anderer erhalten können. 

„Das wirkt motivierend und schafft sozialen Druck“

In vielen dieser Videos sitzen die Youtuber*innen sehr lange einfach nur da und man schaut ihnen bei einer monotonen Tätigkeit zu. Schauen wir solche Videos vielleicht auch, um uns weniger einsam zu fühlen?

Das kann zumindest eine Erklärung sein. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Mukbangs, die aus Südkorea stammen. Es gibt die Annahme, dass dort viele Menschen, diese Videos schauen, weil sie sich einsam fühlen. Mukbang-Videos leisten ihnen beim Essen Gesellschaft. Eine andere Erklärung, vermutlich auch für die Beliebtheit der Videos in Deutschland, ist: Wir schauen Videos, weil wir uns unterhalten wollen, um dadurch vor dem stressigen Alltag zu flüchten. Wir suchen eine Ablenkung. Aber es ist auch eine Trendfrage. Wenn ein Video Millionen Klicks hat, schaue ich mir das oft an, um herauszufinden, warum. 

Ein anderer Trend sind „Study With Me“-Videos, in denen sich Menschen dabei filmen, wie sie lernen. Auch diese Videos haben Millionen Aufrufe, obwohl so wenig passiert. 

Zuschauer*innen sehen hier zum Beispiel andere Schüler*innen oder Studierende, die erfolgreich lernen. Das wirkt motivierend und schafft sozialen Druck. Diese virtuelle Lernatmosphäre kann ähnliche Eigenschaften wie eine Lerngruppe haben.

Ok, aber was ist mit diesem Typen, der vier Stunden lang da sitzt und grinst? Das Video wurde über vier Millionen mal gesehen.

Dieses Video wirkt eher wie eine Challenge, der sich dieser Youtuber aussetzt. Menschen schauen sich das an, um zu erfahren, wie lange es die Person wohl schafft, so zu sitzen. Damit wird möglicherweise auch ein bestimmter Voyeurismus bedient, man blickt in einen Ausschnitt des Lebens eines Menschen. Sozialer Vergleich spielt hier auch eine Rolle: Könnte ich das genauso gut? 

Dann gibt es auch noch ein großes Angebot an ASMR-Videos, in denen Youtuber*innen zum Beispiel Geräusche mit Alltagsgegenständen erzeugen oder in ein Mikrofon flüstern. Was haben wir von solchen Videos?

Solche Videos wirken auf manche Menschen beruhigend. Das heißt, die Ruhe im Video hilft ihnen, selbst auch Ruhe zu finden. Ähnliches kann man ja auch über Videos sagen, die Kaminfeuer oder Unterwasserlandschaften zeigen, oder Videos mit Walgesängen.

Schauen wir solche Formate auch wegen der Youtuber*innen an, die uns da „gegenüber“ sitzen?

Ja. Beim Zuschauen, ähnlich wie in der echten Welt, bauen wir Beziehungen zu den Menschen hinter dem Bildschirm auf – sogenannte parasoziale Beziehungen. Viele Youtuber*innen sprechen ihre Zuseher*innen in Videos ja auch direkt an. Dadurch fühlen wir uns zugehörig. Wenn ein*e Youtuber*in keine Videos mehr postet oder ein Kanal offline geht, können wir tatsächlich auch Trennungsschmerzen erleben. So, als hätte uns eine wichtige Person verlassen.

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