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Haben Frauen im Sozialismus besseren Sex?

Die Autorin Kristen R. Ghodsee.
Foto: Alina Yakubova/Suhrkamp Verlag.

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Hingebungsvoll staubsaugen Männer das Wohnzimmerparkett, falten Wäsche, kochen und holen die Kinder ab, bevor ihre Frauen von der Arbeit nach Hause kommen. Unter dem vielsagenden Titel „Porn for Women“ wurden vor zwölf Jahren Fotografien solcher Szenen veröffentlicht. Die Umkehrung der klassischen Geschlechterrollen soll hier zeigen: Der Anblick vom Mann, der sich um Haushalt und Kinderbetreuung kümmert, macht die Hetero-Frau so richtig an.

Tatsächlich hat unser Sexleben immer damit zu tun, wie wir außerhalb des Schlafzimmers leben: ob wir Stress bei der Arbeit oder Streit mit Freund*innen haben, körperlich fit sind oder welche Medikamente wir nehmen. Aber auch, wie die Gesellschaft strukturiert ist, hat damit zu tun. Genau dieser Zusammenhang wird in dem Buch „Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben“ besprochen. Die Historikerin und Ethnografin Kristen R. Ghodsee geht darin der Frage nach, wie sich Ökonomie auf unser Sex- und Liebesleben auswirkt.

Wirtschaftliche Gleichheit führt zu besserem Sex

Sie bezieht sich dabei in erster Linie auf sozialistische Ideale. Mit „Sozialismus“ ist also nicht der gesamte Staatssozialismus der Vergangenheit mit Stasi, Gulag & Co. gemeint, sondern das Ideal der Gleichheit. Sie erklärt: „Die DDR und die Sowjetunion sind Schnee von vorgestern, und dabei sollte es auch bleiben. Mir geht es um etwas anderes: Die Gräuel des Staatssozialismus des 20. Jahrhunderts sollten nicht dafür missbraucht werden, jede Kritik an den Problemen des heutigen Kapitalismus zum Verstummen zu bringen.” 

Im Zuge dessen beleuchtet sie sozialistische und kapitalistische Gesellschaften im Hinblick auf sexuelle Zufriedenheit und kommt zu dem Schluss, dass die sexuelle Zufriedenheit dort höher war als in kapitalistischen Gesellschaften. Das führt sie darauf zurück, dass in vielen sozialistischen Gesellschaften durchaus Positives für die Gleichberechtigung der Frau geleistet wurde. Die Behauptung „Sozialismus führt zu besserem Sex“ heißt im Grunde: „Wirtschaftliche Gleichheit führt zu besserem Sex“. Und diese These ist erstaunlich zeitgemäß. 

Sehen wir uns doch mal die Gegenwart des Kapitalismus an: Frauen werden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert – zum Beispiel, indem sie für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekommen als männliche Kollegen (Stichwort: Gender Pay Gap). Sie haben es schwerer, Familie und Arbeit unter einen Hut zu bekommen, weil sie immer noch hauptverantwortlich für die Arbeit im Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege sind – für die sie meist gar nicht bezahlt werden. Frauen sind also häufiger von Armut betroffen als Männer. Die Folge ist, dass Frauen oft wirtschaftlich abhängig von Männern bleiben. Aber was hat das mit gutem, schlechtem oder gar ‚besserem Sex’ zu tun? 

Frauen verkaufen Sex, den Männer mit anderen Ressourcen kaufen

Kurz gesagt: Frauen haben genau dann Spaß am Sex, wenn sie für sich selbst sorgen können. Laut Ghodsee wird Sexim Kapitalismus zur Ware, vor allem in heterosexuellen Beziehungen. Dabei geht es aber nicht um Sexarbeit, sondern um jegliche intimen Beziehungen. Hintergrund ist die sogenannte „sozialökonomische Theorie“. Sie besagt, dass schon Flirten im Kapitalismus wie ein Markt funktioniert. Die wirtschaftlich schwächeren Frauen ‚verkaufen’ Sex, den die wirtschaftlich stärkeren Männer mit anderen Ressourcen ‚kaufen’ – mit finanzieller Absicherung und sozialer Stellung zum Beispiel.

Das klingt heftig, bedeutet aber vor allem, dass es für Sex- und Liebesbeziehungen besser ist, wenn sie allein auf Emotionen und Lust basieren und keine finanzielle Abhängigkeit im Spiel ist. Denn besagter ‚Kauf’ wird nicht explizit als Vertrag zwischen beiden Beteiligten ausgehandelt, sondern ist eher wie ein – mal mehr, mal weniger – automatischer Tausch. Je schwerer es der Frau gemacht wird, wirtschaftlich unabhängig zu sein, desto eher kommt es zu einem solchen Sex-Gegen-Geld-Tausch.

Wenn Sex auf diese Art und Weise zur Ware wird, dann sei die Motivation dazu keine aus Liebe, gegenseitiger Zuneigung und Anziehung mehr. Ghodsee sagt: „Warum sollte sich ein Mann Gedanken über die Lust der Frau machen, wenn er das Gefühl hat, dass er sie bezahlt, um Zugang zu ihrem Körper zu bekommen? Er glaubt, dass sie in nichtsexueller Weise entschädigt wird.“ Dieses Prinzip lässt sich im Einzelfall sicherlich auch umkehren, wenn die Frau diejenige wäre, die für finanzielle Sicherheit sorgte. Im Grunde geht es aber auch darüber hinaus: Unser gesamtes Privatleben mit allen intimen Beziehungen, die wir führen, sollte nicht zum reinen Tauschgeschäft werden – und der Wert eines Menschen nicht zum Tauschwert.

Im Kapitalismus wird Sex verkauft, im Sozialismus geteilt

Ungleichheit ist also unsexy. In sozialistischen Staatssystemen wie in der DDR oder Bulgarien – die Ghodsee keinesfalls uneingeschränkt feiert – gab es Versuche, für wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau zu sorgen: eine ausgewogene Work/Family-Balance durch staatlich finanzierte Kinderbetreuung oder bezahlte, institutionalisierte Elternzeit. Gerade die wirtschaftliche Unabhängigkeit und damit einhergehende Erwerbstätigkeit der Frau habe zum Beispiel in Ostdeutschland insgesamt zu einem glücklicheren Sexleben geführt – zu diesem Ergebnis kam auch der MDR-Film „Liebte der Osten anders?“. Der Unterschied zwischen Sex im Sozialismus und Sex im Kapitalismus wäre demnach: Im Kapitalismus wird Sex verkauft, im Sozialismus geteilt. 

Der Begriff „Sozialismus“ wird in diesem Buch gewissermaßen zurückerobert und auf die aktuelle gesellschaftliche Situation übertragen. Das ist etwas, das zurzeit vor allem junge Politiker*innen zu tun versuchen: In den USA zum Beispiel die Demokratin Alexandria Ocasio Cortez oder der Juso-Chef Kevin Kühnert in Deutschland. In Ghodsees Buch geht zwar hauptsächlich um den Zusammenhang von Feminismus und Sozialismus. Aber da sollte es nicht aufhören: Von bestimmten Idealen des Sozialismus sollten nicht nur heterosexuelle cis-Frauen profitieren, sondern auch Personen anderer sexueller Identität, Homosexuelle, Queers, People of Color, Schwarze, Personen mit Behinderung und viele mehr. Auch in unserer Gesellschaft ergeben konkrete Maßnahmen wie Quoten für alle Arten von Diversität, staatlich geförderte Kinderbetreuung oder bezahlte Elternzeit Sinn. Auch, aber nicht nur, um unser Sexleben zu verbessern. 

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