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Open-Book-Klausuren sollte es auch nach der Pandemie noch geben

Klausuren werden derzeit anders geschrieben als gewohnt. Schlechter ist das nicht.
Foto: gmeviphoto; Bearbeitung: jetzt

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Open-Book-Klausuren werden auch Kofferklausuren genannt. Dabei stellt man sich Student*innen vor, die mit einem Koffer voller Vorlesungsskripte und Notizen zur Prüfung erscheinen. Und das war auch lange so. Nun sind einige Hochschulen wegen der Corona-Beschränkungen aber auf digitale Open-Book-Klausuren umgestiegen. Endlich ein Prüfungskonzept, das Sinn ergibt!

Denn Student*innen dürfen dabei nicht nur den imaginären Koffer mit Skripten und Notizen zu Hilfe nehmen, sondern meist auch im Internet recherchieren. Viele nennen das „erlaubtes Spicken“ und behaupten, diese Art von Klausuren sei einfacher. Dabei sind Open-Book-Klausuren teils sogar anspruchsvoller als Klausuren „ohne Spicken“. Viel wichtiger aber noch: Sie sind zeitgemäß. Denn „Spicken“ entspricht unserer Lebenswirklichkeit: Wir können uns heute quasi immer und überall Informationen beschaffen, haben das Smartphone immer zur Hand und Zugriff auf das gesammelte Wissen des Internets. Wir sind ständig vernetzt. Keine Nachschlag- oder Recherchemöglichkeiten zu haben, entspricht nicht den realen Begebenheiten – weder im Alltag noch im Berufsleben. Open-Book-Klausuren sollten deshalb zur Regel werden. Auch dann, wenn Präsenzprüfungen wieder erlaubt sind.

Was bringt die bloße Reproduktion von Fakten, wenn man nicht weiß, wie man sie anwenden kann?

Kofferklausuren bestehen meist nicht aus Ja/Nein-Fragen, sondern aus Verständnisfragen. Lernen muss man dafür natürlich trotzdem. Allerdings bringt das altbewährte Auswendiglernen hier keine gute Note ein. Stattdessen zählen andere, wichtigere Fähigkeiten: Nachdenken, Zusammenhänge herstellen, Wissen verknüpfen. Open-Book-Klausuren bringen die Student*innen dazu, problemorientiert zu lernen. Denn was bringt die bloße Reproduktion von Fakten, wenn man nicht weiß, wie man sie anwenden kann?

Da man in Open-Book-Klausuren zwar theoretisch alles nachschlagen kann, das aber praktisch unmöglich ist, lernt man außerdem, sich die Prüfungszeit bewusst einzuteilen. Wer es nämlich schafft, in den 60 bis 90 Minuten Prüfungszeit jede einzelne Lösung zu finden, der entstammt entweder einem Marvel-Comic oder hat in der Prüfungsvorbereitung nichts anderes geübt, als zu blättern. Student*innen müssen sich stattdessen fragen: Wann und wie oft ist Nachschlagen wirklich sinnvoll? Während es Sinn ergibt, eine Jahreszahl oder eine Formel nachzuschlagen, hilft einem das Blättern wenig, wenn Zusammenhänge abgefragt werden. Manches Wissen muss man eben im Kopf haben. Nämlich das Wissen, das einem hilft, wirklich zu verstehen.

Das Berufsleben ist quasi eine nie endende Open-Book-Klausur

Das mag für viele außerhalb ihrer Komfortzone liegen, stärkt aber letztlich das Selbstvertrauen. Wenn wir Fakten reproduzieren, zeigt das lediglich, dass wir gut auswendig lernen können. Um Zusammenhänge in einer Prüfungssituation zu erkennen, brauchen wir aber viel mehr eigenständige Transferleistungen. Wir müssen also auf unseren Verstand vertrauen, Wissen unter Zeitdruck anwenden und einordnen. Open-Book-Klausuren fordern nicht die exakt gleiche Lösung von allen Prüflingen, sondern bieten Raum für eigene Gedanken. Das bereitet außerdem viel besser auf die Zeit nach dem Studium vor. Ja/Nein-Fragen gibt es dort selten, dafür umso mehr Herausforderungen, in denen Grips gefragt ist. Das Berufsleben ist quasi eine nie endende Open-Book-Klausur.

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