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Wenn man die Migrationsgeschichte nicht sieht

Unsere Autorin hat eine unsichtbare Migrationsgeschichte. Sie entscheidet, wann sie über ihre Reisen nach Sarajevo, Ćevape und Turbofolk sprechen will.
Illustration: FDE

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Ein bosnischer Vorname stand nie zur Debatte. Das ist die Antwort meiner Mutter auf die Frage, warum meine Eltern sich mit „Laura“ für einen eher westlichen Vornamen für ihr Kind entschieden haben. Und das, obwohl meine Mutter eigentlich aus Bosnien-Herzegowina stammt. Der Grund? Ich glaube, dass sie mir das Leben nicht schwer machen wollten, mit einem ausländisch klingenden Vornamen. Auch, wenn der Nachname Meyer schon feststand. Meine Mutter sagt, dass ein nicht-westlicher Name schlicht nie ein Thema und für sie ausgeschlossen war, für meinen deutschen Vater sowieso.

Diskriminierung habe ich als Tochter einer Migrantin nie erlebt

Diskriminierung habe ich als Tochter einer Migrantin nie erlebt, nur Interesse und Verwunderung. Meine Familiengeschichte scheint ein positives Gadget zu sein. Zum Thema wird sie immer nur dann, wenn ich das will. Wenn ich zum Beispiel über Sarajevo spreche, eine Hausarbeit mit Westbalkan-Bezug schreibe oder meinen Kroatisch-Sprachkurs beiläufig erwähne. Dann runzeln die Menschen die Stirn und ich erzähle von meiner Familie. Ich gehöre damit zu den 26 Prozent der deutschen Bevölkerung, die eine Migrationsgeschichte haben – aber nicht nur wegen meines Namens, sondern auch wegen meines Aussehens und meiner akzentfreien Aussprache ist meine unsichtbar.

In der Schulzeit war sie zum Beispiel nur ein Thema, wenn es darum ging, wer in den Sommerferien den weitesten Weg zurückgelegt hat. Gewonnen habe fast immer ich: Sarajevo, die Geburtsstadt meiner Mutter, liegt 1400 km entfernt von meiner Heimatstadt in Deutschland. Ich verbrachte dort fast jeden Sommer, tanzte Kolo auf Hochzeiten, aß Ćevape mit meiner Familie und hörte laut Turbofolk mit meinen Cousinen und Cousins. Außer, dass ich im Sommer in Bosnien war und meine Großeltern oft für mehrere Monate zu Besuch in Deutschland waren, habe ich mich nie mit meiner Herkunft beschäftigt. „White Privilege“ nennt man das 2021, früher hatte ich kein Wort dafür.

Eine Frage aus dem Sommer 2013 hat mich aber bis heute nicht mehr losgelassen: Fühlst du dich als Deutsche oder als Bosnierin? Damals am Straßenrand in Hrasnica gegenüber dem Kumpel meiner Cousine war die Antwort klar: deutsch. Natürlich, dachte ich. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Von Freund*innen und Fremden werde ich stets bewundert und nach Tipps für den nächsten Urlaub gefragt. Wie heißt nochmal das Nationalgericht des Balkans und was heißt „Danke“? Oft werde ich auch gefragt, ob meine Familie auch vor dem schrecklichen Bürgerkrieg fliehen musste. Und immer wieder diese eine Frage, das große Mysterium: Warum ist dein Nachname dann Meyer?

Ich entscheide wem, wann und in welchem Umfeld ich von meiner Migrationsgeschichte erzähle

Diese Fragen beantworte ich gerne, schließlich kann ich entscheiden, ob sie überhaupt aufkommen. Ich entscheide wem, wann und in welchem Umfeld ich davon erzähle, bin mir stets bewusst, dass Fragen aufkommen, wenn ich das Thema anschneide.

Das können andere nicht: Sie werden im Bewerbungsgespräch gefragt, woher denn der „exotische Name“ komme oder werden an der Bushaltestelle aufgrund ihres Aussehens rassistisch beleidigt, werden Opfer von Racial Profiling im Park und ihr Aussehen wird in der mündlichen Prüfung an der Uni kommentiert. Eine Kommilitonin mit rumänischem Nachnamen hatte Probleme bei der Wohnungssuche, eine Bekannte mit bosnischem Vornamen und deutschem Nachnamen wird jedes Mal bei der Passkontrolle länger gemustert, ein anderer Bekannter blieb früher immer extra länger im Bus sitzen, um als BIPoC nicht durch eine bestimmte Straße laufen zu müssen.

Ein unterschwelliges „Woher kommen Sie denn?“ oder „Woher stammt Ihre Familie?“ habe ich noch nie gehört

Eine Studie des Sachverständigenrates für Migration und Integration belegt, dass Menschen, deren phänotypische Merkmale auf eine ausländische Herkunft schließen lassen, wie ein Kopftuch, ein Akzent oder eine dunkle Hautfarbe, sich deutlich häufiger diskriminiert fühlen als Zugewanderte, die „typisch deutsch“ aussehen. Für mich zeigen diese Zahlen eine Doppelmoral der deutschen Gesellschaft. Ein unterschwelliges „Woher kommen Sie denn?“ oder „Woher stammt Ihre Familie?“ habe ich noch nie gehört. Auch in Jobanzeigen heißt es oft „Wir fördern Menschen mit diversen Biografien“, aber am Ende wird häufig – so zumindest mein Gefühl – dann die Person genommen, die „passend“ zur weißen Mehrheitsgesellschaft scheint. Nicht Hatidza oder Murat, sondern Menschen wie ich. Es fühlt sich ungerecht an, wenn Menschen mit einer ähnlichen Familiengeschichte, aber einem sichtbaren Migrationshintergrund, anders behandelt werden als ich – und das ist es auch.

Was man als einzelne Person gegen diese Doppelmoral in der Gesellschaft tun kann? Offener sein. Ich erzähle immer öfter ganz bewusst von meiner Familiengeschichte und schaue dann in verdutzte Gesichter. Das wird zwar nicht reichen, um Rassismus zu bekämpfen, kann aber dafür sorgen, ein Bewusstsein zu schaffen, dass es eine Doppelmoral in Bezug auf sichtbare und unsichtbare Migrationshintergründe gibt. Ich erzähle meine Geschichte, um deutlich zu machen, wie divers Deutschland ist. Man kann in keinen Menschen hineinsehen und Klischees stimmen oft eben nicht. Wir müssen endlich alle Migrationsgeschichten gleichwertig behandeln und bestimmte Sprachen oder Herkunftsländer dürfen nicht als „positiver“ angesehen werden als andere – und im Umkehrschluss andere auch nicht als „negativer“. Schluss also mit der Doppelmoral.

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