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„Man muss ihnen trotzdem mit Nächstenliebe begegnen“

Sängerin Diana Ezerex gibt regelmäßig Konzerte in Gefängnissen. Sie findet,  Musik sollte für alle Menschen zugänglich sein.
Foto: Judith Ezerex

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Die 26-jährige Diana Ezerex gibt seit drei Jahren ehrenamtlich Konzerte in verschiedenen Gefängnissen in Deutschland. Seit 2018 auch im Ausland. In ihrem Debüt-Album „My Past’s Gravity“, das am 26. Juni erscheinen wird, verarbeitet sie ihre Erlebnisse und Begegnungen in den Gefängnissen. Neben den ehrenamtlichen Auftritten studiert sie Kulturvermittlung in Karlsruhe. Wir haben mit ihr über ihre Auftritte in den Gefängnissen gesprochen, was sie aus den Begegnungen mit den Insass*innen mitnimmt und wie unterschiedlich die Insass*innen auf ihre Musik reagieren. 

jetzt: Wann hattest du deinen letzten Auftritt im Gefängnis – ist das zu Pandemie-Zeiten überhaupt noch möglich? 

Diana Ezerex: Das letzte Konzert war im Februar 2020. Während Corona geht leider im Moment gar nichts. Alles ist zu. Ich plane aber schon die nächsten Konzerte. Es scheint so, als ob bald wieder was gehen würde. Der Plan ist, Anfang Juli in einer Jugendarrestanstalt zu spielen. Momentan warten wir noch auf eine Antwort des Ministeriums und das finale Go. Meine Band und ich sind guter Dinge und ich freue mich wirklich sehr darauf, endlich wieder live spielen zu können.

Wie kamst du auf die Idee, im Gefängnis aufzutreten?

Ich dachte mir schon immer: Krass, ein Gefängnis ist eine absolut andere Welt und ich hatte überhaupt keine Berührungspunkte damit. Mich faszinieren aber andere Welten und Lebensrealitäten total. Ich liebe es einfach, kurz in andere Leben eintauchen zu können. Gefängnisse sind nochmal auf eine ganz besondere Art und Weise interessant, weil dort Menschen in einer fremdbestimmten Isolation leben. Eine Freundin von mir hat vor ein paar Jahren ein Praktikum in einem Gefängnis gemacht und sie hat immer von einigen sehr spannenden Erlebnissen erzählt. Ich war neugierig und dann kam mir sofort der Gedanke, ich möchte diese Menschen erreichen und ihnen auch etwas Gutes tun. Ich wollte super gerne mit meiner Musik eine Brücke schlagen. Kunst schafft es auch, Menschen zusammenzubringen, die im Normalfall nicht zusammenkommen würden. 

Wie hast du dein Vorhaben organisiert?

Eigentlich immer per Mail. Ich schreibe dann einfach: „Hey, ich bin Diana, mache Musik und würde bei euch gerne ein Konzert geben, wäre das möglich?“ Leider ist das aber nicht so einfach. Ich habe jedes Gefängnis in Deutschland angeschrieben und war trotzdem „erst“ in 14. Oft bekomme ich gar keine Rückmeldung, oder eine Absage. Ich lasse mich davon aber nicht entmutigen, weil mir diese Konzerte sehr am Herzen liegen. 

Erinnerst du dich noch an deinen ersten Auftritt und wie du dich davor gefühlt hast? 

Mein erster Auftritt im Gefängnis war in einer Jugendanstalt. Darauf habe ich mich gefreut, weil ich schon viele Jahre im kirchlichen Kontext Jugendarbeit gemacht habe. Ich war auf Freizeiten und habe wöchentlich Jugendgruppen betreut. Später habe ich dann ein freiwilliges soziales Jahr in der offenen Jugendarbeit gemacht, dort bin ich bereits mit straffälligen Jugendlichen in Kontakt gekommen. Ich war sehr gespannt. Bei meinem ersten Auftritt im Männergefängnis in Bayreuth war das allerdings etwas anders.

„Inhaftierte Männer waren bis dahin unbekanntes Terrain für mich“

Was genau war anders?

Ich war damals 22 Jahre alt und dachte mir kurz vor dem Auftritt: Warum habe ich nur zugesagt? Warum mache ich das hier? Mir wurde bewusst, dass das schon nochmal eine andere Zielgruppe war als Jugendliche. Ich wusste im Voraus nicht, wer da vor mir sitzen würde und was sie getan haben, das war aber nicht das, wovor ich Respekt hatte. Es war mehr dieses Wissen, dass da schon einfach „härtere Jungs“ sitzen. Als Person, die sexistische Erfahrungen machen musste, hat mich das schlucken lassen. Inhaftierte Männer waren bis dahin unbekanntes Terrain für mich, vor denen ich aufgrund ihrer medialen Darstellung einfach Respekt hatte. 

Waren deine Sorgen berechtigt?

Nein (lacht). Es war im Endeffekt mega cool! Es waren fast 100 Männer da und ich stand vorne alleine ohne Bühne mit meiner Gitarre. Ich habe in dem Moment gemerkt, dass das ganz „normale“ Menschen sind, die da vor mir sitzen und ich mir die Sorgen ganz umsonst gemacht hatte. Das klingt so banal, aber es sind wirklich Menschen wie du und ich. Keine verzerrten Gesichter mit Blutstropfen-Tattoos im Gesicht, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Die Männer haben teilweise Übles getan und man muss ihnen trotzdem mit Nächstenliebe begegnen. 

„Musik sollte kein Privileg sein, sondern zugänglich für alle Menschen“

Hast du nicht auch manchmal Bedenken, dass du da Leute unterhältst, die andere umgebracht oder vergewaltigt haben?

Zugang zu Musik und Kultur im Allgemeinen ist meiner Meinung nach nichts, was man sich verdienen muss. Musik sollte kein Privileg sein, sondern zugänglich für alle Menschen. Kultur ist ein Mittel der Kommunikation und des Diskurses, den die Gesellschaft braucht. Musik öffnet den Zugang zu Menschen auf einer psychosozialen Ebene und damit wird Resozialisierung möglich gemacht. Das ist gut und wichtig. Ich glaube auch nicht, dass ich darüber entscheiden darf, wer was zu konsumieren hat. Darüber hinaus wäre es ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, nicht in Personen zu investieren, die gegen unser Rechtssystem und unseren Werte- und Normenkatalog aus welchen Gründen auch immer verstoßen haben. Außerdem weiß ich nie, wer in meinem Publikum sitzt, egal ob hinter Gittern oder nicht. 

Wie sehen denn deine Auftritte im Gefängnis konkret aus?

Vor dem Auftritt wird erstmal ein Sicherheitscheck gemacht und oft muss ich auch ein Führungszeugnis vorlegen. Beim Konzert gebe ich meine Wertsachen ab und werde dann von Beamt*innen zum Konzertraum geführt. Der Raum, in dem  ich dann auftrete, sieht immer ganz unterschiedlich aus. Das kann manchmal eine Kirche sein, oder eine Turnhalle. Anschließend baue ich meine Bühne auf und währenddessen werden die Insass*innen geholt und in den Saal gebracht. Es dürfen aber auch nicht immer alle Insass*innen kommen. Die Gefängnisleitung entscheidet, ob sie kommen dürfen oder nicht. 

Hast du auch die Möglichkeit, mit den Insass*innen ins Gespräch zu kommen?

Das kommt immer ganz auf die Anstalt an. Manchmal trinke ich mit den Menschen noch einen Kaffee oder wir essen zusammen. Ab und zu bekomme ich auch eine Führung durchs Gebäude, das ist super spannend.

„Während einem Konzert hat einmal der ganze Saal geweint, inklusive mir“

Wie reagieren die Insass*innen auf deine Lieder? 

Bisher waren alle Reaktionen durchweg positiv. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich sie langweile (lacht). Die meisten wertschätzen meine Arbeit sehr und freuen sich, dass ich da bin. Oft kommen Menschen mit Tränen in den Augen zu mir und bedanken sich. Frauen kommen oft zu mir und wollen mich umarmen. Während eines Konzerts hat einmal der ganze Saal geweint, inklusive mir. 

Warum?

Es war eigentlich ein „ganz normaler“ Tag. Ich glaube aber, die Stimmung war so traurig, weil die Frauen größtenteils in U-Haft saßen, eine Zwischenstation, in der noch alles ungewiss ist. Sie wussten zu dem Zeitpunkt nicht, wie es für sie weitergehen wird. Die Atmosphäre der Kirche, in der das Konzert stattfand, hat ebenfalls ihren Teil zu den krassen Emotionen beigetragen. 

Bald erscheint dein erstes Album, in den Songs schreibst du über das Erlebte im Gefängnis während deiner Auftritte. Worum geht es genau?

Ich habe keine konkreten Geschichten in den Songs verarbeitet. Es sind mehr Gedanken, die ich aus den Gesprächen mit den Insass*innen mitnehme. Mein Album behandelt drei große Themen. Es geht um die Vergangenheit, wie unterschiedlich wir Menschen aufwachsen. Dann um die Gegenwart, also wie die Situation im Gefängnis ist, mit Schwerpunkt auf den Kampf gegen das, was man in der Vergangenheit erlebt und getan hat. Zum Schluss blicke ich dann mit den Songs in die Zukunft: Wer und wie möchte ich sein, besonders nach der Zeit im Gefängnis. 

Was nimmst du von den Konzerten und den Begegnungen im Gefängnis mit?

Ich bin so unendlich dankbar, dahin gehen und einen Einblick in ihren Kosmos werfen zu dürfen und was bewegen zu können. Dann wird mir auch immer wieder klar, dass man den Menschen nicht ansieht, wo sie herkommen und was sie durchgemacht haben, also wer sie wirklich sind und wer sie sein wollen. Man bekommt immer nur die Bestandsaufnahme des jetzigen Zeitpunkts mit. Es steckt einfach so viel hinter einem Menschen und meine Konzerte erinnern mich immer wieder daran, dass es sehr wichtig ist, den Menschen auch eine zweite Chance zu geben. 

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