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„Unsere Liebe zur Umwelt hat die Angst besiegt“

Sofía, Jefferson, Ellen und Aditya streiken für mehr Klimaschutz in ihren Heimatländern und weltweit.
Fotos: Privat / oskaravan_up_north / Greenpeace Philippines

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Für den 19. März rufen „Fridays for Future“ und weitere Klimaschutzbündnisse zum nächsten weltweiten Klimastreik unter dem Motto #NoMoreEmptyPromises (in Deutschland: #AlleFür1Komma5) auf. Vor zwei Jahren haben wir kurz vor dem weltweiten Streik am 24. Mai 2019 mit Klimaaktivist*innen gesprochen, die in Ländern leben, die schon heute stark vom Klimawandel betroffen sind. Jetzt haben wir auf den Philippinen, in Costa Rica, in Ghana und Indien nachgefragt: Wie hat sich die Bewegung entwickelt? Was hat sie erreicht? Wie hat sich die Pandemie auf ihre Arbeit ausgewirkt? Dabei fiel auf: Die Teilnehmer*innenzahl ist überall gewachsen – in vielen Ländern und Regionen kommt es aber auch immer häufiger zu politischen Repressionen gegen Klimaaktivist*innen.

Philippinen: „Wir bringen mit unseren Forderungen unsere Leben in Gefahr“

Jefferson Estela, 22, aus Antipolo, ist Architekturstudent und Umweltaktivist.

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Jefferson Estela ist seit 2019 in der philippinischen Klimabewegung aktiv. Er sagt: „Immer, wenn ich Droh-Nachrichten erhalte, frage ich mich: Ist es etwa falsch, für die Umwelt und meine Zukunft zu kämpfen?“

Foto: Greenpeace Philippines

„Für mich hat der Beginn der Klimabewegung vor zwei Jahren mein Leben verändert. Seitdem ist der ,Youth Strike 4 Climate‘ auf den Philippinen viel größer geworden und in den Schulen wird über die Klimakrise gesprochen. Im September 2019 fand unser bisher größter Streik statt, in Manila und 23 weiteren Gemeinden und Städten im ganzen Land sind die Menschen auf die Straße gegangen. Das ist großartig.

Allerdings sind wir dadurch zu einer Zielscheibe der Regierung geworden. In den vergangenen beiden Jahren wurden viele Menschen, zu denen wir jungen Aktivist*innen aufblicken, für ihr Engagement umgebracht oder angegriffen. Für uns ist das sehr beängstigend, denn auch wir fordern ja die Politik heraus. Wir machen das, weil wir eine bessere Zukunft wollen – und werden dafür bestraft.

Im Juli 2020 hat die philippinische Regierung das sogenannte ,Anti-Terror-Gesetz‘ verabschiedet. Teile davon verstoßen gegen unsere Verfassung, vor allem gegen die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht. Die Situation für Aktivist*innen hat sich dadurch noch einmal verschlechtert. Im Dezember 2020 wurden neun Indigene in der Provinz Iloilo, die sich gegen den Bau eines Staudamms auf ihrem Land gewehrt haben, von der Polizei ermordet, weil sie als ,Aufständische‘ galten. Auch diesen Monat wurden neun politische Aktivist*innen umgebracht

Das ist der Unterschied zwischen Aktivist*innen hier in Südostasien oder Südamerika und im Globalen Norden: Ihr habt die Freiheit, auf die Straße zu gehen, vielleicht sogar Regierungen, die euch unterstützen. Aber wir haben es hier mit einem autoritären Regime zu tun und bringen mit unseren Forderungen unsere Leben in Gefahr.

Auch, wenn man sich online äußert, kann man zensiert oder angegriffen werden. Mir hat mal ein Troll geschrieben: ,Stirb einfach!‘ Es ist gruselig, solche Kommentare zu bekommen. Ich bin sehr dankbar, Teil eines unterstützenden Netzwerks aus Aktivist*innen und NGOs zu sein. Wir treffen uns regelmäßig, um uns gegenseitig zu ermutigen oder auch einfach mal zu schimpfen.

Als die Pandemie begann, war unsere Bewegung erstmal wie gelähmt. Aber dann haben wir unsere Online-Ressourcen ausgebaut und dadurch ist der Kontakt zu Klimaaktivist*innen aus anderen Ländern viel enger geworden. Wir können sie darum besser als vorher darauf aufmerksam machen, was hier auf den Philippinen und in anderen Ländern Südostasiens passiert. Das ist gut, denn Nachrichten aus diesen Ländern kommen in den Medien im Globalen Norden oft nicht vor. Am 19. März werden wir einen Online-Streik machen, denn die Covid-Fälle steigen gerade wieder an. Vieles wird also leider in der Internet-Echokammer verhallen. Es wäre sehr wichtig, dass wir bald wieder zusammenkommen und vor allem persönlich mit Menschen sprechen können.

Die UN macht einen guten Job und versucht, sicherzustellen, dass alle Länder ihre national beschlossenen Maßnahmen umsetzen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen. Aber im Globalen Norden wird weiterhin sehr viel CO2 ausgestoßen und Länder wie die Philippinen leiden am stärksten unter den Konsequenzen. 2020 trafen uns zwischen August und Dezember acht verheerende Taifune, mitten in der Pandemie – eine doppelte Krise. Die reicheren Ländern sollten die ärmeren finanziell unterstützen, damit sie eine bessere Katastrophenhilfe aufbauen und wirtschaftlich wachsen können, ohne den Klimaschutz vernachlässigen zu müssen.“

Costa Rica: „Die Trocken- und Regenzeiten verschieben sich“

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Foto: oskaravan_up_north

Sofía Leser, 26, ist vor acht Jahren zum Studium von Costa Rica nach Deutschland gezogen und aus familiären Gründen regelmäßig in ihrem Heimatland. 2019 hat sie den ersten „Fridays for Future“-Streik in Costa Rica organisiert.

„Als Umweltaktivistin ist man in Costa Rica im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern privilegiert. Laut dem aktuellsten ,Global Witness Report‘ sind zwei Drittel der weltweiten Morde an Umweltschützer*innen im Jahr 2019 in Lateinamerika passiert, vor allem in Kolumbien und Brasilien. Ich bin in einer Whatsapp-Gruppe mit FFF-Aktivist*innen aus ganz Lateinamerika und dort geht es immer wieder um Mitstreiter*innen, die ums Leben gekommen sind oder im Gefängnis sitzen. 2018 wurde der ,Acuerdo de Escazú‘ beschlossen (eine Vereinbarung der Staaten Lateinamerikas und der Karibik zur Etablierung regionaler Transparenz- und Umweltstandards, Anm. d. Red.), der auch den Schutz von Aktivist*innen festschreibt. Aber von 24 Ländern haben ihn nur elf unterschrieben. Costa Rica ist eines davon. 

Beim ersten Klimastreik im März 2019 waren wir nur eine Handvoll Mitstreiter*innen, aber danach ist die Bewegung gefühlt explodiert! Der letzte Streik vor der Pandemie, im September 2019, war richtig groß und super organisiert. Damals haben sich auch fünf Aktivist*innen mit unserem Präsidenten Carlos Alvarado Quesada getroffen, der unsere Forderungen unterstützt. Am 19. März wird es, soweit es das Hygienekonzept zulässt, Demos geben und abends ein Webinar.

Was Umwelt- und Klimaschutz angeht, ist Costa Rica weltweit ein Vorreiter. Die Regierung sagt, dass das Land bis 2050 klimaneutral sein soll. Kürzlich wurde es verboten, Einweg-Plastik mit in die Nationalparks zu nehmen – gleichzeitig werden hier umsonst Plastiktüten im Supermarkt ausgegeben, das ist total widersprüchlich. Als mehr städtische Parks beschlossen wurden, um die Luftqualität zu verbessern, wurde mehrfach betont, dass es nicht nur um Naturschutz geht, sondern auch um unsere physische und psychische Gesundheit. Das finde ich wichtig, denn Umweltschutz ist intersektional: Eine intakte Umwelt ist nicht nur wichtig für Pflanzen und Tiere, sondern auch für uns Menschen und alle Bereiche unseres Lebens. 

Die Auswirkungen des Klimawandels spüren wir schon seit Jahren: Durch die höheren Temperaturen gibt es eine Moskito-Art im Inland, die es vorher nur an den Küsten gab. Die Trocken- und Regenzeiten verschieben sich und es kommt zu Überschwemmungen, weil die Böden stark ausgetrocknet sind. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Menschen sich einfach an diese Konsequenzen gewöhnen. Klar, wir erleben den Klimawandel schon und müssen uns daran anpassen. Aber man muss trotzdem die Ursachen bekämpfen. Darum finde ich, dass Umweltschutz ein eigenes Schulfach sein sollte.

Weltweit bewegt sich zu wenig und zu langsam. Wenn Umwelt- und Klimaschutz nicht strenger gesetzlich geregelt werden, wird das auch so bleiben. Die Menschen sind sonst zu bequem. Wir müssen global denken und politisch regional agieren. Gerade sehen wir doch, wie wichtig das wäre: Es gibt das Coronavirus in jedem Land – und trotzdem denken wir nicht global! Gleichzeitig ist die Pandemie auch eine Konsequenz aus der Umweltzerstörung. Ich frage mich, wie man diese Zusammenhänge nicht sehen kann? Wie man einfach ignorieren kann, dass unser System so nicht mehr funktioniert?

Manchmal finde ich das alles ziemlich demotivierend. Nach der Pandemie wird der nächste Hurricane kommen, die nächste Dürre, es wird noch mehr Klimamigrant*innen geben. Aber wir werden trotzdem weiter auf die Straße gehen und auf das Thema aufmerksam machen. Wir müssen noch lauter werden, bis Strukturen und Institutionen endlich aufgebrochen und verändert werden.“

Ghana: „Vor allem Frauen sind von Armut bedroht“

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Foto: Privat

Ellen Lindsay Awuku, 28, aus Accra, arbeitet als nationale Koordinatorin für „Young Reporters for the Environment“.

„Seit unserem ersten Klimastreik im März 2019 ist die Bewegung stark gewachsen. Wir klären in Schulen über die Klimakrise und die Gegenmaßnahmen auf und im September 2019 sind wir mit etwa 300 Schüler*innen, mehreren NGOs, Mitgliedern des Stadtrats von Accra und Mitarbeiter*innen der norwegischen Botschaft auf die Straße gegangen. Gemeinsam haben wir beim Umweltministerium eine Petition eingereicht.

Darin haben wir unter anderem eine landesweite Anpassungsstrategie an den Klimawandel gefordert und dass die Regierung die auf Grundlage des Pariser Klimaabkommens festgelegten nationalen Maßnahmen einhält. Außerdem verlangen wir den Rodungs-Stopp des Atiwa-Regenwalds, den die Regierung den Chinesen überlassen hat, um dort Bauxit (Rohstoff, der hauptsächlich in der Aluminiumproduktion verwendert wird; Anm. d. Red.) abzubauen. Und wir wollen, dass umfassend über den Klimawandel aufgeklärt wird: Alle Bürger*innen müssen darüber Bescheid wissen, damit sie auf dieser Grundlage Entscheidungen treffen und die Regierung in die Verantwortung nehmen können. Wegen der Pandemie ist alles im Chaos versunken, darum wissen wir nicht, inwiefern die Petition bearbeitet wird. Ich hoffe, dass bald wieder persönliche Treffen möglich sein werden. Unser nächster Streik am 19. März wird aus drei Elementen bestehen: einer Baumpflanz-Aktion, einem Online-Streik und einem Video über die Folgen der Entwaldung.

Eigentlich gibt es in Ghana politische Beschlüsse und Gesetze für den Klimaschutz – aber sie werden nicht umgesetzt. Zum Beispiel hat die Regierung versprochen, in den Personenverkehr zu investieren, also in bessere Straßen und größere Busse, um Emissionen zu reduzieren. Denn im Emissionsreport für Accra aus dem Jahr 2015 war Verkehr mit einem Anteil von 20 Prozent der zweitgrößte Faktor nach der Abfallwirtschaft.  Noch fahren hier alle mit kleinen Sprinter-Bussen oder, weil es oft zu Staus und Verspätungen kommt, direkt mit dem Auto. Ein funktionierender Personenverkehr wäre ein Anreiz, das Auto stehen zu lassen. Doch bisher geht nicht mal der Straßenbau voran.

Die stärksten Auswirkungen des Klimawandels sind in der Landwirtschaft zu spüren, die unser größter Wirtschaftssektor ist. Die Regen- und Trockenzeiten können nicht mehr verlässlich vorhergesagt werden, das schadet der Ernte und dadurch auch den Arbeiter*innen. Mehr als die Hälfte davon sind Frauen, vor allem sie sind von Armut bedroht. Es gibt eine immer stärkere Klimafluchtbewegung vom Land in die Städte, wo sich der Druck auf den Wohnungs- und Arbeitsmarkt und auf das Gesundheitssystem erhöht. Auch der Temperaturanstieg ist schon spürbar und die Hitze führt zu gesundheitlichen Problemen. Durch den Anstieg des Meeresspiegels müssen wir in Zukunft mit mehr Überschwemmungen und der Versalzung der Böden rechnen.

Der aktuelle UN-Report zeigt meiner Meinung nach, dass viele Länder sich mittlerweile weniger stark verpflichten wollen, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Der politische Wille scheint schon wieder nachgelassen zu haben. Dabei müssen die Regierungen unbedingt eingreifen, Gesetze erlassen, Finanzmittel bereitstellen – und sich an das halten, was sie bereits beschlossen haben.“

Indien: „Seit 2015 wurden in Indien 310 extreme Klimaereignisse dokumentiert“

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Foto: Privat

Aditya Dubey, 17, aus Noida, ist Schüler der 12. Klasse und Mathematik- und Informatik-Student. Seit 2019 ist er Mitorganisator und Koordinator von „Fridays for Future India“.

„Als im Februar 2021 die indische Klimaaktivistin Disha Ravi festgenommen wurde, weil sie Teil einer ,Verschwörung‘ gewesen sein soll, war das ein Schock für uns. Die Verhaftung hat viele verängstigt, Teenager*innen wurden von ihren Eltern angewiesen, sich aus der Kampagne zurückzuziehen. Später hat die Regierung klargestellt, dass sie nicht beabsichtigt, Klimaaktivist*innen anzugreifen, und Disha hat viel Unterstützung aus der Zivilgesellschaft bekommen. Dadurch hat sich die Situation beruhigt. Außerdem hat der Vorfall eine Menge Aufmerksamkeit auf unsere Anliegen gelenkt. Ich glaube, dass wir als Bewegung am Ende stärker daraus hervorgehen. Unsere Liebe zur Umwelt hat die Angst besiegt.

FFF Indien wurde 2019 gegründet und hat mittlerweile Tausende Mitstreiter*innen im ganzen Land. Mit unseren Aktionen haben wir zum Beispiel den Erlass eines Gesetzes über Luftverschmutzung und strengere Umweltauflagen für Großkonzerne bewirkt. Außerdem haben wir gemeinsam 200 000 Bäume gepflanzt. 

Eine unvergessliche Aktion war für mich die „Satyagraha gegen EIA 2020“ (Satyagraha ist die auf Gandhi zurückgehende Grundhaltung der Gewaltlosigkeit; Anm. d. Red.). Das EIA ist ein Bewertungsverfahren der Regierung, um Industrie-Projekte auf Umwelteffekte zu prüfen. Im vergangenen Jahr gab es dazu einen neue Entwurf, in dem die Schutzmaßnahmen für die Umwelt verwässert wurden. Darum haben wir am 25. August in allen wichtigen Städten demonstriert, die Versammlungen waren über eine Online-Konferenz miteinander verbunden. Bekannte indische Naturschützer*innen, viele Parteien und Umweltorganisationen haben teilgenommen. Das war ein sehr besonderer Moment – und die Bestätigung des neuen EIA wurde vom Obersten Gericht vorerst ausgesetzt

Indien ist eines Länder, die dem Klimawandel am stärksten ausgeliefert sind. Bis 2100 könnte es hier jährlich 1,5 Millionen Hitzetote geben. Seit 2015 wurden 310 extreme Klimaereignisse dokumentiert. Überschwemmungen, Dürren und Zyklone werden immer häufiger und führen jedes Jahr zum Tod Tausender Menschen und zu großen finanziellen Schäden. Die verheerenden Überschwemmungen in Kerela und Bihar 2019 sind ein Beispiel für das, was uns in Zukunft noch bevorsteht. Trotzdem hat die Klimakrise immer noch nicht höchste Priorität, weder in der Politik, noch bei den Bürger*innen. Da Indien ein Schwellenland ist, in dem ein großer Teil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, steht die Regierung unter Druck, zu industrialisieren und Jobs zu schaffen. Aber diese schnelle Entwicklung beschleunigt auch den Klimawandel. Vor allem die Industrieländer müssen aufgrund ihres historischen Beitrags zur Klimakrise mehr Verantwortung übernehmen und ärmere Ländern finanziell und technologisch unterstützen, damit sie ihre Emissionen senken können.

Die Pandemie hat unserer Bewegung sehr geschadet, aber mit der Zeit haben wir es geschafft, die meiste Arbeit ins Internet zu verlagern. Für den 19. März organisieren wir eine Satyagraha für Klimagerechtigkeit in mehreren indischen Städten. Viele Aktivist*innen werden außerdem 24 Stunden fasten, um zu zeigen, wie entschlossen sie sind. Die Aktionen werden wieder virtuell miteinander verbunden sein, sodass wir alle Teil eines großen, pan-indischen Klimastreiks werden.“

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