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Hetero-Männer, fühlt ihr euch in der Gegenwart Schwuler verunsichert?

Manche Hetero-Männer fühlen sich in der Gegenwart Schwuler noch immer unwohl – unser Hetero-Autor hat dafür verschiedene Erklärungen.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Hetero-Männer,

es gibt viele Sphären, die ihr dominiert. Fitnessstudios oder Fußballkneipen zum Beispiel, aber oft auch ganz allgemein den öffentlichen Raum. Jeder Ort wird von schwulen Männern grundsätzlich, ganz automatisch und völlig unterbewusst auf sein Homophobie-Potenzial abgecheckt. Das führt dazu, dass ich mein Verhalten, meine Bewegungen und auch meine Worte ändere, anpasse, runterschraube. Ich werde eine Light-Version meiner selbst, um nicht aufzufallen. Der Normierungs-Druck ist an diesen Orten groß. Das geschieht gar nicht bewusst, sondern ganz subtil. Wahrscheinlich geht es anderen marginalisierten Gruppen genauso, oder sie fühlen diesen Stress sogar noch stärker und anderswo.

„Am Anfang war die Beleidigung“, schreibt der französische Soziologie Didier Eribon in seinen „Betrachtungen zur Schwulenfrage“. Jeder Schwule hört irgendwann Beleidigungen im Zusammenhang mit seiner sexuellen Orientierung, und sei es nur indirekt. Diese Worte, so Eribon weiter, würden sich ins Gedächtnis und in den Körper einschreiben und die Beziehung zu anderen und der Welt formen.

Wie Recht er hat! Ich kann nicht sagen, dass ich Mobbing erlebt habe, aber negative Kommentare über Homosexualität haben sich mir eingebrannt. Im Sportverein, in der Schule oder in der Familie – auch wenn sich nicht alle abwertenden Worte an mich selbst gerichtet haben, haben sie Spuren hinterlassen und tun es noch heute. Sie führen zur oben erwähnten Anspannung, die manche als Misstrauen deuten. Und sie führen nebenbei dazu, dass viele schwule Männer eher schwule oder weibliche Freund*innen haben. Bei denen können wir uns in der Regel sicherer sein, nicht beleidigt zu werden.

Ist es vielleicht sogar die Angst vor dem Verlust der eigenen Privilegien?

Mir ist aufgefallen, dass dieser Stress nicht nur an öffentlichen Plätzen oder mit Unbekannten auftritt. Selbst wenn ich eigentlich weiß, dass mein Gegenüber cool und tolerant sein dürfte – etwa weil es Freunde meiner Mitbewohnerin sind – steige ich unbewusst auf die Bremse: Bloß nicht zu übertrieben gestikulieren oder sogar falsch interpretierbar schauen. Keine Angriffsfläche bieten, kein Klischee bestätigen. Es braucht Zeit, bis dieses Eis schmilzt und mein Kopf eine neue Umgebung als Safe Space markiert.

Ich frage mich, ob ihr, liebe Hetero-Männer, euch bewusst seid, dass ihr diesen Stress auslöst – auch wenn ihr nichts für Kommentare könnt, die ich in der 9. Klasse gehört habe. Und ich frage mich, ob ihr diesen Stress genauso kennt: Fühlt ihr euch in der Gegenwart schwuler Männer unwohl oder sogar unsicher? Und wenn ja, wieso? Was löst diese Unsicherheit aus? Ist es vielleicht sogar die Angst vor dem Verlust der eigenen Privilegien? Oder fühlt ihr euch unwohl, weil ihr nichts Falsches sagen wollt? Kommt es vor, dass ihr in unserer Gegenwart gerne einen lustigen Spruch bringen wollt, ihn aber aus Rücksicht doch sein lässt? Habt ihr Angst, von uns angemacht zu werden?

Ich denke da zum Beispiel zurück an einen Urlaub (lange ist‘s her), wo ich mit einer Freundin und einem Freund zum Ende der Nacht spontan und eher zufällig in einem Schwulenclub gelandet bin. Ich weiß es nicht, aber könnte mir vorstellen, dass er davor noch nie an so einem Ort war. Wir hatten definitiv Spaß. Aber ich frage mich noch heute, ob ihn diese Subkultur und die ihr eigenen Codes vielleicht überfordert haben. Gefragt habe ich ihn nie, deswegen frage ich jetzt euch. Fühlt ihr euch unwohl in unserer Gegenwart? Und wenn ja: warum?  

Erzählt doch mal, liebe Hetero-Männer. Wir sind gespannt.

Eure Schwulen 

Die Antwort:

 

Liebe schwule Männer,

ja, es stimmt wohl, einige von uns fühlen sich manchmal unwohl oder zumindest ein bisschen unsicher. Als Hetero-Mann mit einem durchschnittlichen Erfahrungsschatz an testosteronlastigen Erlebnissen in Umkleidekabinen, Männer-Kneipenrunden und auf Bolzplätzen würde ich dieses Unwohlsein von Hetero-Männern gegenüber schwulen Männern an dieser Stelle gern küchenpsychologisch in drei Gruppen einteilen und beschreiben. Da sind, erstens, die defensiven Heteros. Da sind, zweitens, die offensiven Heteros. Und da sind, als dritte Gruppe, die Heteros mit einer mir-doch-egal-Haltung. Eines schon mal vorweg: Würden alle Hetero-Männer zur letzten Gruppe gehören, hätten wir Hetero-Männer, und vor allem ihr, liebe schwule Männer, es vermutlich am leichtesten.

Am einfachsten zu erklären ist das Unwohlsein der Gruppe der offensiven Hetero-Männer. Weil es einem Klischee entspricht. Und weil dieses Klischee vermutlich noch immer recht oft nah an der Wahrheit dran ist. Bei diesen Männern lösen die von euch beschriebenen Orte und Momente tatsächlich ein starkes Unwohlsein aus. Und sie behalten ihr Unwohlsein, das man auch Homophobie nennen könnte, nicht für sich. Sie tragen es vor sich her. Sie wollen keine Zweifel aufkommen lassen, wer sie sind. Hämisch imitieren sie vermeintlich schwule Gesten und vermeintlich schwule Worte – und dafür reicht es schon, dass ein Mann in ihren Augen schwul aussieht, egal ob er es tatsächlich ist oder nicht. Wie viel härter es jene trifft, die offen schwul sind, müssen wir euch nicht erzählen. Das wisst ihr am besten. Entschuldbar ist das nicht, aber vermutlich liegt es daran, dass heterosexuelle Männer nicht akzeptieren, dass da jemand von einer vermeintlichen Norm abweicht. Und deshalb rücken sie ihre Norm zurecht. 

In leicht abgeschwächter Form zeigt sich die offensive Unsicherheit gegenüber schwulen Männer in Form von etwas subtilerer und dennoch deutlicher Abgrenzung. Das kann das Begrüßungsklopfen auf den Rücken anderer Männer sein, gern fest und noch besser: beinahe brutal. Oder der Ruf „No Homo“, der immer dann ausgestoßen wird, wenn man aus Versehen beim Tanzen den Ellbogen eines anderen Mannes berührt hat. Natürlich so laut, dass jede mögliche Assoziation mit Homosexuellen resolut und für alle hörbar ausgeräumt ist. 

Viele Männer sind unsicher, dabei aber neugierig 

Die zweite Gruppe, mit denen ihr es zu tun habt, sind die Defensiven. Männer, die zu dieser Gruppe gehören, empfinden nicht unbedingt Scheu gegenüber Schwulen. Ihr Unbehagen zu beschreiben, ist schwieriger. Vielleicht rührt ihre Unsicherheit daher, dass schwule Männer in ihrem bisherigen Leben keine wirkliche Rolle gespielt haben. Das kann dazu führen, dass sie in einer Runde, in der auch zwei, drei schwule Männer sind, vielleicht erstmal recht schweigsam in der Ecke sitzen und zuhören. Manch einer, der sonst mit anderen Männer über vermeintliche Männer-Themen gesprochen hat (Frauen, Fußball, Autos) fragt sich dann, ob das denn auch mit schwulen Männern geht. Und was, wenn er jetzt auf mich stehen sollte? Ihr Unbehagen mag nicht für jeden nachvollziehbar sein, aber man darf es nicht falsch verstehen. Eher ist es von Neugier getragen als von stumpfer Abneigung und schon gar nicht von Homophobie.

Kommen wir zur dritten Gruppe. Die mir-doch-egal-Heteros. Zu dieser Gruppe gehören vermutlich einige Hetero-Männer schon immer. Möglich ist aber auch, dass sich viele von ihnen erst allmählich aus der Gruppe der Offensiven oder der Gruppe der Defensiven zur Gruppe der mir-doch-egal-Heteros bewegt haben. Wer hier einmal angelangt ist, kann sich glücklich schätzen. Man ist so sehr mit der eigenen Sexualität und der Sexualität anderer Menschen (in diesem Fall: Männern) im Reinen, dass man eben nicht permanent demonstrieren muss, welche Sexualität man selbst hat. Man reißt mit schwulen Bekannten die gleichen Witze wie mit Heteros. Man erkundigt sich bei schwulen Freunden genauso neugierig nach Beziehungsratschlägen wie bei Heteros. Man ist genauso sauer auf den schwulen Kollegen wie auf den heterosexuellen Kollegen, wenn er sich unkollegial verhält. Kurz: Ob schwul oder hetero, es macht keinen Unterschied.

Und sie sind vermutlich auch für euch, liebe schwule Männer, die im Umgang angenehmsten Hetero-Männer. Vor ein paar Jahren hat der New-York-Times-Kolumnist Jim Farber dafür den Begriff der „bromosexual friendship“ erfunden, der Freundschaft zwischen homosexuellen und heterosexuellen Männern beschreibt. Ob es diesen Modebegriff gebraucht hat, weiß ich nicht. Vielleicht aber passt er zu einer alten Wahrheit: Freundschaften, bei denen der eine dem anderen nicht exakt gleicht, sind oft das beste Gegenmittel gegen klischeebeladenes Unwohlsein. 

Eure Hetero-Männer

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