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Horror-Party: Die Firmenfeier im Antibiotika-Rausch

Unser Autor musste am Morgen nach Silvester erst einmal detektivisch aktiv werden, um das Ausmaß der Katastrophe des vergangenen Abends erfassen zu können.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Wir alle vermissen Partys – und vergessen dabei leicht, dass Feiern nicht immer nur spaßig ist. In dieser Serie erzählen wir deshalb von den schlimmsten Partys, auf denen wir in unserem Leben waren. Viel zu viel Alkohol, grauslich langweilige Verwandte, emotionale Tiefpunkte – es gibt ja vieles, das eine Feier vermiesen kann. Falls du selbst von einer schlimmen Party erzählen willst: Schreib uns eine Mail an info@jetzt.de! 

Horrorstufe: 5 von 10

Center of Attention: meeeeeee

Trinkverhalten: unverantwortlich

Eigentlich war es keine schwere Entscheidung, die ich an diesem Silvester vor ein paar Jahren treffen musste. Doch mein Hirn hatte sich schon in den wohlverdienten Urlaub verabschiedet. Und so musste mein Bauch eine Entscheidung treffen, für die er vollkommen unterqualifiziert war: trotz Grippe feiern gehen – oder brav daheim bleiben? 

Mitte Dezember hatte sich ein hartnäckiger grippaler Infekt bei mir eingenistet. So hartnäckig, dass mir meine Ärztin Antibiotika verschrieben hatte. Neun Tage lang. Der letzte Tag fiel ausgerechnet auf den 31. Dezember. Mein Körper war wieder halbwegs fit, aber bekanntlich sind Alkohol und Antibiotika nicht die beste Kombination. Ich verdrängte dieses Wissen und entschied, dem Plan zu folgen, den ich seit über einem Monat hatte: von 17:30 Uhr bis 23:00 Uhr arbeiten – an einer Theatergarderobe – und danach: feiern. Den Nebenjob an der Garderobe machte ich schon seit ein paar Jahren mit einigen meiner besten Freund*innen zusammen. Es war absehbar, dass wir auch schon während der Arbeit uns ein bisschen einen antrinken würden. Aber ich versprach mir selbst, dass ich mich zurückhalten würde. 

Abgesehen von den hämmernden Schmerzen fand ich in meinem Kopf nichts als gähnende Leere

Daran hielt ich mich immerhin anderthalb Stunden lang. So lange, bis Ruben* Rum und Cola aus seinem Rucksack auspackte, womit ein furchtbares Trinkspiel begann. Je näher das Schichtende rückte, desto lustiger wurde es. Als wir Feierabend hatten, entschieden wir uns, bis Mitternacht auf der offiziellen Party unseres Arbeitgebers zu bleiben.Um halb 12 machte ich einen Sekt auf. Das Knallen des Korkens und ein erster Schluck, bei dem mir die Kohlensäure in die Nase stieg, waren das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, als ich am nächsten Mittag noch in der Jeans in meinem Bett aufwachte. Abgesehen von den hämmernden Schmerzen fand ich in meinem Kopf nichts als gähnende Leere. Der Silvesterabend, auf den ich mich ewig gefreut hatte, war einfach nicht mehr vorhanden. 

Eine gefühlte Ewigkeit, zwei Aspirin und vier Kater-Lebenskrisen später, kamen einige Erinnerungsfetzen zurück. Ein Kumpel, der zu mir sagt: „Lass mich mal besser das Gespräch übernehmen.“ Eine Flasche, die in meiner Nähe zerspringt. Eine SMS meiner Exfreundin. Die Hand einer Freundin auf meiner Schulter und ihre Worte: „Ich glaube, es ist besser, wenn du heimgehst.“ Schließlich: Erbrochenes auf dem Gehweg. Panisch suchte ich nach meinem Handy und fand die Nachricht meiner Exfreundin: „Hey, wollte dir nur ein frohes Neues wünschen. Hoffe, dir geht’s gut.“ Meine Antwort war zwar von Rechtschreibfehlern durchzogen, aber ansonsten ganz normal. Beruhigt döste ich wieder ein.

Ich wurde von einer Whatsapp-Nachricht von Ruben* geweckt: „Hahaha unser kleiner Star.“ Dazu ein Foto: ich – mit zwei Sektflaschen in der Hand – im Hinterhof meines Arbeitgebers, umringt von der Party-Gesellschaft. Ab diesem Punkt in der Geschichte kann ich meiner journalistischen Sorgfaltspflicht nicht mehr nachkommen, denn alle Informationen basieren ausschließlich auf Zeugenberichten. Einen Anruf bei Ruben später glaubte ich zu wissen: Ich habe mich in die Mitte des Hinterhofs gestellt, getanzt und gesungen. Nichts, was ich als introvertierter Mensch üblicherweise gerne mache. Auch durch diese Info kehrten meine Erinnerungen nicht zurück, dafür schämte ich mich umso mehr. Immerhin war ich gut gelaunt, dachte ich. 

„Du benimmst dich wie Rotz am Ärmel"

Bis Ruben mir am Telefon sagte, dass mein Chef in nächster Zeit wohl weniger gut auf mich zu sprechen sein würde. In der Vergangenheit war es mit diesem Vorgesetzten immer wieder zu Diskussionen gekommen. Wenig Respekt, Gängeleien, falscher Ton gegenüber uns Aushilfskräften. Anscheinend hatte ich die Silvester-Party für den perfekten Zeitpunkt gehalten, um diesen Chef zur Rede zu stellen. So ging ich kurz nach meiner Tanz-Einlage wutschnaubend auf ihn zu. Zum Glück ging Ruben dazwischen und verhinderte das Schlimmste. Doch was gesagt war, war gesagt. Und so musste ich künftig für jemanden arbeiten, dem ich schon mal ins Gesicht gesagt hatte, dass er sich wie „Rotz am Ärmel“ benehme. Ich wollte wissen, was ich sonst noch so veranstaltet hatte, doch Ruben konnte mir nicht weiterhelfen: „Ich hab dich irgendwann aus den Augen verloren und dich zwei Stunden später in der Bar wieder getroffen. Ich glaube, du warst mit Dimi* unterwegs.“ 

Anruf bei Dimi. Ich wurde von einem hämischen Lachen begrüßt und einer müden, süffisanten Stimme, die mich fragte: „Na, wieder fit?“ Ich schilderte meine Situation und Dimi begann zu erzählen: Wir wollten weiterziehen und entschieden uns, die fünf Kilometer zu der Bar zu spazieren, statt die U-Bahn zu nehmen... Ganz romantisch. Bei fünf Grad Minus. Die beste Idee, für Menschen, die gerade ein Antibiotikum nehmen. Auf dem knapp zweistündigen Spaziergang, so Dimi, erklärte ich einer Gruppe randalierender Jugendlicher, dass es eine beschissene Verhaltensweise sei, in der Innenstadt mit Flaschen um sich zu werfen. Glücklicherweise fühlten sich die Teenies nicht provoziert, sodass wir unversehrt in der Bar ankamen.  

Über den Rest des Abends in der Bar konnte ich selbst durch intensive Recherche leider nichts Genaueres herausfinden, da auch bei meinen beiden Quellen die Erinnerungsleistung rapide abgenommen hatte. Das nächste, woran ich mich erinnerte, war eine Freundin, die mir riet, nach Hause zu gehen, und innige Umarmungen zum Abschied.  Dann ein Schulterklopfer für den Türsteher, der nur die Augen verdreht, wankende Schritte, ein durch Brechreiz bedingter Zwischenstopp und schließlich meine Wohnungstür. 

Auch wenn ich das meiste von diesem Abend vergessen habe, eine ewige Feindschaft zu einem Vorgesetzten zementiert und mich vor gut 50 Leuten zum Affen gemacht habe, so hatte dieser Abend auch etwas Gutes: Die Erkenntnis, Freund*innen zu haben, die in Notsituationen auf mich Acht geben. Und die Gewissheit, dass ich nie wieder Alkohol und Antibiotika mischen werde.

Unser Autor und seine Freund*innen würden gerne anonym bleiben, um ihren zukünftigen Chef*innen keine Angst zu machen.

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