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„Es ist sehr viel Geld da, das aber ungerecht verteilt wird“

„Ich denke, einen globalen Tech-Konzern interessiert es einen feuchten Dreck, was irgendwelche mittelständischen Künstler in Deutschland denken“ – Juse Ju über Spotify
Foto: McMahon

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Spotify gilt als der Retter der Musikindustrie. Das Unternehmen hat Mitte der Nuller-Jahre, zu einer Zeit, in der Internetpiraterie die Branche fast ruiniert hatte, eine Alternative entwickelt, mit der die Labels wieder Geld verdienen konnten. Seit 2014 wächst die Industrie kontinuierlich. Fast zwei Drittel der Umsätze kommen heute aus dem Streaming-Geschäft. Doch seit einigen Jahren regt sich Widerstand gegen die Streaming-Anbieter – vor allem gegen Spotify. Denn während große Labels fast so gut verdienen wie vor der Krise, ist es für mittelständische Künstler*innen und Independent-Labels immer noch schwierig, zu überleben. Ein Grund: Das Verteilungssystem der Streaming-Anbieter, das laut Studien kleine Künstler*innen benachteiligt.

Juse Ju macht seit mehr als 20 Jahren Musik. Der Rapper ist ein professioneller Musiker ohne Label, der sich zuletzt dem internationalen Protest von Musiker*innen auf der ganzen Welt gegen Spotify angeschlossen hat. Mit uns spricht er darüber, wie er Geld verdient, warum er den Verteilmechanismus unfair findet und was Musik-Fans tun könnten, damit ihre Lieblingskünstler*innen besser bezahlt werden. 

jetzt: Juse, du bringst seit Anfang des Jahres jeden Monat einen neuen Song auf Spotify raus, die später gemeinsam als neues Albums herauskommen werden. Wie oft wurden die Tracks bisher gestreamt?

Juse Ju: Mittelschichtmänner ist bei 220 000 Streams, Gleisbett bei 100 000, Fickgebung bei 80 000. 

Wieviel Geld ist denn dabei rumgekommen? 

Man kann das relativ einfach ausrechnen. Es gibt einen ungefähren Mittelwert: Pro Stream bekommt man 0,3 Cent. Das heißt: Für die drei Songs habe ich bislang also circa 1200 Euro von Spotify bekommen.

Wieviele Streams hast du insgesamt im Monat?

Ungefähr 500 000 – also 1500 Euro im Monat. Spotify ist nicht der einzige Streaming-Anbieter, aber er macht 80 Prozent meines Streaming-Geschäfts aus. Da kann man jetzt natürlich sagen: „Der Juse, der kriegt 1500 Euro im Monat. Das ist doch gut.“ Aber diese 1500 Euro sind ungefähr das, was ich im Monat für meine Musik ausgebe – und damit meine ich nicht mein Gehalt. Sondern reine Produktionskosten. Ein Song kostet mich erstmal 1000 Euro. Früher war das mehr, aber ich musste wegen des aktuellen Kostendrucks einiges streichen, was ich mir geleistet habe.

„Das Unternehmen beeinflusst, wer mehr gestreamt wird.“

Wie kommt denn Spotify auf diese 0,3 Cent pro Stream, die du bekommst?

Das funktioniert bei fast allen Streamingdiensten ähnlich: Alle Einnahmen werden in einen großen Topf geschmissen. Von diesem Geld werden zwei Drittel ausgeschüttet – meistens nicht direkt an die Künstler, sondern an die Labels. Und diese zwei Drittel werden dann anteilig aufgeteilt, also alle Streams werden zusammengenommen und je nachdem bekommst du deinen Anteil. Als Beispiel: Elton John soll in den 70er-Jahren für zwei Prozent der Plattenverkäufe verantwortlich gewesen sein – er hätte also nach diesem System dann zwei Prozent dieses Topfes bekommen. 

Du hast dich in einem Video öffentlich gegen dieses Modell gewandt. Aber oberflächlich betrachtet klingt das doch recht in Ordnung, oder? 

Hört sich gut an, ist aber aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen setzt es Künstler untereinander in Konkurrenz. Wäre ich Musiker in den 70ern gewesen, wäre es mir egal gewesen, wie viele Platten Elton John auf der ganzen Welt verkauft. Ich hätte trotzdem von meinen Fans, die 1000 Platten kaufen, das Geld bekommen. Heute verlieren meine Streams an Wert, je mehr Elton John streamt. Beziehungsweise: Die heutigen Elton Johns sind junge Rapper.

Trotzdem wirst du danach bezahlt, wie viel du gehört wirst. 

Das stimmt vielleicht, aber das zweite Problem ist, dass nicht alle Musiker vor Spotify gleich sind. Das Unternehmen beeinflusst durch den Algorithmus und vor allen Dingen durch Playlisten und Platzierungen auf der Startseite, wer mehr gestreamt wird. In diesen Playlists werden vor allen Dingen Teenie-Musik und Major-Label-Artists gefeatured. Künstler wie ich finden dort so gut wie gar nicht statt. Das wäre für mich kein Problem, wenn nicht jeder Stream eines anderen Lieds ein finanzieller Nachteil für mich wäre. Und darüber hinaus drücken die Free Abos den durchschnittlichen Wert jedes Streams.

„Ich brauche Tonträger, Merchandising und Konzerte, um als Musiker zu überleben“

Wie meinst du das?

Die Hälfte der Spotify-User sind keine Abokunden, also zahlen fast kein Geld in diesen großen Topf ein. Spotify selber schreibt auf der Seite Lound&Clear, dass gratis Abos trotz Werbeeinnahmen viel weniger Geld einbringen. Deswegen ist es egal, ob deine Fans Geld für deine Musik ausgeben würden und ein Abo haben. Es zählt nur noch, wieviel Zeit sie haben, also: Wie oft sie deine Songs anhören. Teenager sind eine Zielgruppe, die eher kein Abo, dafür aber extrem viel Zeit hat. Diese User werden dann von den zahlenden Usern cross-finanziert. In diesem System wird immer derjenige bevorteilt, der Musik für sehr junge Menschen macht – und das meine ich nicht despektierlich. Aber die Menschen, die meine Musik hören, sind zu 99 Prozent über 20 Jahre alt – die leisten sich dann zwar ein Premium-Abo, hören aber nicht 50 Songs pro Tag. 

Was wäre denn eine Alternative?

User-centric-payment. Wenn du Musik hörst, geht das Geld deines Abos an die Künstler, die du in diesem Monat gestreamt hast. Das würde vor allen Dingen Künstlern entgegenkommen, die nicht im Mainstream sind, aber eine kleine, aber dafür sehr loyale Fanbase haben. Sozusagen die künstlerische Mittelschicht, der sehr viele Musiker angehören. 

Ich habe mal überschlagen: Ich zahle an Spotify zehn Euro pro Monat. Zwei Drittel werden ausgeschüttet, also 6,60 Euro. Ich höre 200 – 300 Lieder im Monat. Das wären also zwei bis drei Cent pro Song, die an die jeweiligen Künstler*innen gehen könnten.

So würde Streaming plötzlich für mich profitabel werden. Aber so wie es jetzt ist, brauchst du 100 000 – 300 000 regelmäßige Hörer, um zu überleben. Ich habe 120 000 und das reicht nicht mal, um die Kosten zu decken.

Wie machst du denn überhaupt Gewinn?

Ich brauche Tonträger, Merchandising und Konzerte, um als Musiker zu überleben. Eine verkaufte Platte bringt mir so viel ein, wie wenn man mein Album – jedes Lied – 200 Mal streamen würde. Meine größten Fans streamen mein Album vielleicht 20 Mal. 

Du machst seit ungefähr 20 Jahren Musik. Ist in dieser Zeit die Bedeutung von Konzerten oder Merchandising als Einnahmequelle größer geworden?

Es gibt einen ziemlichen Boom im Konzert-Business. Ich, als mittelständischer Künstler, verkaufe mehr Tickets als meine großen Vorbilder in den 90ern und 2000ern. Bis vor kurzem ist die Rechnung auch mehr oder weniger aufgegangen: Ein Song, der eine Millionen Mal gestreamt wird, deckt fast die Produktions-Kosten für Song und Video. Aber der Werbeeffekt meiner Musik ist so groß, dass ich das durch Ticketverkäufe und Merchandising Gewinn mache. Und damit argumentiert Spotify, dass sie auch eine Werbeplattform für Künstler sind, um mehr Bekanntheit zu bekommen. Das ist ähnlich wie das Argument, mit dem man unbezahlte Praktika rechtfertigt: Damit verdienst du in Zukunft irgendwann mehr Geld. Was ja auch stimmt.

Seit anderthalb Jahren gibt es wegen der Corona-Pandemie keine Konzerte mehr. So kann diese finanzielle Gleichung für dich aber nicht mehr aufgehen, oder?

Nein. Ich habe letztes Jahr dicken Verlust gemacht. Wenn es jetzt noch ein, zwei Jahre so weitergehen würde, dann wäre ich auf jeden Fall raus. Ich würde zwar weiterhin Musik machen, aber nur noch als Privatvergnügen. Vielen Künstlern geht es wie mir und deswegen positionieren sich immer mehr von ihnen gegen Spotify. Wir wollen Spotify oder andere Streamingdienste nicht abschaffen, sondern eine Diskussion über das Verteilungssystem anstoßen.

Für mich kommt es nicht darauf an, dass ich zu wenig Geld bekomme. Wenn’s nicht reicht, habe ich einen guten Background und verdiene halt anders mein Geld und mache wieder Musik als Hobby. Mich stört etwas anderes: Es ist sehr viel Geld da, das aber ungerecht verteilt wird. Die Menschen sind bereit, für Musik zu bezahlen. Aber sie entscheiden nicht mehr selbst, wer dieses Geld bekommt. Wenn ich mir früher eine Platte von den Massiven Tönen gekauft habe, haben MZEE-Records und der Plattenladen Geld bekommen. Jetzt gibt es diese Crossfinanzierung und wenn du Juse Ju hörst, bekommt Ed Sheeran die Häfte deines Geldes, weil irgendwo ein 14-Jähriger ohne Account Shape of You in Dauerschleife hört. Es geht nicht um Geld an sich. Es geht darum, dass Menschen Geld irgendwo einzahlen und eine Firma bestimmt, was damit passiert und nicht der User.

„Das ist eine sehr drastische Veränderung der Kunst“

Hat sich deiner Einschätzung nach die Musik durch Spotify gewandelt? Im Hiphop sind die Hooks, also die Refrains, beispielsweise an den Anfang gerutscht. Lange Intros hört man nur noch selten. 

Das stimmt. Spotify kommuniziert das auch: Lange Instrumental-Intros funktionieren nicht mehr. Außerdem sind die Songs sehr viel kürzer geworden, weil es finanziell besser ist, wenn jemand auf seiner 40-Minuten-Zugfahrt 20 Songs hört, die zwei Minuten dauern, als zehn Songs, die 3:20 Minuten lang sind. Das ist eine sehr drastische Veränderung der Kunst. 

Spotify-Gründer Daniel Ek sagte auch, dass Künstler*innen nicht mehr erwarten könnten, nur alle drei Jahre ein Album zu veröffentlichen und damit Erfolg zu haben. Manche Künstler*innen bringen sogar drei Alben pro Jahr heraus. Mindert so eine Frequenz die Qualität?

Wenn ich überlege, welche Alben ich wirklich liebe, haben die Künstler zwei, drei Jahre am Album gearbeitet. Aber es gibt auch Künstler, die einfach geil sind und trotzdem ständig etwas Neues rausbringen. Die Beatles haben in zehn Jahren zehn Alben veröffentlicht. Ich verweigere mich dem System gar nicht. Im vergangenen Jahr habe ich ein Doppelalbum herausgebracht, Ende September wird mein nächstes Album fertig sein. Ich probiere aus, ob ich tatsächlich belohnt werde, wenn ich einen hohen Output habe. Aber ich bezweifle das. Ek geht davon aus, dass Musik so konsumiert wird wie Serien. Du schaust sie einmal, vielleicht zweimal und dann brauchst du was Neues. Aber Musikkonsum, besonders bei Erwachsenen, funktioniert meiner Meinung nach anders. Geile Alben hörst du dein Leben lang. Du hast Bock auf Metallica? Dann hörst du Metallica und sagst nicht „Öh, die haben aber jetzt seit zwei Jahren nichts Neues rausgebracht.“ Ich sehe bislang bei meinen Streams keinen positiven Effekt, je mehr Musik ich rausbringe. Maximal, dass ich mehr Aufmerksamkeit auf andere Produkte von mir lenke: Eine Tour, neue T-Shirts, neuer Merch. 

„Wenn du etwas Kleines ändern willst: Wechsel den Streaming-Anbieter“

Glaubst du, es macht Sinn, zu versuchen, Spotify zu verändern?

Ich denke, einen globalen Tech-Konzern interessiert es einen feuchten Dreck, was irgendwelche mittelständischen Künstler in Deutschland denken. Der Druck müsste viel größer werden, damit sich etwas tut. Jay-Z hat sich gegen Spotify gestellt und selbst das hat nicht gereicht. Die einzigen, die das System ändern können, sind die großen Musiklabels. Spotify kann ohne Sony, Warner und Universal nichts machen. Wenn die drei sagen würden, dass sie ein anderen Verteilungssystem wollen, dann würde das passieren. Aber diese Labels profitieren ja genau von diesem System, deswegen wird sich auch nichts ändern.

Wie sieht es mit anderen Plattformen aus? Sind die denn besser?

Alle großen Plattformen haben dasselbe Abrechnungsmodell. Aber jeder andere Streaming-Dienst zahlt besser als Spotify. Nicht, weil sie tollere Geschäftsführer haben, sondern, weil sie keine Free-User haben. Tidal zahlt mir das Dreifache. Würden alle so zahlen wie Tidal, wäre meine Musik sehr profitabel. Einzig Youtube Music zahlt noch beschissener als Spotify. 

Neulich ist das neue Album von Fatoni und Edgar Wasser herausgekommen. Das war für mich ein Moment, wo ich eigentlich die beiden unterstützen wollte, und überlegt hatte, die CD zu kaufen. Aber ich habe keinen CD-Player im Haus, Fan-Shirts trage ich nicht und Konzerte finden erstmal nicht statt – Wie kann ich denn Künstler*innen unterstützen, die ich mag?

Die Fans haben natürlich nicht die Aufgabe, das Musikbusiness zu verändern. Wenn du etwas Kleines ändern willst: Wechsel den Streaming-Anbieter. Und wenn du einfach dem Künstler Geld geben willst: Kauf die MP3s von dem Album oder geh auf Patreon und unterstütze sie privat. Und wenn Konzerte wieder erlaubt sind, ist es eh das Beste, auf Konzerte zu gehen.

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