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Queere Menschen, wer sind eure Idole?

Können sich queere Menschen auf ein Idol festlegen? Unser Autor sagt: auf keinen Fall.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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 Liebe Queers,

ich liebe „Queer Eye“ und ganz besonders liebe ich Jonathan van Ness. Ich schaue mir fast jeden Tag auf Instagram an, wie er morgens zu seinem ersten Kaffee tanzt, freue mich, wenn er Eislaufvideos hochlädt, finde seinen Podcast witzig, Interviews mit ihm erhellend und seine Outfits spannend (und außerdem ist er halt einfach krass schön (und hat süße Katzen)). 

 Nun ist mein Blick auf JVN, wie er auch gerne genannt wird, der einer nicht-queeren Frau, die seinen Humor mag, aber es eben auch interessant findet, wenn er aus seinem Leben erzählt, weil es ganz anders verlaufen ist als meines. Und wenn ich ihn in Rock und Pumps Haare schneiden sehe oder ihm zuhöre, wie er über seine nicht-binäre Geschlechtsidentität spricht, dann weiß ich, dass es viele Menschen gibt, die das ganz anders berührt als mich. Etwa, weil sie sich selbst als nicht-binär oder als queer definieren. Ich frage mich dann aber auch: Auf welche Art berührt sie das? Wie wirkt JVN auf sie? Inspirierend? Empowernd? Oder macht er irgendwas, was sie als eher kontraproduktiv für die Community empfinden, das ich als Außenstehende aber gar nicht wahrnehme?

Wessen Bücher verleiht ihr reihum, wessen Instagram-Account empfehlt ihr anderen?

Vermutlich ist das individuell, denke ich dann. Manche mögen den Typen, manche nicht. Darum komme ich von der JVN-Frage dann auf eine generellere, die ich euch hiermit gerne stellen möchte: 

Wer sind die Idole und Ikonen der queeren Community? Auf wen können sich die meisten von euch einigen, weil er*sie in der Vergangenheit etwas bewirkt und zum Besseren verändert hat? Oder in der Gegenwart einfach krass gute Arbeit macht? Wer ist für die queere Community das, was Clara Zetkin und die feministische Juristin Kimberlé Crenshaw, Emma Watson und Beyoncé für den Feminismus sind? Welche Namen nennt ihr oft, als Vorbilder und gute Beispiele? Wer inspiriert euch besonders? Wessen Bücher verleiht ihr reihum, wessen Instagram-Account empfehlt ihr anderen? Wessen Konterfei würdet ihr auf einem T-Shirt durch die Welt tragen? Wen sollten auch außerhalb eurer Community dringend alle kennen, weil er*sie bisher in der Öffentlichkeit und den Medien viel zu selten erwähnt und gewürdigt wurde, aber einfach richtig, richtig toll und bewundernswert ist? (Und ist es – ganz vielleicht – doch Jonathan van Ness?)

Gespannt und wissbegierig,

eure nicht queeren Menschen 

Die Antwort:

Liebe nicht queere Menschen,

klar haben wir Idole, auf die wir uns einigen können! Jeder schwule Mann feiert doch entweder Britney Spears oder Lady Gaga. Welche lesbische Frau himmelt denn die Schauspielerinnen Kristen Stewart oder Sarah Paulson nicht an? Und wieso sollten sich nicht alle trans Menschen mit Laverne Cox und Elliot Page – ebenfalls Schauspieler*innen – identifizieren können? Das dachte ich mir zumindest, als ich eure Frage zum ersten Mal gelesen habe. Doch als ich mit anderen queeren Menschen aus meinem Umfeld darüber gesprochen habe, wurde mir schnell klar, wie naiv der Gedanke war. 

Natürlich kenne ich lesbische Frauen, die ins Schwärmen geraten, wenn der Name Sarah Paulson fällt. Und schwule Männer, die dem gesamten Cast von Queer-Eye am liebsten einen Schrein in ihrer Wohnung widmen würden. Ich habe mit Künstler*innen wie dem Sänger Nils Bech, der Musikproduzentin Ellen Allien oder dem Schauspieler und Tänzer Levan Gelbakhiani Vorbilder gefunden, die mich inspirieren. Weil sie sich aktiver für queere Belange einsetzen als ich das tue und sich viel mehr über Gender- und Maskulinitätsnormen hinwegsetzen als ich. Aber der Großteil meiner queeren Freund*innen kann mit den meisten klassischen Idolen nicht wirklich etwas anfangen.

„Für mich gibt es keine Idole, weil ich mich von niemandem repräsentiert fühle“, schreibt mir ein Bekannter auf Instagram. Er findet: Musiker wie Elton John oder Youtuber wie James Charles würden nur nur einen Bruchteil queerer Menschen abbilden. „Ich will einfach als normaler Mann wahrgenommen werden und nicht, dass der Rest der Welt denkt, alle Schwulen wären so wie sie“, sagt er.  Ich verstehe seinen Gedanken, halte ihn aber für problematisch. Schließlich macht er so die schwulen Männer nieder, die nicht der maskulinen Norm entsprechen (Stichwort: internalisierte Homonegativität). Eine Freundin erklärt mir am Telefon genervt, was sie von Miley Cyrus hält: „Bei ihr wirkt das so, als könne man sich für irgendeine sexuelle Orientierung entscheiden; ein paar wilde Jahre als Lesbe und dann ab vor den Traualtar mit einem Mann.“

Beide kennen natürlich queere Stars, die sie toll finden: „Als Idol würde ich den Sportler und Schauspieler Gus Kenworthy nicht beschreiben – aber mit ihm kann ich mich noch am meisten identifizieren. Er ist halt einfach ein ganz normaler schwuler Typ“, schreibt meine Instagram-Bekanntschaft. Und auch meine Freundin kennt queere Frauen, zu denen sie aufschaut: „Die Sängerin Peaches finde ich geil“, erzählt sie mir. „Die thematisiert immer wieder provokant ihre Sexualität in ihrer Musik und auf der Bühne. Und sie ist radikale Feministin!“ 

Bei der Frage nach queeren Idolen geht es vor allem um Repräsentation

Was ich aus diesen Gesprächen mitnehme: Bei der Frage nach queeren Idolen geht es vor allem um Repräsentation – und darum, welche Ansprüche wir an unsere queeren Vorbilder haben. Während meine Instagram-Bekanntschaft Angst davor hat, mit James Charles oder Elton John gleichgesetzt zu werden, bewundert meine lesbische Freundin genau die queeren Stars, die radikaler mit ihrer Identität umgehen – und so gesellschaftliche Grenzen austesten. 

Ich verstehe beide Seiten: Frauen wie Caitlyn Jenner sind meiner Meinung nach alles andere als gute trans Advocates. Und ehrlich gesagt hatte ich als schwuler Teenager Bauchschmerzen bei dem Gedanken, dass mich mein Umfeld nach dem Outing mit dem Moderator Ross Antony gleichsetzen würde. Ich finde aber auch: Es braucht gerade diejenigen queeren Menschen, die besonders aktiv „Out & Proud“ sind, in der Öffentlichkeit. Egal, ob ich mich zu 100 Prozent mit ihnen identifizieren kann oder nicht.

Wenn Miley Cyrus einen kurzen Exkurs als lesbische Frau macht, dann zeigt das: Liebe gibt es in allen möglichen Formen. Wenn James Charles vor der Kamera die krassesten Make-up-Looks kreiert, dann beweist er damit: Make-up kennt kein Gender. Und wenn Jonathan van Ness offen über seine nonbinäre Geschlechtsidentität spricht, dann schafft das genau die Sichtbarkeit, die in diesem Bereich noch fehlt.

Auch, wenn wir uns als Queers wohl nicht auf ein paar Idole einigen werden, wünschen wir uns doch alle das Gleiche: Wir möchten mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz. Mir persönlich ist es dann auch egal, ob ich diese Menschen cool finde oder nicht. Ich bin froh darüber und habe größten Respekt, wenn Elliot Page als erster trans Mann für das Cover des TIME-Magazins posiert, Harry Styles sich für die Vogue in ein Kleid wirft oder die Journalistin Georgine Kellermann sich öffentlich als trans Frau outet. Und, was natürlich besonders schön ist: Wenn ihr nicht queeren Menschen diese Leute in ihrer Identität genauso bestärkt wie wir es auch tun! 

Es grüßen euch,

eure Queers <3 

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